Frankfurt (KNA) Sie verkleideten sich als Männer, segelten an der Seite rauer Kerle über die Meere und führten eine scharfe Klinge. Geschichtsbücher widmeten ihnen lange Zeit kaum Aufmerksamkeit. Eine Arte-Dokumentation erinnert an die Schicksale vierer ungewöhnlicher Frauen, die sich in einer ausgesprochenen Männerdomäne behaupteten: Sie wurden Piratinnen. Aber: Wie in aller Welt wird man eine Seeräuberin? Und zwar im 17. Jahrhundert, in dem Frauen ja eigentlich nur begrenzte Möglichkeiten offen standen? Im Wesentlichen konnten sie zwischen Kloster, Prostitution oder Heirat wählen. Marie-Anne Dieu-le-Veut, 1661 in der Bretagne geboren, wählte letzteres - allerdings in den Kolonien in Übersee. Auf der Insel Saint-Domingue, heute Haiti, betrug die Sterblichkeitsrate der Siedler etwa 25 Prozent. Marie-Anne war jedoch klug, zäh und konnte sich anpassen. Sie überlebte zwei ihrer Ehemänner und war als verwitwete Plantagenbesitzerin eine begehrte Partie. Sie aber ehelichte den berüchtigten Freibeuter Laurens de Graaf, an dessen Seite sie sich aktiv an Beutezügen beteiligte. Da sie eine gute Klinge zu führen verstand, erhielt sie den Spitznamen "Der Schnitt" (la tallie). Skurriler noch ist das Schicksal der Britin Mary Read, geboren um 1685 in London. Nach dem Tod ihres Mannes heuerte sie, als Mann verkleidet, auf einem Schiff an, das von Piraten gekapert wurde. Sie schloss sich den Seeräubern an und avancierte - an der Seite von Anne Bonny - zur berühmtesten Piratin ihrer Zeit. Im Jahr 1720 schließlich wurden beide von den britischen Behörden gefasst und zum Tode durch den Strang verurteilt. Weil aber beide schwanger waren, musste ihre Hinrichtung verschoben werden: Man wollte keine Unschuldigen mit erhängen. Nicht minder bemerkenswert ist die Geschichte der Französin Louise Antonini, die von der französischen Revolution inspiriert war und in den 1790er Jahren für die Freiheit der schwarzen Sklaven auf Haiti kämpfte. Im wahrsten Sinne ikonisch wurden diese Piratinnen durch Daniel Dafoes berühmtes Buch "A General History of the Pyrates". In der Dokumentation gezeigt wird das Titelbild. Zu sehen ist eine barbusige Heldin mit Säbel, die große Ähnlichkeit hat mit jener berühmten Frauenfigur der Marianne, die auf Eugene Delacroix' etwa 100 Jahre später gemaltem Bild "Die Freiheit führt das Volk" eben jene Freiheit recht freizügig repräsentiert. Unterstützt von Geschichtswissenschaftlern aus Belgien und England schlägt die informative Dokumentation von Laurence Thiriat und Frédéric Malègue einen weiten Bogen von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die Epoche nach der französischen Revolution. Die vier Frauenporträts werden entfaltet vor dem Hintergrund jener kriegerischen Auseinandersetzungen, bei denen es um erbitterte Kämpfe um Ressourcen in den überseeischen Kolonien ging. Frauen, die in diesen Auseinandersetzungen mitmischten, entkamen den traditionell weiblichen Rollen ihrer Epoche. Die Dokumentation würdigt sie als Wegbereiterinnen des Feminismus. Die vier Biografien, so der Tenor der Dokumentation, "stehen auch für all die anderen unbekannten Frauen, die als Männer verkleidet über die Meere fuhren und nie entdeckt wurden". Ist das nicht ein wenig spekulativ? Einige der geschilderten Aspekte werden zuweilen pittoresk überzeichnet. Im Off-Kommentar heißt es etwa, Mary Read "entdeckt einen Lebensstil weit entfernt von einem normalen Soldaten- und Matrosenleben". Die Kommentare fallen zuweilen auch in Klischees zurück, die eigentlich überwunden werden sollen: "Sie liebt es, Piratin zu sein. Sie liebt es zu fluchen, zu trinken, zu rauchen". Um dieses raue Dasein der Seeräuberinnen unter Seeräubern anschaulich zu machen, setzten Laurence Thiriat und Frédéric Malègue neben cartoonartigen Illustrationen auf umfangreiche und aufwendige Nachinszenierungen der historischen Begebenheiten. Dabei werden die vier Piratinnen verkörpert von Fanny Blanchard, Eugenie Anselin, Margaux Wicart und Elsa Rauchs. An der Seite von Piraten, die mit angeklebten Bärten und reichlich Kajal wie in einem B-Movie aussehen, wirken die Action-Szenen zuweilen doch eher unfreiwillig komisch. Das ist schade, denn der holzschnittartige Kulissenzauber lenkt ab von den unglaublichen Geschichten dieser Frauen, deren Schicksale auch ohne holzschnittartiges Reenactment aufregend genug gewesen wäre.