Berlin (KNA) Der knapp 85-minütige Film beginnt mit den zutreffenden Beobachtungen, dass global Demokratien "bröckeln", vor allem, weil "autokratische Politiker" Institutionen aushöhlen, nachdem sie demokratisch gewählt wurden. So wie dieser Typus, verkörpert nicht zuletzt von Donald Trump, so ist auch Künstliche Intelligenz (KI) in allen Bereichen "auf dem Vormarsch". Insofern stellt der Offkommentar die Frage "Kann KI auch benutzt werden, um Demokratien zu schaden?". Das ist sozusagen die dystopische Gegenfrage zu "Kann KI die Demokratie retten?" - die Linda Zervakis als ProSieben-Reporterin kürzlich stellte (siehe MD 33/24). Der Film "Der Autokraten-Code" (ab 23.10. in der ARD-Mediathek, Regie & Buch: Alexandra Hardorf, Christiane Schwarz; Produktion: Dokness) veranstaltet nun ein laut Pressetext "nie da gewesenes Experiment": Ein Team aus sechs Expertinnen und Experten kreiert mit KI eine "autokratische Führungspersönlichkeit", die in Deutschland Wahlen gewinnen können soll. Und am Ende - auf das nach üblichem Strickmuster die Höhepunkte-Vorschau gleich am Anfang gespannt machen will - kündigt die erschaffene Kunstfigur der echten ARD-Talkerin Caren Miosga an, "Bundeskanzler werden" zu wollen. Streng genommen ist "Der Autokraten-Code" mit "Dokumentarfilm" falsch gelabelt. Vor allem setzt der Film eine speziell für ihn ausgedachte Laborsituation in Szene: Expertinnen und Experten für unterschiedliche Themen, für KI-generierte Bilder, 3-D-Kunst, Cybersicherheit, für Marketing sowie Politikwissenschaftler, sitzen vor ihren Laptops rund um einen Konferenztisch in einer leicht kompetitiven Situation (die im weiteren Verlauf allerdings keine Rolle mehr spielt). Sechs Wochen Zeit und 10.000 Euro Budget haben sie zur Verfügung, um diese virtuelle Person zu erschaffen, die in Sozialen Medien und klassischen Bewegtbildmedien auftreten kann. Dazu sollen eine Kampagne und Slogans entstehen, mit der diese Person bei Wahlen erfolgreich mitmischen könnte. Die ARD legt großen Wert darauf, dass der Name des so geschaffenen Kandidaten (den man lustigerweise auf Plattformen wie X/ Twitter bereits finden kann) bis zur Filmveröffentlichung nicht genannt wird. Dem steht nichts im Wege, schon weil sich die Brisanz des Ganzen in engen Grenzen hält. Vor allem reden die Experten miteinander und in die Kamera über Möglichkeiten, die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Wer sich noch nicht intensiv mit dem Thema beschäftigte, mag dabei einiges über Künstliche Intelligenz erfahren. Zum Beispiel, dass es sinnvoller sein kann, statt zunächst strategische Fragen zu klären, einfach die KI strategische Fragen stellen zu lassen. Und dass es neben Prompts, also Fragestellungen an die KI, auch "Systemprompts" gibt, die der KI beispielsweise vorschreiben können, dass ihre Antworten der Gesellschaft nicht schaden dürfen. Andernfalls bestünde offenbar die Gefahr, dass die KI sehr wohl Schädliches vorschlägt. Exemplifiziert wird all das leider nicht, und das führt zum wesentlichen Manko des Films. Weil nichts vertieft wird, wird es an der Oberfläche zusehends beliebig. Zwar befragen die Experten zwei unterschiedliche KIs: das bekannte ChatGPT und die weniger bekannte Open-Source-KI Llama2. Doch was die Modelle unterscheidet, was überhaupt die KIs genau vorschlagen, erfährt das Publikum allenfalls ausschnittsweise, wenn die Kamera mal kurz auf einem Display mit Text verweilt oder eine KI-generierte Stimme kurz Teile der Antworten verliest. Vor allem spiegeln und bewerten die sechs Experten in ihren eigenen Worten Teile der KI-Aussagen. Auch weil diese Experten nicht sehr prominent sind, werden zwischendurch buntere und visuell attraktivere Ausschnitte aus mehr oder weniger bekannten KI-generierten Fakevideos einmontiert, etwa rund um Kamala Harris, Donald Trump und Joe Biden. Dazu kommen Werbefilme, die gerne das Kunststückchen vorführen, bewegten menschlichen Gestalten wechselnde, prominente Gesichter aufzusetzen. Zur Leitfrage, welche Angriffspunkte sich KI bei Wahlen speziell in der deutschen Demokratie böten, ist nicht mehr viel zu hören und zu sehen. Nachdem für den virtuellen Autokraten in längeren, nicht besonders aufschlussreichen Expertengesprächen ein angeblich sympathisches Gesicht und eine dazu passende Stimme gefunden wurden, zieht der so erschaffene 52-jährige Mann mit Formeln wie der, den "Nationalstolz wiederherzustellen", und mit Sprüchen wie "weder links noch rechts" in die Sozialen Medien. Auch hierzu stellt der Film keine vertiefenden Fragen wie die, ob die inzwischen sehr unterschiedlich aufgeladenen Kategorien links und rechts womöglich längst überholt sind. Als Pluspunkte erweisen sich mit prägnanteren Aussagen eingespielte weitere Experten, die nicht am Experiment teilnahmen. "Öffentlichkeit transformiert sich mit jeder Medienrevolution", sagt etwa der Sozialwissenschaftler Nils Kumkar - und dass Medienrevolutionen seit jeher, spätestens seit Erfindung des Buchdrucks, "politische Strukturen zerstören". Darüber, wie das bei einer KI-Revolution laufen könnte, mehr zu hören, wäre interessant gewesen. Geradezu erfrischend pessimistisch und dennoch pragmatisch äußert sich der britische KI-Pionier Geoffrey Hinton. KI werde Arbeitsplätze zerstören und dadurch soziale Konflikte auslösen, sagt er etwa. Und: "KI wird die schlechten Dinge verstärken." Hinton bezieht sich dabei auf Fake-Videos im laufenden US-amerikanischen Wahlkampf. Hier könnte ganz aktuelle Brisanz liegen - und sei es nur, wenn Wählern gezielt falsche Wahllokale und Wahltermine genannt werden. Bei der Auswahl Hintons, dem gerade der Physik-Nobelpreis 2024 zuerkannt wurde, haben die "Autokraten-Code"-Macher ein gutes Händchen bewiesen. Wenn hingegen noch in Offenbach (dessen Wahlergebnisse fürs ganze Land besonders repräsentativ seien) Wahlwerbespots des "Autokraten-Code"-Kandidaten im Vergleich mit echten Spots echter Parteien an Wählern getestet werden, bleibt das ähnlich unbrisant wie die Ergebnisse einer "großangelegten Onlinestudie", schon weil die Ausgangsfragen unklar bleiben. Am anfangs angeteaserten Höhepunkt, wenn der KI-Kandidat per Videoschalte von Miosga interviewt wird, zeigt sich, dass die vom Expertenteam in sechs Monaten generierte Figur in ihrer Staksigkeit schon performativ kaum zu überzeugen vermag. Inhaltlich verläuft das Gespräch so an- und aufregend wie die meisten Miosga-Talkshows, also nicht so sehr. Positiveres als dass ihn sich angucken kann, wer gerade nichts Besseres zu tun hat, lässt sich über diesen primär für die Mediathek produzierten Film, dessen Idee den ARD-"TopDocs"-Wettbewerb 2023 gewonnen hatte, leider nicht sagen. Vielleicht wollten die neun Redakteurinnen und Redakteure aus sieben ARD-Anstalten, die der Abspann nennt, zu viel oder zu Unterschiedliches, vielleicht bleibt der Film deshalb zwar leidlich unterhaltsam, aber auf sämtlichen Ebenen unterkomplex. Am 2. Dezember soll er auch im Ersten laufen. Wobei, etwas Positives lässt sich doch sagen: Der publizistische Wettbewerb im alten "Dualen System" des deutschen Rundfunks läuft manchmal noch, und zum Themenkomplex KI und deutsche Politik ist dem Privatsender Pro Sieben mit Zervakis' "Kann KI die Demokratie retten?" eine überzeugendere Produktion gelungen als der öffentlich-rechtlichen ARD.