Bye, bye, Kai! - Als ARD-Vorsitzender hat Kai Gniffke den Laden nach vorn gebracht

Von Steffen Grimberg (KNA)

ARD-VORSITZ - Über zwei Jahre führte SWR-Intendant Kai Gniffke den Anstaltsverbund durchs Land der Reformen. Von Bautzen nach Bitburg - und immer wieder zur Rundfunkkommission der Länder in Mainz. Eine Analyse.

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Kai Gniffke

Foto: Sven Cichowicz/SWR/KNA

Stuttgart/Berlin (KNA) Natürlich ist Kai Gniffke jetzt nicht weg. Was er bei jeder passenden Gelegenheit auch betont. Als Intendant des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) bleibt er der ARD erhalten. Den Vorsitz des Senderverbunds gibt der 64-Jährige, der immer noch jünger aussieht, zum Jahresende an Florian Hager vom Hessischen Rundfunk ab. Hager ist auch wirklich jünger als das Gros der ARD-Intendantinnen und -Intendanten. Dass er mit 48 nach erst drei Jahren im Intendantenamt mit dem HR den Vorsitz übernimmt, ist für ARD-Verhältnisse - sagen wir mal: innovativ. Innovativ muss die ARD aber auch sein. Denn sie mag sich seit 20 Jahren im permanenten Reformprozess wähnen - richtig los ging es eigentlich erst vor rund zwei Jahren. Im November 2022 hatte Tom Buhrow als seinerzeitiger ARD-Vorsitzender und als "Roman Herzog der ARD" seine berühmte Ruck-Rede vor dem Hamburger Überseeclub gehalten. Tenor: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleiben will, wird er anders aussehen. Weniger ist mehr, selbst eine Fusion der Hauptprogramme von ARD und ZDF schloss Buhrow nicht aus. Beabsichtigter Nasenstüber für den wenige Wochen später antretenden neuen Vorsitz oder nicht: Nach dem RBB-Skandal waren alle im öffentlich-rechtlichen Lager aufgeschreckt und hatten sich gefragt, ob Ähnliches auch bei ihnen möglich wäre. Die ernüchternde Antwort bei den meisten Anstalten lautete: Vielleicht nicht so heftig, aber im Prinzip ja. Die Politik legte los, der Zukunftsrat wurde erfunden, und die ARD war hin- und hergerissen, ob sie sich wie üblich zurücklehnen und das Problem auszusitzen versuchen sollte oder nicht. Gniffke warb von Anfang an für Reformen mit Augenmaß. Dabei kam ihm zugute, dass er gleich zwei Dickschiffe der ARD von innen kannte: neben seinem Heimatsender SWR auch noch den Norddeutschen Rundfunk. Hier war Gniffke 16 Jahre lang bei ARD aktuell im Maschinenraum der Nachrichten. Einem ziemlich gehobenen Maschinenraum mit "Tagesschau" und "Tagesthemen", für den (fast) nichts zu teuer war. Mit Gniffke an ebenfalls ziemlich gehobener Stelle: 2003 war er als "Zweiter Chefredakteur" gekommen und wurde 2006 "Erster Chefredakteur" bei ARD-aktuell. Maschinenraum blieb es trotzdem. Denn hier wurde gearbeitet, täglich, aktuell - und nicht (nur) verwaltet. Und trotz der herausgehobenen Stellung bei den wichtigsten Nachrichtenflaggschiffen eines Leitmediums hob Gniffke nicht mit dem Teppich ab, sondern blieb drauf. Wenn andere zum x-ten Mal nach dem ARD-eigenen Nachrichtenkanal verlangten und "tagesschau24" meinten, baute er keine Luftschlösser, sondern verwies nüchtern darauf, dass man so etwas, wenn schon, dann auch seriös betrieben müsse. Was man inhaltlich von der Sache her natürlich könne; bloß koste das Geld, was nicht da sei. Dass Gniffke bei "ARD aktuell" früh mit Kritik und ersten Fundamentalzweifeln am Programm konfrontiert wurde und Transparenz als mögliche Lösung entdeckte, war ein Glücksfall für seine spätere Arbeit im ARD-Vorsitz. Einer muss was sagen, das galt schon damals auch für die ARD. Doch viele duckten sich wahlweise lieber weg oder ergingen sich anstaltsübergreifend in so viel Kakophonie, dass das Ergebnis auch wieder nichtssagend war. Gniffke stieg dagegen selbst in die Bütt und führte den "Tagesschau-Blog" ein, der die Luken zum Hamburger Maschinenraum für bisherige Anstaltsverhältnisse ziemlich weit öffnete. Im internen ARD-Rund gab das jede Menge hochgezogener Augenbrauen - und zur Belohnung 2007 den Grimme-Online-Award. Im Oktober 2018 setzte er sich in Dresden gemeinsam mit dem damaligen ZDF-Chefredakteur Peter Frey zum Thema "Medien und Meinung" auf Einladung der AfD aufs Panel, weil "der Dialog mit dem Publikum wichtig ist und wir allen Betragszahlerinnen und -zahlern unsere Arbeit erläutern sollten". Und auch nach dem Wechsel als Intendant zum SWR 2019 bloggte Gniffke weiter. Intendanten-Allüren sind bei ihm fehl am Platz, schon sein Vorgänger Peter Boudgoust war eher ein im besten Sinne bescheidener Intendant. In der Sache bleibt Gniffke dabei knallhart, ist dabei aber alles andere als beratungsresistent. Zwar sieht, hört und merkt man ihm bis heute an, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Dann umflort schon mal ein mild-vergniffener Ausdruck seine Lippen. Was doch nur belegt: Der Mann ist echt und vergleichsweise offen, auch als Intendant und ARD-Vorsitzender. Anfang 2024 nahm sich Gniffke ein ganzes Wochenende Zeit, um beim Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing nicht nur über die Reform der Öffentlich-Rechtlichen zu diskutieren, sondern in erster Linie zuzuhören. Das unterscheidet ihn wohltuend von manchem Repräsentanten der Politik, wie dem in Tutzing nur mal kurz für einen Auftritt als Großkritiker der Öffentlich-Rechtlichen hereinschneienden sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU). Strategiefähig wurde die ARD auch unter Gniffke nicht, aber er selbst hat eine Strategie, die er auch im Vorsitz vorantrieb: Machen, statt ablocken. Das nahm manchmal leicht seltsame Züge an, wenn er als oberster Aktivist der ARD-Reformen diesen Februar verkündete, 90 Prozent der begonnenen Reformen seien schon geschafft, der öffentlich-rechtliche Rundfunk so wichtig wie nie und seine Akzeptanz sehr hoch. Oder wenn er erklärte: "wir liegen zu 100 Prozent auf der Linie des Zukunftsrats", was bis heute schlicht nicht passt. Schließlich hatte das Gremium der ARD eine Art Konzernstruktur oder zumindest eine zentrale, übergeordnete Lenkungseinheit fürs Erste und alles Gemeinsame verordnen wollen. Auch der Satz: "Ich befinde mich komplett auf einer Linie mit Rainer Robra, dass wir kapiert haben, wohin der Weg gehen muss", war schwer erklärungsbedürftig. Denn Haselhoffs Mann für Medien und die Staatskanzlei weiß immer nur haargenau, was er nicht will. Gniffke meinte nun auch nicht Robras Weg, sondern die Bewegung nach vorn an sich. Denn das von Buhrow im Übersee-Club angestimmte Klagelied: "Alle belauern sich. Medienpolitik und Senderchefs belauern sich. ARD und ZDF belauern sich [...]. Es ist ein bisschen wie Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert" stimmte ja in weiten Teilen. Es ist Gniffkes Verdienst, dass Bewegung heute kein Makel mehr ist. Und sich die ARD tatsächlich in Sachen Teamspirit und gegenseitigem Vertrauen in den zwei Jahren unter dem SWR-Vorsitz gemausert hat. Darauf kann Gniffkes Nachfolger Florian Hager jetzt aufbauen. Wie wenig Gniffke auf Robras Linie ist oder war, zeigt auch nochmal die Verfassungsbeschwerde von ARD und ZDF wegen der ausbleibenden Beitragserhöhung zum 1. Januar 2025. Über deren Sinnhaftigkeit und vor allem den Zeitpunkt kann man trefflich unterschiedlicher Ansicht sein, was der ARD-Vorsitzende auf seiner letzten Pressekonferenz im Amt auch unumwunden zugab. "Wir haben es uns verdammt gut überlegt und wissen, was wir da an Verantwortung übernehmen", so Gniffke, der auch einräumte: "Das Verfahren wird möglicherweise nicht gut sein für uns, für die Länder, vielleicht auch nicht fürs Bundesverfassungsgericht." Es gehe aber nun mal um die Durchsetzung der staatsfernen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Mediensystems. Egal wie Karlsruhe entscheidet, vom ARD-Vorsitzenden und Eifelkind Gniffke wird mehr bleiben als der berühmte Satz, "Arthrose ist in Bautzen genauso unangenehm wie in Bitburg", womit er die Sinnhaftigkeit zu vieler und zu ähnlicher Gesundheitsmagazine bei den Dritten meinte, die jetzt auch ARD-Geschichte sind. Außerdem ist er ja nicht weg. "Da hört ja nichts auf", sagte der Gniffke bei seiner Abschied-vom-Vorsitz-PK: "Die ARD geht weiter - und das ist keine Drohung, sondern eine sichere Erwartung."

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