Gefährliche Versprechungen - Buch der "Handelsblatt"-Journalisten entlarvt Elon Musk

Von Thomas Schuler (KNA)

RECHERCHE - Mit den Tesla-Files gelang dem "Handelsblatt" ein Scoop, der dafür sorgt, dass die Wirtschaftszeitung immer mehr Informationen aus dem Reich von Elon Musk bekommt. Jetzt ist ein Buch zur Recherche erschienen.

| KNA Mediendienst

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Tesla

Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/Imago/KNA

München (KNA) Es sind nur zwei Sätze auf Seite 245, der vorletzten Seite des Buches. Aber die haben es in sich. "Wir ahnen, dass wir Zeugen einer Zeitenwende sind," schreiben Sönke Iwersen und Michael Verfürden da im diese Woche erschienenen Buch "Die Tesla Files. Enthüllungen aus dem Reich von Elon Musk" (C.H.Beck Verlag). "Trumps Team schlägt vor, die Meldepflicht für Unfälle mit automatisierten Fahrsystemen abzuschaffen." Größter Profiteur von diesem Vorschlag, falls er umgesetzt wird, wäre Elon Musk, der Eigentümer und Chef des Elektrofahrzeugherstellers Tesla. Die Meldepflicht ist ihm lästig. Denn solche Unfälle sind es, die den Aufsichtsbehörden und der Öffentlichkeit besonders deutlich zeigen, dass all die großen Versprechungen von Musk, die den Börsenkurs treiben und seinen Reichtum und Einfluss mehren, Nebel sind, der eine falsche Wirklichkeit suggeriert und eine große Gefahr verharmlost. Die beiden Reporter des "Handelsblatts" schildern in dem Buch die Hintergründe der größten und aufwendigsten Recherche der Düsseldorfer Wirtschaftszeitung, die ihr seit Mai 2023 viele exklusive Artikel und sogar Aufmerksamkeit in den USA gebracht hat. Iwersen, der Leiter der investigativen Recherche nennt sie gegenüber dem KNA-Mediendienst denn auch als "Meilenstein für das 'Handelsblatt'". Was das bedeutet, zeigt sich seit Wochen und Monaten. Immer wieder finden sich in der Zeitung exklusive Geschichten wie diese: Im Februar berichtete das "Handelsblatt" über ein brisantes Urteil, in dem erstmals ein deutsches Gericht so genannte Phantombremsungen bei Tesla bestätigt und den Autopiloten des Fahrzeugs als mangelhaft bezeichnet. Den Plan, die Meldepflicht von Unfällen in den USA zu streichen, hat Reuters im Dezember unter Berufung auf ein internes Dokument enthüllt. Demnach musste Tesla allein in den USA mehr als 1500 Unfälle melden. Aufsichtsbehörden hätten deshalb mehrere Untersuchungen eingeleitet. Tesla sei demnach für mehr Unfälle durch Autopiloten verantwortlich als andere Hersteller. Der Autopilot ist das große Zukunftsversprechen von Elon Musk, dem Chef und Eigentümer von Tesla. Bislang darf der Autopilot in Deutschland Teslas nicht vollständig autonom bewegen, sondern nur ergänzend eingesetzt werden. Tesla wiederum stieg binnen weniger Jahre zum wertvollsten Automobilkonzern der Welt auf und hat erheblichen Anteil am Reichtum von Musk. Seine Milliarden verhalfen ihm zu beinahe grenzenlosem politischen Einfluss in den USA, wo er ohne Mandat und Kontrolle sowie jenseits aller Ethikregeln amerikanische Politik bestimmt und unliebsame Behörden schrumpft, weil ihn deren Auflagen stören. Unklar ist dabei nur eins: Steht er mit seiner Macht und seinem Reichtum unter, neben oder bereits über Donald Trump? Im März berichtete das "Handelsblatt" über den fragwürdigen Umgang von Tesla mit Krankmeldungen im Werk im brandenburgischen Grünheide. "US-Autobauer behält Lohn kranker Mitarbeiter ein", titelte die Wirtschaftszeitung. Der Krankenstand bei Tesla ist demnach ungewöhnlich hoch, weshalb Tesla Betroffene dazu dränge, Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. "Spiegel", ARD, RBB und andere griffen diese Recherche auf. Davor hatte das "Handelsblatt" bereits von Hausbesuchen bei Tesla-Mitarbeitern berichtet, bei denen Tesla-Manager offenbar angebliche Simulanten überraschen wollten. Und so enthüllt das Buch nach und nach viele Geheimnisse, Vertuschungen und Verstöße aus dem Reich von Elon Musk, dessen Mythos vom Unternehmergenie, dem alles gelingt, mehr und mehr abblättert. Zugrunde liegen diesem Buch die Tesla Files, ein riesiger Datensatz über Sicherheitsmängel - die KNA berichtete mehrfach. Ihre Geschichte begann mit Lukasz Krupski, den Tesla im Oktober 2018 in Norwegen als Service-Techniker einstellte und der wiederholt Mängel und Risiken benannte. Ein Ärgernis für seinen Chef. Tesla kündigte ihm im März 2022. Im internen Rechensystem entdeckte Krupski ungesichert medizinische Daten, Präsentationen, Gehaltsangaben, Versicherungsnummern, zudem Hinweise zu Problemen und Unfällen mit selbstfahrenden Systemen. Krupski informierte die amerikanische Börsenaufsicht. Doch nichts geschah. Dann wandte er sich an die Medien. Für Sönke Iwersen und das "Handelsblatt" begann die Recherche am 4. November 2022 mit einem anonymen Anruf. Er habe Krupski zunächst nicht geglaubt. Nach Wochen besuchte er ihn in Norwegen und kehrte mit 19 Gigabyte Daten zurück, darunter Tausende von Kundenbeschwerden zum Autopiloten. Sein Team habe über Monate 23.398 Dateien gesichtet, jede einzelne geöffnet, und für eine aufwendige Prüfung mehr als 200 Betroffene kontaktiert. Seit Mai 2023 veröffentlichte das "Handelsblatt" viele Artikel zu Tesla. Tesla verklagte Krupski wegen Datenklau und bekam zunächst Recht. Dann aber gewann Krupski in einem weiteren Verfahren und behielt den Zugriff auf die Daten. Sein Status als Whistleblower, der für die Allgemeinheit wichtige Informationen öffentlich macht, wurde gerichtlich bestätigt. Im Dezember verurteilte ein Gericht in Norwegen Tesla zur Zahlung einer Entschädigung von mehr als 13.000 Euro und Erstattung von Gerichtskosten von rund 170.000 Euro. Doch Tesla ging im Januar in Berufung. Das Ende ist offen. Iwersen und Verfürden bilanzieren: "Unsere Recherche macht öffentlich, wie achtlos Tesla mit den Daten seiner Kunden, Mitarbeiter und Geschäftspartner umgeht. Sie zeigen, wie Musk selbst tödliche Fehler seines Autopiloten als Zeichen dafür deutet, Tesla sei eben besonders innovativ." Welchen Wert sieht das "Handelsblatt" in der Recherche? Die Tesla Files seien der Türöffner zu Quellen in Elon Musks Fabriken. "Während Tesla für die meisten Medien noch immer eine absolute Blackbox ist, konnten wir in den vergangenen Monaten immer wieder exklusive Geschichten veröffentlichen." Iwersen betont gegenüber der KNA: "Im Prinzip sind alle Berichte seit November 2022 aufgrund der Tesla-Files möglich geworden. Der Konzern war für uns zuvor genauso verschlossen wie für alle anderen Journalisten. Aber seit die Insider sehen, dass wir Insiderkenntnisse haben, sind sie viel gesprächsbereiter." Die Recherche sei ein Gemeinschaftswerk gewesen, so Iwersen. "Ohne die unermüdliche Arbeit meiner Kollegen hätten wir niemals so umfassende Ergebnisse erzielen können." Allerdings war er der Einzige im Team, der direkten Kontakt zu Krupski hatte. Anders als in der Zeitung beschreibt er nun im Buch auch, wie sich sein Verhältnis zu Lukasz Krupski im Laufe der Monate zu einer intensiven, von wachsendem Druck geprägten Beziehung entwickelt habe. "Schnell wurde klar, dass Krupski einerseits sehr vorsichtig war, andererseits aber ein großes Bedürfnis hatte, gehört zu werden. Seine Enttäuschung war spürbar: Behörden und Medien ignorierten ihn oder schenkten seinen Daten nicht die Aufmerksamkeit, die er sich erhofft hatte", sagt Iwersen im Interview mit der KNA: "Anfangs drängte er oft auf eine schnelle Veröffentlichung - ich musste stets widersprechen und um Verständnis dafür werben, wie wichtig uns die Gewissheit war, dass wir in all der Begeisterung für die Story nichts übersahen." Ihr Verhältnis sei nicht konfliktfrei gewesen. "Ich musste Krupski hunderte von Fragen stellen, sein gesamtes Leben durchleuchten." Einmal habe Krupski ihm deshalb verärgert und frustriert geschrieben: "Ich habe alles erfunden!" Natürlich war lediglich dieser Satz erfunden. Die Verbindung sei durch die Veröffentlichung enger geworden. Krupski sei klar gewesen, dass Tesla ihn anhand der von ihm weitergegeben Informationen schnell identifizieren würde. "Dass dies schon sechs Tage nach unserer ersten Veröffentlichung geschehen würde, ahnten wir beide nicht. Ich war derjenige, den er anrief, als die norwegische Polizei seine Wohnung durchsuchte, seine Geräte beschlagnahmte und ihn isoliert zurückließ. Krupski schilderte mir seine Verzweiflung und die Momente, in denen er stundenlang die Decke anstarrte - völlig hilflos. In diesen Gesprächen hörte ich nicht nur einen Informanten, sondern einen Menschen, der unter enormem Druck stand." Beim Schreiben dieser Zeilen blätterte dann die nächste Schicht vom Lack des Elon Musk: Die "Wirtschaftswoche", das Schwesterblatt des "Handelsblatts" meldete am Donnerstag, dass Tesla in den USA 46.000 seiner umstrittenen Cybertrucks zurück die Werkstätten rufen muss. Bei den Wagen könnten beim Fahren Karosserieteile abfallen, warnte der Konzern.

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