London/Berlin (KNA) Als Anfang dieser Woche in London die Spitze der britischen BBC routinemäßig dem Medien- und Kulturausschuss Rede und Antwort stand, sah die Tagesordnung zunächst ganz anders aus. 2027 steht die "Royal Charta", gewissermaßen der Rundfunkstaatsvertrag für die BBC, zur Verlängerung an. Alle zehn Jahre besteht dann - zumindest theoretisch - die Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Sender ganz abzuschaffen. Unter der letzten konservativen britischen Regierungen stand es um die BBC nicht gut. Das Auslaufen der bisherigen Finanzierung über eine Gerätegebühr, wie sie bis 2012 auch in Deutschland üblich war, galt als beschlossene Sache. Und die damalige Medienministerin Lucy Frazer machte keinen Hehl daraus, dass die BBC keine komfortable Regelung wie den deutschen Rundfunkbeitrag erwarten dürfte, sondern sich auf ein Subscription-Modell wie bei Netflix oder im Pay-TV einstellen sollte. Seit einem guten halben Jahr regiert die Labour Partei, Frazers Nachfolgerin ist die 45-jährige Lisa Nandy. Das Klima ist für die BBC wieder merklich entspannter, doch in der Ausschuss-Sitzung waren BBC-Director General Tim Davie und BBC-Chairman Samir Shah ähnlich in der Defensive wie zu Tory-Zeiten. Was an der Dokumentation "Gaza: How to Survive a Warzone" (Gaza - wie man im Kriegsgebiet überlebt) liegt. Sie folgt dem Schicksal junger Menschen im Gaza-Krieg und zeigt deren Elend, Leid und Überlebenswillen. Die Kritiken zur Erstausstrahlung am 4. Februar waren durchweg positiv. Erzählt wird das Ganze auf Englisch vom damals 13-jährigen Abdullah Al-Yazouri als Off-Kommentator. An ihm entzündet sich jetzt der Streit. Al-Yazouris Vater ist der stellvertretende Landwirtschaftsminister in der von der Hamas geführten Regierung im Gaza-Streifen. Er wird von Befürwortern des Films als eher unpolitischer Technokrat und Experte beschrieben. Die Hamas wird in Großbritannien wie in Deutschland als terroristische Organisation geführt. Kritiker werfen der von der Produktionsfirma Hoyo Films für die BBC produzierten Dokumentation außerdem Whitewashing vor, da in der englischen Übersetzung abwertende arabische Begriffe für Juden oder die Bezeichnung Jihad abgeschwächt worden seien. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatte der Sender zunächst den Film im iPlayer, der BBC-Mediathek, mit entsprechenden Hinweisen zu Abdullah Al-Yazouris Vater versehen, ihn dann aber am 21. Februar offline gestellt. Zur Begründung hieß es, "redaktionelle Grundsätze" der BBC seien bei der Produktion und Abnahme des Films nicht eingehalten worden; zudem mehrten sich Stimmen, die der Doku Einseitigkeit vorwarfen. Aktuell arbeitet die BBC den Fall im Rahmen einer vertieften Untersuchung unter Leitung des für redaktionelle Beschwerden und Überprüfungen zuständigen "Director of editorial complaints and reviews", Peter Johnston, auf. Während Davie, als Director General und Intendant auch oberster Journalist der BBC, vor dem Parlamentsausschuss "schwere Verfehlungen" einräumte, aber auch auf die weiterhin hohe Glaubwürdigkeit der BBC bei den Nutzern hinwies, legte Chairman Shah los: Der Vorgang sei ein "Dolchstoß" für das Vertrauen in die Integrität und die Ausgewogenheit der BBC, für den er nicht nur die Produktionsfirma, sondern auch das BBC-Personal verantwortlich halte. "Die Leute haben ihre Arbeit nicht gemacht", sagte Shah mit Blick auf die Abnahme des Films und interne Verantwortlichkeiten im Sender. Denn eigentlich seien die redaktionellen Leitlinien und Standards der BBC "sehr gut, es lag nicht an fehlenden Prozessen" - vielmehr seien diese nicht angewendet worden. Davie rechtfertigte sich, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen des jungen Erzählers von Hoyo Film nicht transparent gemacht worden seien. Obwohl unter anderen der ehemalige BBC-Sportexperte Gary Lineker und andere Prominente wie die Schauspielerinnen Ruth Negga, Juliet Stevenson und Miriam Margolyes forderten, den Film wieder online zu stellen, erklärte Davie, er habe das "Vertrauen in die Produktion" verloren und daher die endgültige Sperrung persönlich angeordnet. Die Produktionsfirma Hoyo Films unterstützt nach eigenen Angaben die interne BBC-Aufklärung, bekräftigt andererseits aber auch, es handele sich "um eine wichtige Geschichte, die erzählt werden muss". Die Stimmen der jungen Protagonisten, "die keinerlei Einfluss auf den Krieg haben, sollten gehört werden". Die eigentlich vorgesehenen Themen der Sitzung gingen dabei fast unter. Shah berichtete, dass der wegen Kinderpornografie entlassene Moderator Huw Edwards die von der BBC zurückverlangten 200.000 Pfund nicht bezahlt habe. Edwards war im September letzten Jahres zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden; bei der Summe geht es um Lohnfortzahlungen, die Edwards als einer der höchstbezahlten BBC-Angestellten während der Zeit seit seiner Verhaftung im November 2023 und seinem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen im April 2024 erhalten hatte. Edwards Verhalten sei "nicht zulässig", sagte Shah, der als Chairman der BBC dem obersten Aufsichtsgremium des Senders vorsteht. Edwards habe "Geld der Gebührenzahler erhalten. Er wusste, was er getan hatte, und sollte das Geld jetzt zurückgeben." Und dann ging es doch noch um die Zukunft der BBC und ihrer Finanzierung. Ob Labour möglicherweise über 2027 hinaus an der bisherigen, gerätebezogenen Rundfunkgebühr festhalten will, ist derzeit noch offen. Die Regierung plant aber, das Nichtzahlen dieser "Licence Fee" zu entkriminalisieren. Anders als in Deutschland gilt die Zahlungsverweigerung in Großbritannien als Straftatbestand. Sollte diese Drohkulisse wegfallen, rechnet die BBC nach eigenen Angaben mit Ausfällen in Millionenhöhe. Aktuell beträgt die Rundfunkgebühr, die nur für TV- und Online-Empfang fällig wird, 169,50 Pfund (umgerechnet rund 202 Euro) pro Jahr. Shah schlug vor, die Regierung könne hier der BBC entgegenkommen und die Kosten übernehmen, welche die BBC über ihre Mitfinanzierung des Auslandssenders BBC World Service trage und den Sender für die Freistellung von über 75-Jährigen mit kleinen Renten von der "Licence Fee" entschädigen. Die Kosten für diese Freistellungen liegen laut BBC bei rund 250 Millionen Pfund (knapp 300 Mio. €) im Jahr. Davie brachte außerdem die Möglichkeit ins Spiel, die Rundfunkgebühr in Zukunft insgesamt progressiv zu berechnen, so dass einkommensstarke Gruppen mehr bezahlen als Geringverdienende.