Bonn (KNA) In seinem Film "Das weiße Band" macht Michael Haneke eine Bestandsaufnahme toxischer Vaterschaft zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Schwarze Pädagogik, Demütigung und Machtmissbrauch, so das düstere Fazit, sind mit verantwortlich für das Heraufkommen des Nationalsozialismus. Sind gegenwärtige Väter als Erben dieser Epoche nicht ein Auslaufmodell? Wird das traditionelle Oberhaupt der Familie im Zuge der künstlichen Befruchtung und dem Trend zur gleichgeschlechtlichen Kindererziehung nicht überflüssig? Eine Arte-Dokumentation zeigt: So einfach ist es nicht. Nachdem Marion Priglinger das fest zementierte Bild der "guten Mutter" hinterfragte, befasst sich ihr neuer Film mit dem Konzept der Vaterschaft. Im Stil einer kulturhistorischen Zeitreise schlägt die Autorin einen weiten Bogen von der Frühgeschichte bis in die Gegenwart. "Die Zeit ist reif für die moderne Vaterschaft": Mit diesem Satz endet die Dokumentation. Das Thema jener Papas, die sich darum bemühen, die besseren Mütter zu sein, wird aber nicht zufällig nur am Rand gestreift. Den Schwerpunkt legt der Film auf den Blick zurück und die nur vermeintlich banale Frage: Was ist das überhaupt, ein Vater? Und warum hat sich diese Institution über Jahrtausende hinweg als nützlich erwiesen? Oder ist der Vater etwa nur ein Irrtum der Geschichte? In diesem Kontext des Fragens verweist die Dokumentation auf die grundsätzliche Unsicherheit bei der Feststellung der biologischen Vaterschaft. Sie schlug sich in der aus dem römischen Recht stammenden Formel "Pater semper incertus" (lateinisch für "Der Vater ist immer ungewiss") nieder. Bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts war Vaterschaft nicht nachweisbar. In vergangenen Zeiten wurde nur derjenige Vater, der "durch eine Zeremonie oder ein Ritual" als solcher anerkannt wurde. Die Herausbildung der monogamen Beziehung, eine der Grundlagen der christlichen Tradition, hatte daher die Funktion, die prinzipiell fragile Vaterschaft übersichtlicher zu gestalten und damit zu stützen. Eine Spur dieser Problematik zeigt sich im Neuen Testament, wo der Ehemann der Heiligen Maria, Josef, nur ein "sozialer Vater" ist, eine schattenhafte Figur. Geschenkt wird das Kind von Gott, der als "geistiger Vater" den eigentlichen Ursprung des menschlichen Lebens symbolisiert. Gestützt auf Spezialisten wie den Kulturhistoriker André Rauch und die Entwicklungspsychologin Liselotte Ahnert, zeichnet die Dokumentation eine paradox anmutende Stabilität dieses Vaterkonzeptes nach, das sich, zumindest im Abendland, über Jahrtausende hinweg bis hinein in die Neuzeit kaum veränderte: "In der Alten Welt gab es eine Pyramide: Oben war der Landesvater, darüber noch Gottvater und darunter der Familienvater. Das Ganze nennt man dann Patriarchat." Erste Risse in dieses Gefüge, so zeichnet der Film nach, kamen mit der radikalen Geste der Französischen Revolution. Mit dem spektakulären Massenschauspiel der Guillotinierung Ludwig XVI. am 21. Januar 1793 auf dem Place de la Révolution in Paris wurde nicht nur ein einzelner Mensch hingerichtet. Mit Bezug auf die kulturtheoretischen Schriften Sigmund Freuds verdeutlicht die Dokumentation, dass dieses Fanal zugleich als "Vatermord" gedeutet werden müsse. In der Folge, so zeichnet die Doku nach, verlor die Figur des Vaters zunehmend an Würde. Im Zuge der industriellen Revolution wurde seine Autorität gebrochen; im Getriebe der großen Maschinen war der proletarische Vater nur noch "ein kleines Rädchen". Sehenswert ist der Film allerdings nicht allein, weil er sich dieser Götterdämmerung des Vaters widmet. Nicht minder interessant ist die Frage, warum der Vater auch nach seiner Demontage weiter unverzichtbar erscheint. Wenn also der Vater - wie etwa der von Franz Kafka - ein ausgemachtes Scheusal ist: Warum widmet der Autor ihm dennoch einen über hundertseitigen Brief, in dem er sich mit quälender Intensität an ihm abarbeitet? Warum revoltierte die 1968er-Generation gegen ihre Väter, die durch die Ideologie der Nazis vergiftet und nach ihrer Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg eigentlich nur noch lebende Tote waren? Dieser Aufstand war, so der Philosoph Dieter Thomä, "merkwürdig schizophren". Der vielschichtig argumentierende Film läuft darauf hinaus, zwischen dem konkreten leiblichen Erzeuger und der von dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan sogenannten "Vaterfunktion" zu differenzieren. Eine Funktion, die der Einzelne wie ein Mandat übernimmt, mal besser, mal schlechter. Illustriert werden diese Betrachtungen mit einer Fülle teils herrlich skurriler Amateurfilmaufnahmen und Fotografien. Vor allem aber mit prägnanten Werken der Kunstgeschichte, die unterschiedliche Vaterbilder durch die Epochen hindurch anschaulich machen. Das Nachstellen dieser Gemälde mit Protagonisten, die im Film über ihre Vaterschaft reflektieren, wirkt allerdings etwas prätentiös. "Es war einmal ... Die Herrschaft der Väter" ist gewiss nicht die einzige Dokumentation zu diesem Thema. Nach ihrem sehenswerten Mutterfilm gelingt Marion Priglinger jedoch erneut ein in sich stimmiger Versuch zu einem komplexen Thema. Erfrischenderweise hält die Regisseurin eine gewisse Distanz zu modischen Strömungen, in denen der Begriff "Patriarchat" beinahe zum Schimpfwort geworden ist. Was man allerdings vermisst, ist ein Blick über den Tellerrand der eurozentrisch-christlichen Tradition. Ein Seitenblick auf den Islam, in dem Muslime Diener Allah sind - aber keinesfalls seine Kinder wie im Christentum - hätte den Vaterbegriff weiter differenziert. Trotz dieser Einschränkung gelingt Priglinger ein kurzweiliger und anregender Streifzug durch die Kulturgeschichte des Patriarchats.