Bonn (KNA) Der Beginn fühlt sich tatsächlich so an, als würde man selbst im Rennwagen sitzen. Stakkatoartig hintereinander geschnittene Beschreibungen von Zeitzeugen, Rennfahrern und Historikern kommentieren die Besonderheiten einzelner Streckenabschnitte des Nürburgrings. Denn jede einzelne Kurve auf diesem mehr als 20 Kilometer langen Rundkurs hört nicht nur auf einen eigenen Namen - wie beispielsweise die Sabine-Schmitz-Kurve, das Schwedenkreuz und Galgenkopf. An einigen dieser Orte ereigneten sich auch spektakuläre Crashs wie der Feuerunfall von Nicki Lauda im 1976, der in die Historie des Rennsports einging. Zum 100-Jahr-Jubiläum des ersten Spatenstichs im Jahr 1925 blicken Oliver Lau und André Schäfer zurück auf die bewegte Geschichte des Nürburgrings. Einstige Rennfahrer wie Hans-Joachim Stuck, der selbst noch als Formel-1-Pilot auf der Nordschleife unterwegs war, sowie Ralf Schumacher lassen in ihren Erzählungen die Faszination dieses Rennkurses aufblitzen. Illustriert mit einer Fülle sehenswerter Archivaufnahmen, schaut die Dokumentation auch zurück auf die Anfangsphase des Projekts. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Faszination des Motorsports sollte in der strukturschwachen Eifel, im Volksmund "Preußisch-Sibirien" genannt, die Wirtschaft und den Tourismus ankurbeln. Trotz einigen Unterbrechungen durch die Weltwirtschaftskrise sowie den Zweiten Weltkrieg war dieses Projekt überaus erfolgreich. Und so macht der Film in seinen stärksten Momenten durchaus spürbar, warum bis zu 300.000 begeisterte Zuschauer in dieses Niemandsland zwischen Koblenz, Bonn und der französischen Grenze pilgerten. Archivaufnahmen aus den 1970er Jahren zeigen campende Besucher am Streckenrand. Man sieht ein knutschendes Pärchen, derweil ein anderer Rennsportfan Ravioli aus der Dose isst. Kein Zweifel an der Eifel: Der Nürburgring ist ein Megaevent. Während einer Retro-Veranstaltung ertönt es aus den Lautsprechern am Streckenrand: "Schalten Sie Ihre Handys auf Aufnahme. Dann haben Sie einen wunderbaren Klingelton". Der Motorenlärm entwickelt eine kultische Dimension. Wenn Zuschauer hautnah verfolgen, wie kreischende Boliden mit 1.500 Pferdestärken unter der Haube vorbeirasen, dann vermittelt sich das Gefühl, als ob hier jenseitige Kräfte aus Metall, Gummi und Benzin entfesselt werden. Deshalb nannte man den Nürburgring die "grüne Hölle". Diese von Lärm, Kraft und Geschwindigkeit entfachte Euphorie, deren Funken in einigen Momenten durchaus überspringt, nimmt im Laufe des Films kontinuierlich ab. Berührend ist allenfalls noch der Rückblick auf Sabine Schmitz, die als einzige Frau das prestigeträchtige 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring zweimal gewann (1996 und 1997) und 2021 einem Krebsleiden erlag - worauf eine Kurve des Rundkurses nach ihr benannt wurde. Doch der thematisch mäandernde Film verzweigt sich schließlich in kleine und kleinste Geschichten und Geschichtchen. Unpointiert nachgezeichnet wird etwa, wie das Land Rheinland-Pfalz den Ring zu einem Erlebnispark erweitern wollte und daran kläglich scheiterte. Dass der für den Steuerzahler entstandene Gesamtschaden sich Schätzungen zufolge auf 330 Millionen Euro aufsummierte, wird vergleichsweise undifferenziert zusammengefasst. Seit einem Jahrzehnt gehört der Nürburgring mehrheitlich einem russischen Milliardär, über den im Film aber dann nicht viel zu erfahren ist. Die Dokumentation erinnert natürlich auch daran, dass das Festival "Rock am Ring" zu den größten Musikfestivals in Deutschland zählt. Doch während des Übergangs vom Motorsport zur heutigen Nutzung des Nürburgrings für alle möglichen Großveranstaltungen entsteht der Eindruck, als wäre der Film irgendwo thematisch aus der Kurve getragen worden. Die Dokumentation mutet an wie ein Rennwagen, dem mitten auf der Strecke das Benzin ausgeht. Dieses Gefühl ist maßgeblich der gegenwärtigen Entwicklung der Automobilität geschuldet. Mit diplomatisch gewählten Worten windet Ralf Schumacher sich vor der Kamera, um nicht direkt sagen zu müssen, dass er Formel-1-Rennen mit Elektroautos nicht wirklich prickelnd findet. Der Film ist ein melancholischer Abgesang auf eine hundertjährige Epoche - nicht nur des motorisierten Rennsports, sondern des Verbrenners schlechthin. Dieses relevante Thema wird am Ende leider nur gestreift. Und so endet der Marathon für Mensch und Motor damit, dass die anfängliche Faszination einer Nostalgie weicht, die sich allerdings kaum noch vermittelt.