Hamburg (KNA) Geschichte hat oft etwas Tröstliches. Sie ist zwar ebenso Teil von uns wie wir Teil von ihr sind, lässt sich aber beliebig zurechtbiegen. Der amerikanische Historiker Henry Glassie sieht darin folglich weniger die Vergangenheit, als "eine Karte davon, die aus bestimmtem Blickwinkel gezeichnet wurde, um für Reisende nützlich zu sein". Mit dieser Weisheit beschreibt er allerdings nicht nur sein eigenes Fachgebiet, sondern auch das, was Fernsehsender daraus machen. Der History Channel zum Beispiel. Am 1. Januar 1995 in New York gegründet, machte das Medienunternehmen A&E Television Networks aus realitätsgrauer Zeitgeschichte quietschbunte Fernsehunterhaltung - und nebenbei der Mutter aller Doku-Kanäle Konkurrenz. Denn zehn Jahre zuvor hatte Warners Discovery Channel mit seinem Mix aus Informationen und Entertainment nicht nur das Kofferwort Infotainment erschaffen. Er gewann damit in kurzer Zeit 30 Millionen Nutzer und zog global Kopierer bis hin zu ZDFinfo nach sich, das 1997 auf Sendung ging. Kaum einer war jedoch so erfolgreich wie der History Channel. In 141 Ländern erreicht die Marke aktuell 228 Millionen Haushalte in 24 Sprachen, zu denen seit genau 20 Jahren auch Deutsch gehört. Am 15. November 2004 expandierte das Format in den deutschsprachigen Raum - seit geraumer Zeit schon bescherte Guido Knopp dem ZDF seinerzeit mit einer gewaltigen Zahl populärer Geschichtsdramen mit oder ohne Dokumentaranteil Rekordquoten. Von Hitlers Helfern, Frauen, Kindern bis hin zur Nationalhistorie "100 Jahre" wurde alles aufbereitet, was auch nur halbwegs zu belegen war - meist mit pathetischem Interpretationsspielraum. Als Mitte 2004 auch noch zwei wuchtige Porträts um die Deutungshoheit des umstrittenen Grafen von Stauffenberg konkurrierten und Anfang November die TV-Version der legendären Zeitschrift "National Geografic" startete, war die Zeit reif für Deutschland, Österreich, die Schweiz. Und wie sie seither auf kurzweilige Art am Bildschirm unterrichtet werden, könnte kaum etwas besser verdeutlichen als die Jubiläumspremiere. Schließlich bietet das sechsstündige Mafia-Epos "Die Paten von Amerika" alles in Reinform, was den History Channel kennzeichnet. Hohe Faktendichte in repetitiver Bildsprache, hektische Schnittfrequenz zur pausenlosen Musik, suggestives Reenactment mit prominentem Host. Den gibt Michael Imperioli, Hauptdarsteller der HBO-Legende "The Sopranos", die hierzulande vor 20 Jahren vorm Beginn der 4. Staffel stand. Nach diesem Prinzip bereitet William Shatner in "The UnXplained" moderne Mythen auf, während Morgan Freeman in "Great Escapes" Gefängnisausbrecher porträtiert. Alles Formate, denen HISTORY, wie der Sender kurzzeitig hieß, seinen Ruf als Premium-Anbieter im Bereich Factual Entertainment verdankt. Trotz und wegen aller Kritik. Dem History Channel - dessen Kürzel für Spötter nicht ganz zufällig dem des Cannabis-Wirkstoffs THC gleicht - werden nämlich gern mal pseudodokumentarische Erzählstrukturen bis hin zur handfesten Verschwörungsideologie vorgeworfen. Das renommierte Smithsonian Institute in Washington zum Beispiel bemängelt die Außerirdischen-Doku "Ancient Alien" als manipulativen Blödsinn mit Hang zum Rassismus. Ein Vorwurf, den Katrin Palesch so nicht gelten lässt. "Wir decken die gesamte Bandbreite des Dokutainments ab", betont sie als Geschäftsführerin des Hearst Networks Germany, das den History Channel seit 2019 betreibt. "Dazu zählen Event-Serien über das antike Rom ebenso wie Dokus über die Gräueltaten der Nazi-Diktatur und Factual-Entertainment, wo der Unterhaltungsaspekt eindeutig im Mittelpunkt steht". Zu letzterem zählten eben solche Formate wie "Ancient Aliens", die "Raum für Spekulationen als auch kontroverse Diskussionen geben". Klingt euphemistisch, ist aber die gängige Praxis aller Marktteilnehmer. Mit der Kombination aus Fakten und Raunen, Wissen und Trash arbeiten schließlich nicht nur kommerzielle, sondern auch öffentlich-rechtliche Spartensender, also Kabel1 Doku ebenso wie ZDFinfo. Sie alle müssen sich mit der wachsenden Konkurrenz digitaler Infotainer herumschlagen, denen Clicks oft wichtiger sind als Expertise. Der Youtube-Kanal von MrWissen2go etwa hat stolze 1,35 Millionen Abos. Ein Wert, von dem der History Channel mit 0,2 Prozent Marktanteil in der Hauptzielgruppe der 14 bis 49-Jährigen trotz konstanter Zuwächse linear nur träumen kann. Dennoch hat er sich im geschichtsbewussten Deutschland weit oben etabliert. Durch Schülerwettbewerbe und Lehrerportale beeinflusst THC überdies wie einst Joachim Bublath oder jetzt Rangar Yogeshwar die Bildung. Deutsche Eigenproduktionen sind dabei mangels Budgets zwar selten; mit Hannes Jaenickes "Guardians of Heritage" über kulturelle Kriegsverbrechen oder Wigald Boning als "Geschichtsjäger" hat der Sender aber durchaus auch deutsche Prominente im Portfolio. Und weil sein Programm mit Lizenzware des ZDF ergänzt wird, ist der Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Infotainment gering. Das Jubiläumsangebot vom Feldzug-Vierteiler "Entscheidung auf dem Schlachtfeld" bis hin zur Kriminalitätsstudie "Gangland Chronicles" könnte daher überall laufen. Und wenn der History Channel am 25. Januar der Auschwitz-Befreiung ganztätig inklusive höchst persönlicher Erstausstrahlungen wie "Willem & Frieda" oder "Heute ist das Gestern von morgen" gedenkt, übernimmt er Aufgaben, die ARD und ZDF kaum noch erfüllen. Auch in diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch.