"X ist überproportional einflussreich" - Digitalexperte Michael Seemann über Plattformmacht und Elon Musk

Von Joachim Huber (KNA)

PLATTFORMEN - Obwohl in Deutschland immer mehr Personen und Organisationen die Plattform X verlassen, kommt ihr weiterhin eine große Bedeutung zu. Das liegt auch am Zustand des Journalismus, erklärt Digitalexperte Michael Seemann.

| KNA Mediendienst

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Elon Musk und X

Foto: Matteo Della Torre/Imago/KNA

Berlin (KNA) Nachdem Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, dürfte der Einfluss des reichsten Menschen der Welt, Elon Musk, deutlich ausgebaut werden. Musk hat Trump seit dem Sommer offensiv unterstützt, mit Geld und mit Posts auf seiner eigenen Plattform X. Digitalexperte Michael Seemann hat ein Buch über Macht und Internet geschrieben. In "Die Macht der Plattformen: Politik in Zeiten der Internetgiganten" erklärt er, wie sich das Wachstum der großen Internetkonzerne und ihrer Angebote auf die Demokratie auswirken können. Im Interview wirft er einen düsteren Blick in die Zukunft von Medien, Internet und der Demokratie, in den USA wie auch in Deutschland. KNA-Mediendienst: Herr Seemann, der X-Eigentümer und reichste Mensch der Welt, Elon Musk, wird Sitz und Stimme in der Regierung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump haben. Kommen da digitale und politische Macht zusammen? Michael Seemann: Ja, wobei ich es leicht anders nennen würde: Es kommen politische Macht und Plattformmacht zusammen. Musk hat X (ehemals Twitter) ungeniert zu einer reinen Wahlkampfwaffe für Donald Trump umgebaut. Es gibt Anzeichen, dass die Algorithmen manipuliert waren, um republikanische Stimmen zu bevorzugen, und unstrittig ist, dass sich Musk von seiner eigenen Plattform algorithmisch bevorzugen lässt. So war er mit seinen über 200 Millionen Followern und dem Boost des Algorithmus mit Abstand die lauteste Stimme für Trump und hat selbst Verschwörungstheorien und Desinformationen in enormer Schlagzahl veröffentlicht. Ein weiterer Faktor war, dass Elon Musk, ähnlich wie Donald Trump, eine riesige Anhängerschar um sich versammelt hat, Hyperfans, die alles aufnehmen und verbreiten, was ihr Idol sagt. Beide, Donald Trump und Elon Musk sind jeweils mächtige Internet-Memes und das Zusammenkommen der beiden war für viele wie eine Fusion in der Relevanz, als ob die Beatles mit den Rolling Stones fusionieren - Musk mit Trump auf der Bühne war ein zentrales, popkulturelles Ereignis für viele Menschen auf der Welt. MD: Was ist von dieser Fusion tatsächlich zu fürchten, was ist bloße Hysterie? Seemann: Wir kennen die Zukunft natürlich nicht und meine persönliche Einschätzung ist, dass die beiden Egos von Elon Musk und Donald Trump nicht auf Dauer in einen Raum passen. Es wird vermutlich noch knallen, wahrscheinlich sogar noch vor Amtsantritt, insofern ist noch vieles offen. Auf der anderen Seite wissen wir auch nicht, wie abhängig Trump von Musk und Musk von Trump ist und welche Kräfte sie noch zusammenzurren. Ein anderes Problem ist, dass Musk eigentlich gar nicht in der Regierung arbeiten kann, ohne Gesetze gegen Vorteilsnahme fürchten zu müssen, denn niemand auf der ganzen Welt bekommt so viel Geld vom amerikanischen Staat wie Elon Musk und seine Unternehmen. MD: Wie groß sind Reichweite und Einfluss der Plattform X in den USA wirklich? Seemann: Manche wenden ein, dass X von den Nutzerzahlen vergleichsweise klein ist, wenn man es neben Facebook oder TikTok stellt. Aber diese Sicht lässt außer Acht, dass X überproportional einflussreich ist. Einfluss bemisst sich nicht nur durch die Anzahl der Leute, die man erreicht, sondern es ist auch wichtig, welche Leute man erreicht. Wir kennen das aus dem Alltag: Jemand, der wenige, einflussreiche Leute erreicht, ist im Zweifel einflussreicher, als jemand, der viele Leute erreicht. Der Einfluss passiert dadurch, dass Journalist*innen ihre Wahrnehmung der öffentlichen Meinung, die sie aus X mitnehmen, bewusst oder unbewusst in ihre Artikel einfließen lassen, Influencer*innen in ihre Youtube- oder Instagramvideos, Politiker*innen in ihre Politik, etc. und so kreieren sie eine öffentliche Stimmung, deren Eindrücke sie überproportional bei X aufgeschnappt haben. MD: Was wird Elon Musk im Gegengeschäft von Donald Trump erwarten? Seemann: Kein Mensch auf der Welt ist abhängiger von staatlichem Geld als Elon Musk. SpaceX lebt praktisch zu 100 Prozent von Staatsaufträgen, Tesla bekommt Milliarden Zuschüsse beim Verkauf von Elektromobilen und Tesla verdient außerdem eine Menge Geld mit CO2-Zertifikaten. Dazu steht Tesla im Fokus zahlreicher Regulierungsbehörden und es laufen einige Verfahren gegen das Unternehmen. Elon Musks Wunschliste dürfte also theoretisch endlos sein. MD: Im erweiterten Radius gefragt: Sind Plattformen wie X, TikTok oder Facebook nicht längst die wahren Herrscher im Fakten- und Meinungsfeld, während die etablierten Medien wie "New York Times", ja selbst das rechtslastige Network Fox News nur noch die Ränder bespielen? Seemann: Die Social-Media-Plattformen haben durch ihre Netzwerkeffekte einen enormen Sog ausgeübt und die öffentliche Sphäre immer mehr von den traditionellen Medien hin zu Plattformöffentlichkeiten verlagert. Leider haben die klassischen Medien durch Paywalls aktiv dabei mitgeholfen, diese Verlagerung zu beschleunigen. Die Menschen, die noch hinter eine Paywall gucken, um sich zu informieren, sind inzwischen eine verschwindende Minderheit, die anderen folgen dem, was der Algorithmus ihnen auf X, Instagram oder TikTok ausspielt. Diese Algorithmen sind Black-Boxes, niemand von außen weiß, was da passiert und Manipulation in die eine oder andere Richtung lässt sich fast nie eindeutig nachweisen. Wir sind den Plattformen quasi ausgeliefert und leben inzwischen in komplett unterschiedlichen Welten, ohne von den anderen zu wissen. MD: Der Tech-Milliardär Jeff Bezos hat die "Washington Post" gekauft, der Biotech-Milliardär Patrick Soon-Shiong die "Los Angeles Times". Beide Male wurde dadurch die Fortexistenz der Zeitungstitel gesichert. Zugleich haben Bezos und Soon-Shiong im Vorfeld der US-Präsidentenwahl Wahlempfehlungen der Blätter für die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris verhindert. Gehen Sie mit in der Beurteilung, dass mehr und mehr US-Medien nicht mehr nach Gemeinwohlinteressen agieren, sondern dem Business der Eigentümer gehorchen müssen? Seemann: In der Tat. Es sind nicht nur die Plattformen, die von den Tech-Milliardären kontrolliert werden, sondern ihr Einfluss geht in den klassischen Medien weiter. Auch Fox News und Breitbart wurden jeweils von konservativen Milliardären finanziert, die damit auch ihre politischen Interessen durchsetzen wollten und es nach wie vor tun. MD: Kommt die wesentliche Frage herauf: Wem gehört mittlerweile die Öffentlichkeit, wem muss Sie gehören? Seemann: Es ist eine oligarchisch kontrollierte Öffentlichkeit. Und weil sich Medien alle aneinander orientieren, trommeln die Medien den Beat der Milliardäre mit, die sich eigentlich unabhängig verstehen. MD: Was in den USA passiert, wird nicht ohne Konsequenzen für Europa und Deutschland bleiben können. Was erwarten Sie, wie müssen EU und deutsche Institutionen reagieren? Seemann: Der Druck aus der sich formenden Trump-Regierung auf die EU-Internet-Regulierung wird enorm sein und es ist nicht auszuschließen, dass dieses Thema auf Dauer in einen Handelskrieg kippt. J.D. Vance - ebenfalls ein Silicon Valley Gewächs, er ist ein hundertprozentiges Geschöpf des Investors Peter Thiel - hat bereits angedeutet, dass sogar der Nato-Schutz daran gekoppelt sein kann, uns mit der Internetregulierung zurückzuhalten. Ich würde mir wünschen, dass die EU und Deutschland nicht einknicken, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie dafür einen Handelskrieg riskieren würden. MD: Auch in Deutschland gibt es schon das Phänomen, dass sehr reiche Menschen wie der Milliardär Frank Gotthardt das Rechtsaußen-Portal Nius finanzieren. Gotthardt nennt sein Engagement "staatsbürgerliche Verantwortung". Wie beurteilen Sie das? Seemann: In Deutschland werden die Playbooks aus den USA ja immer zweitverwertet und so folgt Nius den Gründungen von Fox News oder Breitbart. Das ist ein Problem, denn mit entsprechenden Budgets und Ruchlosigkeit kann man viel Schaden anrichten. Ich bin inzwischen der festen Meinung, dass eine Demokratie stirbt, wenn so wenige so viel Macht haben. Wir sehen es in den USA und ich glaube, hier ist es auch nicht mehr weit. MD: Verwundert es Sie eigentlich, dass offensichtlich immer nur rechtsorientierte Milliardäre ihre Geldbeutel für Medienengagements öffnen? Seemann: Nein. Ein linker Milliardär müsste eine merkwürdige Vorstellung von "links" haben, um sich zu erlauben, Milliardär zu sein. Es gibt ja einige eher liberal-progressive Milliardäre wie George Soros oder den Millionär Erck Rickmers, der das "New Institute" gegründet hat. Auch Bill Gates wird ja von manchen als Held des Liberalismus gefeiert. Witzigerweise macht Musk gerade exakt all das ganz offen, was Soros von rechts immer vorgeworfen wird.

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