Berlin (KNA) Das "Treffen von Potsdam" hallt bis heute nach - auch journalistisch. Nachdem die Berichterstattung über ein Vernetzungstreffen rechter und rechtsextremer Kräfte des gemeinnützigen Recherchenetzwerks Correctiv im Januar 2024 die Menschen auf die Straße brachte, folgte im Sommer teils heftige Kritik an der Recherche und ihren angeblich "raunenden" Schlussfolgerungen. Am Mittwoch beschäftigen sich die Medientage Mitteldeutschland unter dem Titel "Potsdam & Pandemie: Berichterstattung auf dem Prüfstand" mit dem Thema. Bei der Podiumsdiskussion mit dabei: Der Journalist und Jurist Justus von Daniels (46), seit 2019 Chefredakteur von Correctiv. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst spricht er über die Arbeit an dem Projekt, die gesellschaftlichen Folgen und Pläne für die Zukunft. KNA-Mediendienst: Herr von Daniels, hat Sie die im Sommer 2024 aufkommende Debatte über die Correctiv-Recherche überrascht? Justus von Daniels: Natürlich ist eine Debatte, die über einen Text mit so großen gesellschaftspolitischen Folgen geführt wird, legitim. Und jeder, der Journalismus macht, weiß, dass es nach der Veröffentlichung eine "Blattkritik" gibt. Allerdings hat uns die Schärfe dann doch auch überrascht. In Teilen nimmt die Kritik dabei auch Narrative auf, die so von den Neuen Rechten taktisch bewusst als Spin gegen Correctiv eingesetzt werden. Nehmen Sie den Anwalt Ulrich Vosgerau, der am Treffen teilnahm. In der aktuellen ARD-Doku von Volker Heise sagt Vosgerau ja explizit, dass er das erste Gerichtsverfahren gegen uns vor allem deswegen angestrengt hätte, um eine bestimmte "Gegenerzählung in die Öffentlichkeit zu bekommen". MD: Ulrich Vosgerau kommt in der besagten Doku sehr ausführlich zu Wort - genauso wie der frühere Sprecher der Identitären in Österreich, Martin Sellner. Daniels: Ich finde es sehr gut, dass der Film versucht hat, so viele Stimmen wie möglich mit reinzunehmen. Und ich fand es tatsächlich auch noch mal sehr eindrücklich, Martin Sellner im Film zu hören. Denn er beschreibt darin ausführlich seine völkische Ideologie, die er auch auf dem Treffen in Potsdam vorgestellt hat. Wer das Treffen mit diesem Wissen noch immer zu einer Art harmlosem Austausch herunterstuft, muss schon fast ignorant sein. MD: Laufen wegen der Correctiv-Berichterstattung denn noch weitere Verfahren? Daniels: Ja, jetzt im Januar haben Herr Vosgerau und auch der Organisator des Treffens, Gernot Mörig, am gleichen Tag zwei sehr ähnliche Verfahren über dieselbe Kanzlei - die des Medienrechtlers Ralf Höcker - gegen uns angestrengt. Ich finde den Zeitpunkt - ein Jahr nach unserer Veröffentlichung - interessant. Sie wollen jetzt festgestellt haben, dass es in Potsdam nicht auch um eine Vertreibung deutscher Staatsbürger gegangen sei, die wir journalistisch zusammenfassend als "Ausweisung" bewertet haben. Da wehren wir uns natürlich - zumal die Passagen des Berichts, die sie jetzt angreifen, schon ein Jahr lang dastehen und allen bekannt sind. MD: Umstritten war ja auch der Begriff "Masterplan"... Daniels: Wenn schon im Einladungsschreiben steht, dass es um einen Masterplan geht und da nicht nur Martin Sellner höchstpersönlich seine Thesen und Forderungen vorstellt, sondern sehr strukturiert mehrere Vorträge gehalten werden, es darum geht, wie man das Thema in der Öffentlichkeit platziert und ausdrücklich davon sprach, dass man sehr konkret Kommissionen einrichten müsse und so weiter, dann halten wir es für völlig legitim, hier von einem Plan zu sprechen. Wenn das jemand anderes kritisiert und es anders genannt hätte, ist es ihm oder ihr unbenommen. Aber ich sehe nicht, warum die Aufregung da so groß ist. MD: Auf viel Kritik - nicht nur im rechten Lager - stieß zudem der Vergleich mit der Wannseekonferenz. Sind Sie da übers Ziel hinausgeschossen? Daniels: Aufregung kommt ja meistens in Wellen. Wir haben uns am Anfang lange über das Wort "Deportationen" unterhalten müssen, da war dann nichts dran. Also spricht man über die Wannseekonferenz, einen Begriff, der ein einziges Mal im ganzen Text gefallen ist. Über den Absatz kann man stilistisch sicher diskutieren, aber das stellt den Inhalt des Textes selbst doch nicht in Frage. Dann folgte der Begriff "Plan", und es wird einen nächsten Begriff geben, den man vielleicht auch noch finden wird. Es gibt wohl kaum einen journalistischen Text, der in den vergangenen Jahren so genau unter die Lupe genommen wurde. MD: Liegt diese Aufregung vielleicht auch daran, dass die Enthüllungen viele aufgeregt haben und zu den größten Protesten gegen Rechts in der Geschichte der Bundesrepublik führten? Daniels: Da ist bestimmt was dran, und ich finde völlig verständlich, dass so eine Recherche dann noch mal sehr kritisch beäugt wird. Uns hat es genauso überrascht, dass ein Text so eine Wucht hat. Sicherlich hat er in der einen oder anderen Redaktion auch die Frage aufgerufen, warum hatten wir das nicht? Ich glaube, diese Recherche hat aber auch in den Kreisen viel Wirbel gemacht, die seit Jahrzehnten rechtsvölkisches Denken immer vor sich hergetragen haben. Da kam sehr viel Gegenwind. Was uns schon geärgert hat, war, dass es aber auch in seriösen Medien entsprechende Kritik gab, ohne dass wir damit konfrontiert wurden. MD: Was macht für Sie den Kern der Recherche aus? Daniels: Zu sehen, wer sich da mit wem trifft und sich so konkret über Sellners Konzept berät. Es war erschreckend, weil es eben nicht das übliche Schema ist: Rechtsradikale treffen sich mit anderen Rechtsradikalen. Sondern dass da neben Rechtsradikalen, AfD-Politikern auch Leute dabei sind, die zumindest nach außen erstmal konservativ wirken. Und die dann auch nicht sofort wieder aus der Tür fallen, wenn dort ein Martin Sellner mit seinen Thesen höchstpersönlich steht. Und man sich fragt: Wow, haben wir über die Jahre bestimmte Vernetzungen gar nicht mitbekommen oder mitbekommen wollen? Vielleicht hängt die nachträgliche Aufregung auch damit zusammen, dass wir als Gesellschaft hier auch über uns selbst schockiert sind. MD: In der ARD-Doku bedankt sich Martin Sellnernochmal ausdrücklich dafür, dass die Berichterstattung und die Reaktionen darauf den Begriff "Remigration" überhaupt erst überall bekannt gemacht hat. Daniels: Das habe ich von ihm nicht anders erwartet. Er ist und bleibt der Vordenker der völkischen Ideologie. Was ist denn die Aufgabe von uns Journalistinnen und Journalisten? Wir klären über Missstände auf, wir versuchen, sie möglichst sorgfältig zu beschreiben. Wenn wir einen Skandal aufdecken und bestimmte Leute trotzdem zum Beispiel Sellners Buch kaufen, ist das kein Grund, nicht unsere Arbeit zu machen. Wir haben hier eine Vernetzung von Ideologie, Politik und Geld aufgedeckt, die sich um das Konzept der "Remigration" dreht. Das heißt, wenn wir heute über "Remigration" sprechen, kann eigentlich niemand mehr sagen, er hätte nicht gewusst, was eigentlich hinter diesem Begriff steckt. Es ist kein harmloser Begriff. MD: Dann bleibt nur noch eine Frage zum Schluss: In wie vielen kleineren Hotels in der deutschen Provinz hat Correctiv schon mal prophylaktisch Zimmer angemietet? Daniels: Das kann ich aufgrund von laufenden Recherchen leider nicht sagen.