Die Reform der Räte - Sondergeld: "Über bessere Repräsentation der Bevölkerung nachdenken"

Von Steffen Grimberg (KNA)

GREMIEN - In der vergangenen Woche hatte die Otto-Brenner-Stiftung in einer Studie die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den Prüfstand gestellt. Jetzt reagiert der GVK-Vorsitzende Klaus Sondergeld von Radio Bremen.

| KNA Mediendienst

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Dr. Klaus Sondergeld

Foto: Frank Thomas Koch/Radio Bremen/KNA

Bremen (KNA) In der vergangenen Woche hat die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung eine Studie zu den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgelegt, die zahlreiche Mängel konstatiert und Empfehlungen für Verbesserungen gibt. Klaus Sondergeld ist seit 2016 Vorsitzender des Rundfunkrats bei Radio Bremen und hat zum Jahresanfang den Vorsitz der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD übernommen, in der alle Rundfunk- und Verwaltungsratsleitungen des Senderverbundes zusammenkommen. Diese Aufgabe übernimmt Radio Bremen im Rahmen des ARD-Vorsitzes des Hessischen Rundfunks, der hierbei eng mit der kleinsten ARD-Anstalt zusammenarbeitet. KNA-Mediendienst: Herr Sondergeld, die Otto-Brenner-Stiftung hat sich mit den Gremien des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks beschäftigt. "Im öffentlichen Auftrag" heißt die Studie. Schon gelesen? Klaus Sondergeld: Aber sicher. Ich finde es sehr gut, dass man sich mit den Gremien beschäftigt, weil deren Bekanntheit ja ein bisschen zu wünschen übrig lässt - was der Autor der Studie auch zurecht aufspießt. Alles, was hilft, das zu verbessern, ist sehr willkommen. Ich bin nur sehr verhalten glücklich damit, da die Studie bei allem Bemühen um konstruktive Kritik große Schwächen in der Theorie wie in der Empirie hat. MD: Was meinen Sie hier genau? Sondergeld: Die Arbeit baut sehr auf Zählungen auf, und dabei sind dem Autor leider eine Reihe von Versehen passiert. Ich habe das jetzt nur für Radio Bremen überprüft: Die Mitgliederzahlen für den Rundfunkrat sind nur in der Tabelle "Religionsgemeinschaften" korrekt - sicher göttliche Fügung. Die Studie wertet die Gremienzusammensetzung einmal nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts aus, was die Zahl der Vertreter politischer oder staatlicher Institutionen angeht. Und dann führt sie eine neue Zählweise ein, wer von den Rundfunk- oder Verwaltungsräten nachweislich Mitglied einer Partei ist. Wenn man das für Radio Bremen ausrechnet, kommen - sogar ganz im Sinne der Kritik - bei der von Parteien oder dem Staat entsandten Gruppe nicht 24, sondern 26 Prozent heraus, und nach der neuen Zählweise sind es in der Gesamtsumme nicht 41, sondern 43 Prozent mit Parteibuch. Auch bei Bremer Institutionen und Verfahren gibt es leider gravierende Irrtümer. Ich habe auch schon Rückmeldungen bekommen, dass es solche Versehen offenbar auch bei anderen Sendern gibt. Was sollte man da wohl am besten Autor und Herausgeber empfehlen? MD: Was halten Sie denn von der Betrachtung der Gremien nach Parteimitgliedschaft? Sondergeld: Da sind wir bei der methodischen Schwäche. Die Studie setzt zwei Variablen miteinander in Ursache-Wirkungs-Beziehung: den Parteieinfluss und die Gremienarbeit. Es gibt aus meiner Sicht aber eine dritte maßgebliche Variable. Denn sowohl die Parteizugehörigkeit wie auch die Bereitschaft zur Gremienarbeit hängt doch davon ab, dass es Menschen gibt, die bereit sind, sich für öffentliche Belange und die Gemeinschaft zu engagieren und dafür freie Zeit zu opfern. Und deshalb sind sie zum einen auch eher in einer Partei und zum anderen lassen sie sich auch eher von gesellschaftlich relevanten Gruppen, in denen sie sich engagieren, für eine Mitarbeit in Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewinnen. Die geeignete Methode wäre eine Befragung der Gremienmitglieder nach ihrem Selbstverständnis gewesen, gern unter Einschluss der freiwilligen Angabe einer Parteizugehörigkeit; das brächte wahrscheinlich auch validere Zahlen. So werden engagierte Bürgerinnen und Bürger ohne theoretische Herleitung unter Verdacht gestellt, sich parteipolitisch instrumentalisieren zu lassen. Man kann durchaus einer Partei angehören und trotzdem nach bestem Wissen und Gewissen unabhängig für die Interessen der Allgemeinheit eintreten. MD: Welche Rolle spielt denn die Parteimitgliedschaft im Gremienalltag? Sondergeld: Es ist mir in meinen neun Jahren im Rundfunkrat von Radio Bremen noch nicht untergekommen, dass das eine große Rolle gespielt hätte und zum Beispiel versucht worden wäre, das Programm zu beeinflussen. Denn das ist ja die entscheidende Frage: Wird die Rundfunkfreiheit gefährdet? MD: Sie sind seit diesem Jahr auch GVK-Vorsitzender. Die Studie weist große Unterschiede zwischen den einzelnen Anstalten, auch innerhalb der ARD, aus. Nach dem RBB-Skandal wurde zum Beispiel die Ausstattung der Gremienbüros als unzureichend kritisiert. Hat sich da etwas verbessert? Sondergeld: Da hat sich viel getan in den letzten Monaten, auch weil mit dem dritten und vierten Medienänderungsstaatsvertrag neue Aufgaben auf die Gremien zugekommen sind. Darauf mussten alle reagieren - bei Radio Bremen hat sich die Besetzung fast verdoppelt, von bescheidenen 1,5 auf ganze 2,5 Stellen. Die neuen Aufgaben führen zudem dazu, dass die Gremienarbeit auch für die, die sie ehrenamtlich machen, noch anspruchsvoller wird. Hoch qualifizierte, unabhängige Hauptamtliche an der Seite zu wissen, ist da eine große Hilfe. Wir müssen schauen, ob es hier nicht weiteren Nachbesserungsbedarf gibt, wenn der Reformstaatsvertrag in Kraft tritt, der zum Beispiel der neuen Gremienvertreterkonferenz erstmals gesetzlich eine Aufsichts- und Koordinationsfunktion zuweist. MD: Apropos anspruchsvolles Ehrenamt: Die Studie zeigt auch erhebliche Unterschiede, was die Aufwandsentschädigungen für die Gremienmitglieder angeht. Wird man da aus Sicht von Radio Bremen neidisch, weil es bei den größeren Anstalten deutlich mehr gibt? Sondergeld: Die allermeisten, die ich kenne, machen das gewiss nicht, weil es ein zusätzlicher Broterwerb ist. Sondern weil sie das wichtig finden. Als Rundfunkratsvorsitzender von Radio Bremen arbeite ich für 155,70 Euro Aufwandsentschädigung im Monat, da gibt es auch für den GVK-Vorsitz keinen Cent mehr. Ich persönlich würde es auch machen, wenn es gar nichts dafür gäbe. Was scherzhaft gesagt bei mir auch daran liegt, dass ich weder Heimwerken kann, noch Gärtnern. Ich kann auch keine Musik machen, also bleibt mir nur so etwas übrig. MD: Wie bewerten Sie denn die "Rückkopplung" der Gremien in die Gesellschaft? Die Studie bemängelt, dass es diesen Rückkanal kaum gibt. Sondergeld: Es gibt immer wieder den Appell an alle: Bitte tragt doch die Anliegen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in eure entsendenden Organisationen zurück. Das ist aber natürlich zusätzlicher Aufwand, und das Interesse ist eher gering - es sei denn, irgendetwas läuft schief. Wir haben uns beim letzten Tag der offenen Tür bei Radio Bremen als Rundfunk- und Verwaltungsrat gut sichtbar mit einem Stand "Wir sind die Aufsicht" hingestellt und waren mit Abstand die einsamsten Menschen auf dieser ganzen Veranstaltung. Von den rund 6000 Menschen, die da unterwegs waren, haben gerade mal fünf bei uns verweilt. MD: Die Studie übt nicht nur Kritik, sondern präsentiert auch mehrere Verbesserungsvorschläge. So könnten die Gremien deutlich mehr Öffentlichkeitsarbeit machen. Und zwar eigene, nicht abhängig von der Senderpressestelle. Sondergeld: D'accord. Und klar, wir könnten auch hier noch eine Leistungsanalyse und da noch einen Bericht mehr machen. Aber das macht alles Arbeit und kostet am Ende Geld. Auch Öffentlichkeitsarbeit macht sich ja nicht von alleine. Man muss bei solchen Forderungen immer auch dazu sagen: Die Budgets müssten steigen, dafür müssten Stellen her: Letztendlich bedeutet das Beitragssteigerung statt Beitragsstabilisierung. MD: Die Studie empfiehlt zudem, die Besetzungsverfahren für die Gremien zu überdenken und fordert mehr Bürgerbeteiligung und eine Karenzzeit zwischen politischer Betätigung und einem Mandat im Rundfunkrat. Sondergeld: Auch da bin ich großer Fan des Radio Bremen Gesetzes (RBG), wo so etwas schon drinsteht. Bei uns darf man frühestens 18 Monate nach dem Ausscheiden aus einem politischen Amt in die Gremien. Mehr Bürgerbeteiligung ist ebenfalls sehr überdenkenswert. Ich finde gut, dass jetzt im neuen SWR-Staatsvertrag - ähnlich wie im RBG - geplant ist, drei Sitze nicht für Organisationen vorzusehen, sondern überdies ausdrücklich für die Altersgruppe 18 bis 25 öffentlich auszuschreiben. Allerdings fehlen auch der Medienwissenschaft überzeugende Konzepte, wie sich eine gute Repräsentation der Bevölkerung in den Gremien schaffen ließe. Darüber hätte sich die Studie gern einmal Gedanken machen können, statt einmal mehr plakativ Defizite festzustellen. Ich habe da auch keine Patentlösung in petto. Aber wir - Medienpolitik, Medienwissenschaft und Gremien - sollten uns gründlich Gedanken machen, wie das besser gehen könnte und fundierte Ideen entwickeln, wie eine gelingende Repräsentation der Bevölkerung aussehen könnte. MD: Ein weiterer Vorschlag ist die Dokumentation von Qualitätsdiskussionen über das Programm und den damit verbundenen Beschwerdeverfahren. Würden Sie da auch mitgehen? Sondergeld: Auch das machen wir schon. Das Radio Bremen Gesetz sieht eine Publikumsstelle vor. Diese berichtet über alle eingehende Kritik und alle weiteren Eingaben quartalsweise an den Rundfunkrat, dazu kommt noch ein Jahresbericht, der auch auf der Website veröffentlicht wird (momentan hinken wir krankheitsbedingt da etwas hinterher). Das finde ich sehr nachahmenswert - das muss aber jedes Bundesland - falls nicht eh schon anders oder besser geschehen - für seine Anstalt regeln. MD: Im Reformstaatsvertrag ist zudem ein weiteres Gremium, ein allen öffentlich-rechtlichen Anstalten übergeordneter Medienrat, geplant. Die Studie bewertet dies eher kritisch. Wie sehen Sie das? Sondergeld: Der Autor meint, das schwäche die gerade gestärkte Gremienaufsicht wieder. Da bin ich anderer Meinung. Es ist ein verständliches Anliegen der Medienpolitik, einen Blick auf das ganze System von oben zu bekommen, sozusagen den Helikopterblick. Den kann kein einziges Aufsichtsgremium der zwölf öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland liefern, weil sie dafür schlicht nicht zuständig sind. Den Medienrat sehe ich daher als Ergänzung und Unterstützung der bestehenden Gremienaufsicht, wenn das mit Augenmaß gemacht wird und daraus keine 200-Personen-Behörde entsteht. MD: Letzte Frage an Klaus Sondergeld ganz persönlich - wir haben am Anfang viel über Parteibücher gesprochen: Haben Sie auch eins? Und wie schnell wird es gehen mit der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Sondergeld: Ich bin 1978 als 25-jähriger Student in Münster in die SPD eingetreten und seither mal mit mehr, mal mit weniger Verzweiflung dabeigeblieben. Was die Reformen angeht, muss man auch ein bisschen Geduld haben mit großen Systemen. Statt stets mit "großer Geste" Anforderungen zu steigern, wie Armin Nassehi warnt - oder permanent zum "PuPSen" zu neigen, wie ich gern sage. Wobei "PuPS" für die Selbstüberforderung unserer Gesellschaft steht durch "Purismus, Perfektionismus und Sofortismus".

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