Journalismus unter Lebensgefahr - Palm-Preis für Medienschaffende aus Belarus und Afghanistan

Von Christian Bartels (KNA)

PRESSEFREIHEIT - Der Johann-Philipp-Palm-Preis geht 2024 an die eingekerkerte Belarussin Maryna Zolatava und an afghanische Reporterinnen - und erinnert an einen recht vergessenen Märtyrer der Meinungsfreiheit.

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Johann Philipp Palm

Foto: CHROMORANGE/Imago/KNA

Berlin/Schorndorf (KNA) Zum zwölften Mal wird am kommenden Sonntag im württembergischen Schorndorf der Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit vergeben. 2024 geht er an Journalistinnen, die "unter lebensgefährlichen Bedingungen" arbeiten, heißt es in der Ankündigung. Preisträgerin Maryna Zolatava, Chefredakteurin des inzwischen verbotenen belarussischen Nachrichtenportals Tut.by, wurde 2023 zu zwölf Jahren Lagerhaft verurteilt und ist in der berüchtigten Frauen-Strafkolonie Gomel eingekerkert. Beim anderen Preisträger handelt es sich um die von Frauen geführte investigative Nachrichtenredaktion "Zan Times" (zantimes.com), die auf Englisch und Persisch aus Afghanistan berichtet. Dort müssen Journalistinnen quasi in "dreifacher Illegalität" arbeiten, sagt Annette Krönert, Mitglied im Vorstand der gemeinnützigen Palm-Stiftung, dem KNA-Mediendienst: "weil sie sich als Frauen nicht in der Öffentlichkeit bewegen dürfen, weil es keine freien Medien gibt und weil die Themen, über die sie berichten wie etwa Frauenrechte, offiziell auch nicht existieren." Aus diesen Gründen werden die Preise nur teilweise persönlich entgegengenommen. An Stelle Zolatavas werden ihr Mann und eines ihrer beiden erwachsenen Kinder, die in Sicherheit in Polen leben, anreisen. Und "Zan Times"-Mitbegründerin Zahra Nader wird aus Kanada kommen, wo sie im Exil lebt. Gerade beschäftige sie sich in den USA mit Non-Profit-Journalism, also der Frage, wie bei der komplett von ausländischen Stiftungen finanzierten Nachrichtenseite die in Afghanistan lebenden, geheim arbeitenden Mitarbeiterinnen entlohnt werden können - etwa durch Lebensmittel. Nader hat angekündigt, ihren zehnjährigen Sohn mitzubringen, damit er seine Mutter einmal auf einer Bühne für ihre Tätigkeit geehrt sieht - und in ihrem Beruf nicht bloß eine Opfergeschichte. Der seit 2002 alle zwei Jahre vergebene, mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Palm-Preis geht oft an Menschen aus Ländern, aus denen wegen geringer Medienfreiheit besonders wenig berichtet wird. "Noch krasser" als Belarus und Afghanistan sei der Jemen, sagt Krönert dem KNA-Mediendienst: "Da spielt sich eine der größten humanitären Katastrophen der Welt ab, völlig abgeschottet von der öffentlichen Wahrnehmung". Von dort kam mit Bushra al-Maktari eine der Preisträgerinnen im Jahr 2020. Die Auswahl der Preisträger erklärt Krönert so: Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, die beiden deutschen PEN-Zentren, Amnesty International, Journalisten helfen Journalisten und die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte schlagen Kandidaten vor, aus denen das dreizehnköpfige Kuratorium meist zwei Preisträger auswählt. "Wir versuchen, den Spagat hinzukriegen, dass wir einerseits eine kleine, lokal verzahnte Stiftung sind und andererseits weltweiten Fokus haben", sagt Krönert, die der Jury selbst nicht angehört. Dabei lege die Stiftung Wert darauf, "keine politische Agenda zu verfolgen" und Unabhängigkeit zu demonstrieren. Beispielsweise sei im Fall des anderen Preisträgers 2020, des in Schweden lebenden Chinesen Gui Minhai, ein Drohanruf aus dem chinesischen Konsulat mit der Frage gekommen, "ob wir wirklich die guten Wirtschaftsbeziehungen von Baden-Württemberg zu China riskieren wollten". Dass individuell gefährdete Journalisten ausgezeichnet werden, orientiert sich am Namensgeber des Preises. "Natürlich überlagert für die meisten Preisträger ihre eigene Situation die historischen Ereignisse. Aber wenn sie davon erfahren, erkennen sie viele Parallelen zur Gegenwart", berichtet Krönert. Johann Philipp Palm wurde 1766 am Marktplatz voller Fachwerkhäuser in Schorndorf, östlich von Stuttgart, geboren - und keine vierzig Jahre alt. Seine Hinrichtung 1806 war "schon zu damaligen Zeiten ein Justizmord". Er wurde auf Befehl des französischen Kaisers Napoleon erschossen, wegen eines missliebigen Büchleins. Der Titel "Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung" könnte heute zu Missverständnissen Anlass geben - und tat das auch in einigen Epochen, nicht zuletzt weil Palm, Bürger der Freien Reichsstadt Nürnberg, ins französisch besetzte, österreichische Braunau verschleppt wurde, wo gut 86 Jahre später Adolf Hitler geboren wurde. Doch handelt es sich bei der 144-seitigen Flugschrift, wie sich im Internet nachlesen lässt, um ein geschliffen formuliertes und gut informiertes, kritisches und teils polemisches Feuilleton auf der Höhe der wirren Zeiten, in denen der französische Kaiser die Landkarten laufend umgestaltete und deutsche Kleinstaaten-Herrscher sich mit größeren Ländern und pompöseren Titel schmückten, ganz ohne ihren Untertanen die in Frankreich kurz zuvor erkämpften neuen Bürger- und Menschenrechten zuzugestehen. Unter anderem kritisierte der Verfasser die 1795 abgeschlossene polnische Teilung ("diese verrufene Zerstückelung eines großen Königreichs"), mit der Polen bis 1918 von den Landkarten verschwand. Das führt insofern wieder nahe an die Gegenwart, als dass weite Teile der heutigen Ukraine und von Belarus so erstmals unter russische Herrschaft gerieten. Wer die Flugschrift verfasste, ist übrigens bis heute unbekannt. Johann Philipp Palm war von Beruf Buchhändler und Verleger (unter anderem französischer Wörterbücher) und wurde ausdrücklich als Verbreiter des missliebigen Textes bestraft. Der Historiker Thomas Schuler, der als einer der führenden deutschen Experten für die Napoleon-Zeit gelten kann ("Auf Napoleons Spuren. Eine Reise durch Europa", 2019), forschte auch in den Archiven der Palm-Stiftung, fand aber ebenfalls keine Hinweise zur Frage nach der Urheberschaft. Was also bedeutet, dass Johann Philipp Palm seine Quelle trotz schwerster Bedrohung vorbildlich schützte - und schon deshalb ein guter Namensgeber für einen weit über 200 Jahre nach seinem Tod vergebenen Medienfreiheits-Preis ist.

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