Ingolstadt (KNA) Wilhelm Reissmüller erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 in den bayerischen Bergen. Gemeinsam mit seinem Offizierskameraden Hans von Herwarth schlug er sich durch. Der "Donaubote", seine parteiamtliche NS-Zeitung in Ingolstadt, war verboten, aber die Druckerei existierte noch. Reissmüller und seine Frau Elin, die den Verlag während seiner Abwesenheit im Krieg geführt hatte, verloren keine Zeit, einen Neuanfang zu planen. Es vergingen keine zwei Wochen, bis beide eine Erklärung aufsetzten, um ihrer "innersten katholischen Einstellung" zu folgen. Nach außen las es sich so, als würden sie ihren Verlag dem Bischof von Eichstätt, Michael Rackl (1883-1948), schenken. Tatsächlich wollten sie vermutlich den Zugriff der amerikanischen Militärbehörden auf das Unternehmen verhindern. Die 18 Dokumente aus dem Diözesanarchiv des Bistums Eichstätt, die der KNA vorliegen, finden sich im Akt: "Geplante Übereignung der Reissmüllerschen Druckerei in Ingolstadt an den Bischöflichen Stuhl in Eichstätt". Ein Schreiben in der dritten Person hat offensichtlich Reissmüller selbst oder sein Mitarbeiter Karl Semmler, der die Druckerei leitete, in seinem Auftrag dem Gesuch beigelegt. Darin heißt es: "Dr. Wilhelm Reissmüller ist auf Grund der Verehelichung mit der ältesten Tochter des Sanitätsrates Dr. Liebl seit 1938 Mitinhaber und seit 1940 Miterbe der früheren Firma Druck und Verlag Donaubote Ingolstadt." Tatsächlich war Reissmüller bereits 1935 an der Gleichschaltung der Presse in Ingolstadt wesentlich beteiligt, indem er dem "Donauboten" die katholisch-konservative "Ingolstädter Zeitung" einverleibte. Es war seine erste große Tat beim "Donauboten", wo er Betriebsführer und Verlagsleiter wurde. Gegenüber dem Bischof wurde behauptet, er habe diesen Kauf "ohne irgendeinen Druck und ohne irgendeine Einschaltung der Partei abgeschlossen". Tatsächlich hatte die NSDAP der "Ingolstädter Zeitung" schon seit 1933 gedroht - der SPD-nahe "Ingolstädter Anzeiger" war vom "Donauboten" gleich nach der Machtübernahme durch die Nazis gewaltsam übernommen worden. Am Pfingstsonntag, dem 20. Mai 1945, setzten die Eheleute Reissmüller eine Erklärung auf, zwei knappe Absätze nur, und bekräftigten sie mit ihren Unterschriften. Als zusätzliche Vertrauensmaßnahme besuchte Reissmüller den Bischof gemeinsam mit seinem Kriegskameraden Herwarth. Die Zeitung selbst ist nicht namentlich erwähnt in den Schreiben; allerdings sind Gebäude und Adressen genannt. Zum Verlag zählte neben der Druckerei auch eine Buchhandlung. Elin und Wilhelm Reissmüller betonten, es sei ihr Wunsch "eine katholische Presse wiederaufzubauen und die Drucklegung und den Vertrieb katholischen Schrifttums für die Zukunft sicherzustellen". Ähnlich formulierte es Bischof Rackl dann in seinem Gesuch an die Militärbehörden. Katholischer Glaube und Nationalsozialismus haben sich im Hause Liebl und Reissmüller stets auf das Wunderbarste ergänzt. Sanitätsrat Ludwig Liebl beschäftigte in seiner Klinik einst die Barmherzigen Schwestern. Seine frühe Unterstützung für Hitler brachte ihn in einen Konflikt mit der Bayerischen Volkspartei (BVP), die ihm die Unterstützung der Schwestern entziehen wollten. Liebl besuchte Hitler in der Festungshaft in Landsberg und kehrte mit der Nachricht zurück, Hitler habe ihm persönlich erklärt, "dass der Kampf einzig und allein gegen den Marxismus, also gegen die Linksparteien geführt werden wird, dass aber der Kampf gegen die Geistlichen und kirchlichen Würdenträger keinen Sinn habe". Den "Donauboten" gründete NSDAP-Stadtrat Liebl 1927, weil ihm das völkisch orientierte "Ingolstädter Tagblatt" zu liberal wurde und es Anzeigen von Juden annahm. Sein "Donaubote" hetzte dagegen im Stil des "Stürmers" und des NSDAP-Organs "Völkischer Beobachter" gegen Juden. Am 5. August 1930 überschrieb Leibl einen Artikel ganz offen mit "Judenpogrom in Ingolstadt". Weiter heißt es: "Nun scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, dass in Bälde die Juden wieder aus Ingolstadt hinausmüssen." Am 7. August 1930 wandte sich das Blatt "gegen eine weitere Verseuchung unseres Volkes durch die Juden". Am 31. Januar 1931 veröffentlichte der "Donaubote" dann "ein Verzeichnis der in Ingolstadt ansässigen Juden". Penibel alphabetisch finden sich alle damals 44 Haushalte mit Namen, Beruf und Wohnadresse gelistet. Nach der Machtübernahme verschärft die Zeitung ihre Hetze. "Kauft nicht in jüdischen Geschäften! Geht nicht zu jüdischen Ärzten! Lasst Euch nicht durch jüdische Rechtsanwälte beraten! Ihr versündigt Euch durch Unterstützung des Juden am deutschen schaffenden Volk!", ist dort zu lesen - unterzeichnet von Liebl als Ehrenvorsitzendem der NSDAP-Ortsgruppe. Die Nazis verhalfen dem "Donauboten" in der Folgezeit zur Monopolstellung, indem sie ihm mit Gesetzen zur Gleichschaltung, Einschränkungen, Drohungen und Gewaltanwendung gegen Konkurrenten die Übernahme der anderen Zeitungen ermöglichten. Schon 1932 hatte der "Donaubote" den Status einer parteiamtlichen Zeitung erhalten. Die Auflage war von 200 Exemplaren beim Start 1927 bis 1945 auf 10.000 angewachsen. Von einst vier Zeitungen war 1945 in Ingolstadt nur noch der "Donaubote" übrig geblieben. 1934 hatte Ingolstadts Oberbürgermeister Josef Listl noch 103 Juden unter den Einwohnern gezählt. 1938 meldete er zu den Novemberpogromen: "Die Aktion gegen die Juden wurde rasch und ohne besondere Reibungen zum Abschluss gebracht." Die Stadt sei "judenfrei". Bis dahin hatten erst 38 jüdische Familien und Einzelpersonen Ingolstadt verlassen. Die verbliebenen 43 Personen erlebten die Gewalt, die der "Donaubote" jahrelang herbeigeschrieben hatte. Der 70-jährige David Hubert mit Frau, seit 21 Jahren wohnhaft in Ingolstadt, ertrank in der Donau. Bis heute ist unklar ist, ob das Paar Suizid begangen hat oder von SA-Männern in den Fluss gedrängt und somit ermordet wurde. Reissmüller erlebte das damals in Ingolstadt mit - aber von alledem war nach 1945 keine Rede, als er sich an den Bischof wandte. Zwar sei er Mitglied der Partei gewesen, habe sich jedoch nicht aktiv politisch betätigt, erklärte Reissmüller. Auf die Inhalte seiner Zeitung habe er als Verlagsleiter gar keinen Einfluss nehmen können, sondern sich "ausschliesslich" auf die kaufmännische und technische Führung konzentriert. Er habe "nachweislich nicht eine Zeile politischen oder parteipolitischen Inhalts veröffentlicht ", hieß es in einem der Schreiben von Reissmüller Nicht eine Zeile? An Weihnachten 1938 schreibt "W.R." unter der Titelzeile "Unser Weihnachten" einen bemerkenswerten Text: "Danken wir es dem Führer, in unserem schönen Deutschland mit ganzer Schaffenskraft für unsere Kinder arbeiten zu können ohne für Heim und Hof und Kinder das Schlimmste in der Zukunft befürchten zu müssen. Er hat uns auch das Weihnachtsfest wieder gegeben als das Fest des Lichtes, als unser Fest des großen unverbrüchlichen Glaubens an alles Gute, Schöne und Große und an alles, was des Einsatzes, des Opfers und des unerbittlichen Kampfes wert ist und das umschließt, was 'Deutschland' heißt." Die Übertragung des Verlags wurde auf einer Bischofskonferenz 1945 unter der Leitung von Kardinal Michael Faulhaber (1869-1952) besprochen und von den Bischöfen "aufs Wärmste begrüßt", wie es in einem der Schreiben heißt. Bischof Rackl nahm die Schenkung am 21. Juni 1945 an und besiegelte sie am 8. Juli. Einen Tag später schloss sich Kardinal Faulhaber der Bitte an die amerikanische Militärregierung an, die Übertragung des Verlags an die Kirche zu genehmigen. Am 26. Juli fertigte der Bischof von Eichstätt ein Memorandum, in dem er auf das eigentliche Ziel zu sprechen kam: Neben der "Erledigung von Druckaufträgen der Militär-Regierung" war die "spätere Herausgabe einer Tageszeitung auf christlicher Grundlage" das Ziel. Wie genau die Absprachen dazu bei den persönlichen Treffen mit Reissmüller liefen, ist nicht erwähnt. Kardinal Faulhaber hat bereits am 9. Juli in seiner Zustimmung zur Schenkung festgehalten: "Wir brauchen besonders für die geistige Umschulung der Jugend Verlage wie den oben bezeichneten Verlag." Das Schreiben ist mit Unterschrift und Siegel beglaubigt. Am Tag davor hielt Bischof Rackl in einer Erklärung fest, der Bischöfliche Stuhl wolle "mit dieser Übereignung keine Geschäfte machen, sondern Gutes stiften". Er betonte: "Ausdrücklich möchte ich bemerken, dass es uns in keiner Weise um Politik oder politische Geschäfte zu tun ist. Für uns handelt es sich um religiöse Ziele." Ob auch der Druck einer katholischen Tageszeitung in Frage kommen werde, "hängt von der weiteren Entwicklung ab. Der Wunsch der Regierung wird hierbei von ausschlaggebende Bedeutung sein." Auf die Regierung mag auch Reissmüller gehofft haben, denn dort war sein Freund Herwarth tätig. Die weitere Entwicklung lief jedoch nicht wie gewünscht. Am 13. und 23. Oktober bat Bischof Rackl die Militärregierung wiederholt um notarielle Beglaubigung, da die Militärregierung davor zugesagt habe, es stünde dem Vorhaben "nichts im Wege". Doch dazu kam es nicht. Aus einem der Schreiben geht hervor, dass es Widerstand in Ingolstadt gab - und Reissmüller seine Druckerei inzwischen nicht mehr betreten durfte. Offenbar hatte der von der Militärregierung neu eingesetzte Oberbürgermeister interveniert, weil er selbst Interesse an einer Zeitung hatte. Die Militärregierung verhinderte darauf die Übergabe an den Bischof - zugleich aber auch die Pläne des Oberbürgermeisters. Vielmehr kam es durch die Militärbehörden in Ingolstadt im Dezember 1945 zur Gründung des "Donaukuriers" unter dem Lizenznehmer Joseph Lackas. Reissmüllers Tochter Uta Schäff erinnert sich, wie ihr Vater über Lackas zu Hause wie über den leibhaftigen Teufel geschimpft habe. Das mag auch damit zu tun haben, dass der "Donaukurier" in der sogenannten Lizenzzeit bis zur Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 auch das Entnazifizierungsverfahren gegen Reissmüller thematisierte. Diese vier Jahre waren auf Jahrzehnte hinaus die einzigen, in denen das Blatt über die NS-Nähe von Reissmüller kritisch berichtete. Die Militärbehörden übten "scharfe Kritik" an der Entlastung von Reissmüller, schrieb der "Donaukurier" in seiner Ausgabe vom 12. November 1946. Es sei eine von zahlreichen Fehlentscheidungen, dass die Spruchkammer ihn nicht als Nutznießer des Regimes betrachte, so die Zeitung. Ehemalige Nazis würden sich gegenseitig Persilscheine ausstellen. Belastungszeugen seien hingegen schwer aufzutreiben. Vielmehr brachte sogar der offizielle Ankläger, Karl Semmler, zu Reissmüllers Verteidigung vor, dieser sei im Widerstand gewesen und seine Mitwirkung am 20. Juli 1944 einwandfrei erwiesen. Der Ankläger war nicht interessiert, Reissmüller zu schaden. Denn Semmler war vor 1945 Mitarbeiter im Verlag von Reissmüller und wohnte nach dem Krieg in dessen Druckereigebäude. Darüber hinaus hatte er sich selbst um die Lizenz für den "Donaukurier" beworben; vermutlich in Absprache mit Reissmüller. Im November 1945 war er Reissmüller bereits mit einer eidesstattlichen Erklärung zur Seite gesprungen, dieser sei trotz seiner Parteimitgliedschaft "nie ein Nazi" gewesen. Er, Semmler, habe wie kein anderer das Vertrauen Reissmüllers genossen und dieser habe sich wohl keinem gegenüber so geöffnet über das Nazi-System wie ihm. In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde Reissmüller wegen seiner Parteimitgliedschaft zwar in der Anklage als "belastet" eingestuft. Weil aber auch der wirklich am 20. Juli beteiligte Herwarth ihm Widerstandstätigkeit bescheinigte, wurde er von der Spruchkammer schließlich "entlastet". Semmler war zudem Reissmüllers U-Boot im Verlag und versorgte ihn mit Interna, die den von der Militärbehörde eingesetzten Lizenzträger belasteten und als Versager darstellten. 1949 konnte Reissmüller nach dem Fall des Lizenzzwangs in den Verlag zurückkehren. Ab 1951 leitete er ihn in Personalunion als Verleger, Herausgeber und Chefredakteur. Wie es zu dieser Kontinuität kommen konnte, hat Christoph Markl 1984 in seiner Fallstudie über "Restauration und Konzentration. Zur Entwicklung der Heimatpresse nach 1945" für die Universität München aufgearbeitet. Darin bilanzierte Markl: Die Entstehungsgeschichte des "Donaukurier" scheine "die Annahmen zu bestätigen, dass massive Struktureingriffe in die Presselandschaft während der NS-Zeit und von der amerikanischen Besatzungsmacht wichtige und nicht revidierbare Vorstufen auf dem Weg zur Pressekonzentration ausmachten und hier weit einflussreicher als wirtschaftliche Prozesse wirkten". Die Rückkehr der Altverleger führte zu einer Restauration, die die "Lizenzzeit" als Zeit der Willkür aburteilte - obwohl oder vielleicht gerade weil in dieser Phase unabhängiger über die Altverleger und ihre Rolle(n) in der NS-Zeit berichtet wurde als in den Jahrzehnten danach. Reissmüller profitierte in der Folge davon, dass die Nazis die Zeitungslandschaft in Ingolstadt bereinigt und ihm ein Monopol verschafft hatten. Nur eineinhalb Jahre lang gab es ab November 1949 Konkurrenz mit dem "Ingolstädter Morgenblatt". Reissmüller einigte sich mit dessen Verlag aus Regensburg. Später konnte er eine Reihe von weiteren lokalen Zeitungen aus umliegenden Orten übernehmen und so die Auflage des "Donaukurier" stabilisieren und steigern. Der Historiker Norbert Frei schrieb in seiner Dissertation, 1980 herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte in München: "Die deutsche Presselandschaft, wie sie sich 1945 (etwa für einen alliierten Presseoffizier) ausnahm, vermochte kaum mehr eine Vorstellung zu vermitteln von den Zeitungsstrukturen unmittelbar vor Anbruch des 'Dritten Reiches'. Anstelle von rund 3400 Blättern im Jahre 1933 existierten jetzt nur mehr knapp 1000; in Bayern hatte es besonders einschneidende Veränderungen gegeben: mit rund 100 Zeitungen war bloß noch ein Fünftel übrig geblieben." Diesen ökonomisch-strukturellen Wandel wollten die Alliierten keineswegs rückgängig machen, betonte Frei, weil sie die Situation der Presse in der Weimarer Zeit, die Macht des Pressefürsten Hugenberg und die Abhängigkeit von ihm mitverantwortlich machten für den Untergang der Demokratie und den Aufstieg der Nazis. Es sei den Amerikanern darum gegangen, eine wirtschaftlich lebensfähige demokratische Presse aufzubauen. Darin liegt die bittere Ironie: Wilhelm Reissmüller war mit seinem "Donaukurier" nicht nur Nutznießer der Presse- und Gleichschaltungspolitik der Nazis. Auch die Pressepolitik der Militärbehörden trug - entgegen deren Absicht - dazu bei, dass er mit seinem "Donaukurier" ein Monopol aufbauen, die Stadt wie ein Fürst auf Jahrzehnte hinaus beherrschen und seine eigene NS-Vergangenheit ausblenden konnte. Die nicht gelungene Schenkung an den Bischof war also auch gar nicht nötig. Und tatsächlich wurde der "Donaukurier" eine christliche Tageszeitung. In den Leitsätzen des Redaktionstatuts legte der Verleger 1968 fest: "Die Redaktion bekennt sich zu den christlichen Prinzipien." An Weihnachten und Ostern veröffentlichte Reissmüller regelmäßig umfangreiche Beiträge zu Glaubensfragen. Seine "Predigten" nannte das die Ingolstädter Künstlerin Liselotte Spreng. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Emmi Böck, die Sagen aus vielen bayerischen Orten sammelte, fertigte sie 1971 eine Collage: eine Nachbildung der Monstranz der Ingolstädter Asamkirche Maria-de-Victoria. In der Mitte trug sie statt einer Hostie das aufgeklebten Porträt von Reissmüller. Ihr Titel: "Jesus in schlechter Gesellschaft." Den Titel habe man wegen seiner zur Schau getragenen katholischen Besessenheit, aber auch wegen seiner NS-Vergangenheit gewählt, sagt sie der KNA. Der Kunstverein versteigerte damals die Collage in einer Weihnachtsaktion. Reissmüller klagte vergeblich gegen die Hersteller der Collage. Nach fünf Jahren wurde das strafrechtliche Verfahren eingestellt.