Berlin (KNA) Das Wort "fast" gibt es auf deutsch und auf englisch. Wenn im hochgradig anglisierten Medienbranchen-Jargon von FAST-Channels die Rede ist, hilft die englische Übersetzung "schnell" nicht sehr weit. Das Akronym steht für "Free Ad-Supported Streaming" oder "Free Ad-Supported Streaming TV", also kostenloses, werbefinanziertes Streamingfernsehen. Es ist tatsächlich fast so etwas wie altbekanntes (Privat-)Fernsehen. Der Begriff bezeichnet eine kaum zu beziffernde, schon im deutschen Sprachraum deutlich dreistellige Anzahl von Kanälen, die rund um die Uhr, also linear, sehr viele Folgen nur einer Fernsehserie oder -reihe oder sehr viele Inhalte von der gleichen Programmfarbe zeigen. Ansehen lassen sich solche Kanäle im Prinzip überall, wo man Bewegtbilder sehen kann. "Wir sind auf allen möglichen Geräten vertreten: Smart TV, Gaming-Konsolen, in Deutschland auch auf der Telekom Magenta TV-Box, bei Amazons Fire-TV, Apple TV", sagt Olivier Jollet. Der Franzose ist International General Manager der Paramount-Tochter Pluto TV, die an die 200 deutsche FAST-Kanäle betreibt und ihren europäischen Hauptsitz in Berlin-Friedrichshain hat. Auf mit dem Internet verbundenen, daher gern "smart" genannten Fernsehgeräten kann man sich Apps von Pluto oder Wettbewerbern wie dem schweizerischen Wedotv runterladen. Außerdem platzieren Fernsehgeräte-Hersteller FAST-Angebote prominent auf den Startseiten ihrer Geräte. Samsung gilt als weiterer wichtiger Akteur im deutschen FAST-Geschäft und ist nach eigenen Angaben mit dem Angebot Samsung TV Plus auf rund zehn Millionen Samsung Smart-TVs in Deutschland vorinstalliert, auch der ebenfalls aus Südkoreaa stammende Wettbewerber LG mischt im Markt mit. Ähnlich verfahren Betreiber von Kabelnetzen, von denen es neben dem deutschen Marktführer Vodafone viele kleinere gibt. Und wenn die ProSiebenSat.1-Streamingplattform "Joyn" (MD 29/24) unter anderem darauf stolz ist, in ihrem nonlinearen Angebot "an die hundert Kanäle" zu bieten, gehören auch hier allerhand FAST-Kanäle dazu. Via Apps auf Mobilgeräten sowie einfach im Browser via Internet lässt sich vieles ebenfalls ansehen. "Über 80 Prozent unseres Konsums findet auf Big-Screen-Geräten statt, also auf Bildschirmen, die wie klassisches Fernsehen von der Couch aus gesehen werden", präzisiert Jollet im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst. Der FAST-Trend kommt, wie das meiste im Medienbereich, aus den USA. Dort, wo Kabelgebühren weiterhin deutlich teurer sind als in Deutschland, etablierte sich die Möglichkeit, Fernsehen ohne eigene Kosten werbefinanziert zu schauen, schnell. Pluto sei 2014 als Start-up belächelt worden, als das völlig werbefreie Netflix allen noch als das Nonplusultra erschien, erzählt Jollet. Doch die Gründer hätten an die Zukunft der Werbefinanzierung geglaubt: "Werbung hat die besten Serien der 1980er, 1990er und bis in die 2010er Jahre hinein finanziert", sagt er. Und auch der Glaube an lineares Fernsehen bestehe weiter: "Die Leute wollen nicht jedes Mal, wenn sie ein bisschen Entertainment brauchen, 20 Minuten lang suchen. Unser Ziel war, die Qual der Wahl zu lösen." Auf den "Leanback"-Faktor, also dem Vermeiden, unter jeder Menge spektakulärer Angeboten auswählen zu müssen und dadurch in Stress zu geraten, beziehen sich alle FAST-Anbieter gern. Zum kaum unüberschaubaren Angebot der etwa 200 Pluto-TV-Kanäle in Deutschland gehört vor allem Bekanntes aus länger vergangenen Jahrzehnten. "South Park"-Zeichentrick, "Denver-Clan", "Rauchende Colts"-Westernfolgen, "Fury"-Pferdeabenteuer und "Reich und schön", - mit über 9.000 Folgen eine der am längsten laufenden Serien. Deren Heimatsender CBS gehört inzwischen zum häufig umgemodelten Paramount-Konzern, genau wie MTV, das viele Musikkanäle beisteuert. "Library Content", sagt der perfekt Deutsch sprechende Jollet. "Kids", "Mystery & Paranormal", "Food & Lifestyle" heißen Rubriken, in denen sich weitere Serien-Kanäle sowie Sammelkanäle finden. "Wenn wir einen Western-Channel haben, steckt da 100 Prozent Western drin, und die Fans lieben das", erklärt Jollet das "selbsterklärende" Kanäle-Prinzip. Inhalte kommen von rund 300 Lizenzgebern. Nachrichten gibt es von CNN auf englisch, von Euronews auf deutsch und zwischendurch auch im "Spiegel TV"-Channel, der laut Eigenwerbung "rund um die Uhr Magazinbeiträge, Reportagen und Dokumentationen" sendet. Türkische Serien laufen auf türkisch mit gut gesetzten deutschen Untertiteln - dazu kommen noch ziemlich viele deutsche Produktionen. "'Hausmeister Krause' funktioniert bei uns supergut", sagt Jollet und nennt das "Nostalgie-Content". Es gibt deutsche Telenovelas, deutsche Krimis, "Familie Dr. Kleist", "Auf Achse", Olli Dittrich als "Dittsche". Auch für die Anke-Engelke-Comedy "Ladykracher" gibt es einen eigenen Kanal, die in acht Staffeln als Brainpool-Produktion für Sat.1 auf keine hundert Folgen kam. "Wir versuchen, bei jedem Channel mindestens 100, besser 150 Stunden Content zu haben", erläutert Jollet. Aber es gebe "sehr viel Refresh". Heißt: Monatlich sollten rund 20 Prozent neue Inhalte auf den Channels erscheinen. "Und wenn wir sehen, dass die Watchtime per User oder die Wiederkehrrate runtergehen, verschwinden Channels auch wieder", so Jellet. Drei bis zehn neue Channels gehen derzeit pro Monat an Start. Einen rein schwarz-weißen Channel gibt es auch - die "Der Kommissar"-Krimifolgen der 1960er Jahre. "Nicht unbedingt, was wir suchen. Die Leute haben immer größere Fernseher, auf denen alte Produktionen recht pixelig aussehen können. Aber 'Der Kommissar' ist ein gutes Beispiel dafür, dass für alte Produktionen ein begeistertes Publikum gibt", sagt Jollet. Das deutsche Angebot besteht so zu großen Teilen aus öffentlich-rechtlichen Produktionen. Für Pluto TV macht das keinen Unterschied. Freilich ist die umfassende Online-Vermarktung der riesigen Programm-Bibliotheken öffentlich-rechtlicher Anstalten durch kommerzielle Tochter- und Enkelfirmen dem Privatsender-Verband Vaunet ein Dorn im Auge. Vor allem ZDF-Studios ist umtriebig. Allerhand Aufmerksamkeit erregte im Oktober 2023 die Ankündigung des exklusiv auf Samsung-Geräten verfügbaren "Bares für Rares"-Channels. Stoff genug gibt es: Von der seit 2013 produzierten "Trödel-Show" mit Horst Lichter liegt eine hohe vierstellige Zahl an Folgen vor. "Die klassischen Sender investieren in ihre Streamingplattformen, um jüngere Zielgruppen zu erreichen", sagt Jollet mit Blick auf Öffentlich-Rechtliche wie Private, "wir haben genau diese jüngere Zielgruppe". Der Altersdurchschnitt liege laut Marktforschung bei 37 Jahren. Tatsächlich erscheinen auf Pluto-TV-Unterbrecherwerbung genau die Lebensmittel- und Süßigkeiten-Hersteller, die im klassischen Werbefernsehen ebenfalls werben. Den Wettbewerb um die zahlende Werbekundschaft verschärft die Fülle der FAST-Channels daher zweifellos weiter. Pluto TV zeige acht bis zehn Minuten Werbung pro Stunde. "Das ist ein Werbedruck, der als angenehm empfunden wird", erklärt der Chef. Die "View-Through-Rate", also die Zahl derer, die dranbleiben, liege bei 95 Prozent. Wie im klassischen Werbefernsehen und wie auf Plattformen der Privatsender lässt sich der Werbeblock - anders als bei Youtube - nicht überspringen. Ist Googles Plattform, deren Angebot minütlich um rund 500 Stunden Inhalte anwächst, also ein Konkurrent? Von Konkurrenz will Jollet überhaupt nicht sprechen: "Ich würde sagen, wir sind sehr komplementär. Wir sind komplementär zu SVOD", also bezahlpflichtigen Streamern, "wo man eher anspruchsvollen Content sucht. Wir sind komplementär zu Nutzern, die gar nicht bezahlen, und zu klassischem Fernsehen." Und mit dem Wettbewerber Samsung arbeite man ebenfalls gut zusammen. Einst fürs Kino produzierte Filme, wie sie mal offiziell, mal weniger legal auf Youtube erscheinen oder noch auf dem aussterbenden Speichermedium DVD vermarktet werden, gehören auch zum FAST-Angebot. Der Kanal namens "Film Gold" etwa vermarktet den Bestand der münchnerisch-österreichischen Lisa-Film, die seit den 1960er Jahren Wörthersee-Klamauk verfilmt: in den 1970er Jahren mit damals kinoaffiner Softerotik, in den 2000er Jahren dann fürs RTL-Fernsehen und die ARD-Degeto. Jetzt rotiert all das, von "Blau blüht der Enzian" bis "Der Pfundskerl", in immer etwas anderer Reihenfolge als FAST-Angebot. Dieser Channel läuft außer bei Pluto auch bei Joyn, auf Samsung-Geräten und beim TV-Streaming-Dienst Zattoo, um nur einige der elf Empfangswege zu erwähnen. Exklusiv ist das alles nicht. Welche Rolle spielt Exklusivität? Anfangs keine, inzwischen steige durch "immer mehr Player auf dem Markt" aber ihre Bedeutung, sagt Jollet. Um Exklusivität bemüht sich Pluto vor allem beim Sport. Also in dem Bereich, in dem auch das klassische Fernsehen sowie die globalen Streamingdienste wie Amazon und DAZN ebenfalls unterwegs sind. "Wir machen im Sportbereich viel, mit Darts, im Handball, mit der Icon League", einer von Toni Kroos begründeten Hallenfußball-Liga. "Da übertragen wir in Partnerschaft mit DAZN Spiele der EHF Champions League mit deutschen Mannschaften live komplett kostenlos". Außerdem läuft seit der Saison 2024/25 ein Borussia-Dortmund-Kanal bei Pluto, und das sogar weltweit. "Fußball ist natürlich der größte Sport Deutschland. Wir sind als Sponsor mit dem Logo auf dem Ärmel in den Champions League- und Pokalspielen zu sehen, und wir kreieren gemeinsam Content für die Fans", so Jollet. Der BVB-Kanal zeigt etwa alte Bundesligaspiele aus den 1990er Jahren komplett und teils angenehm unkommentiert (was natürlich davon profitiert, dass im Westfalenstadion seit jeher akustisch viel los ist). Halbstündige Zusammenfassungen aktueller Tischtennis-Spiele sind ebenfalls zu sehen. Medienrechtlich läuft FAST eher unter dem Radar. Pluto TV sieht sich "als lineares Produkt, wir verhalten uns nach den entsprechenden deutschen Regelungen", so Jollet. Schon vor Jahren erteilte die Landesanstalt für Medien NRW dem Unternehmen eine Multi-Channel-Lizenz. "Das heißt etwa, dass wir Inhalte nach den gängigen Sendezeitbeschränkungen programmieren und dem Wohl jüngerer Zuschauer Rechnung tragen", erläutert Jollet. Wer mal in Schlüpfriges wie "Heiße Nächte" reinschauen möchte, wird vor 20 Uhr nicht fündig. Andere FAST-Anbieter haben dagegen dem Vernehmen nach überhaupt keine Lizenzen beantragt, weil jenseits der Behelfsformel des föderalistischen deutschen Medienrechts, nach dem erst mehr als 20.000 gleichzeitige Zuschauer Streaming zu Rundfunk machen, gar keine Regeln greifen. Kurzum: FAST ist ein in der größeren Öffentlichkeit noch wenig beachtetes Phänomen, dem allerhand Marktstudien weiterwachsende Bedeutung bescheinigen. Jollet zitiert Studien, denen zufolge "der FAST-Markt bis 2029 international auf bis zu zwölf Milliarden Dollar wächst". Und Deutschland gehöre zur Gruppe der vier Top-Märkte weltweit. Konkretere Zahlen will er nicht nennen. Insbesondere trägt FAST zum weiteren Verschwimmen der Grenzen zwischen Medienformen, traditionellen Medienanbietern und auch den Geräten, auf denen Medien konsumiert werden, bei. Nicht mal das Lineare spielt eine eindeutige Hauptrolle. Viele FAST-Anbieter bieten allerhand Inhalte ihrer linearen Kanäle überdies auch noch "on Demand", also zum nonlinearen Abruf an. Wer sehr viele Urheberrechte besitzt wie Paramount oder sehr viele Abspielgeräte produziert wie Samsung, kann sich hier leicht als Aggregator für immer noch mehr Inhalte etablieren. Wie sich mit Blick auf mögliche Kooperationen die deutschen Öffentlich-Rechtlichen mit ihren riesigen, verlässlich weiterwachsenden Programm-Bibliotheken verhalten dürfen und sollten, zählt zu den offenen Fragen. Und macht nicht die steigende Zahl der Channels den von Jollet reklamierten "Leanback"-Faktor nicht eigentlich wieder zunichte, weil der Auswahl-Stress so auch wieder weiter steigt? Olivier Jollet ist nicht bange. "Je mehr produziert wird, desto mehr Content wird auch zu Pluto TV kommen. Je mehr Originals kommen, desto mehr Möglichkeiten haben wir."