Berlin (KNA) Seit 2009 saß Tabea Rößner für die Grünen im Bundestag, doch wer sagt, sie habe von Anfang an Medienpolitik gemacht, erntet Widerspruch: "Ich habe eigentlich auch viele andere Sachen gemacht und dabei immer geguckt, welche Themen mich interessieren würden", sagt Rößner: "Ich habe Frauenpolitik gemacht, ein Kohlekraftwerk in Mainz verhindert, mich im Umweltbereich engagiert". Und wie kam die Tochter einer Pfarrersfamilie, die nach einem Musikwissenschafts- und Journalistik-Studium beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen arbeitete und unter anderem die Kindernachrichtensendung "logo" fürs ZDF machte, in das Feld der Politik, mit dem sie auf ewig verbunden sein wird? "Medienpolitik wollte halt keiner machen", sagt Rößner trocken, und sie habe sich eben dafür interessiert, "auch schon wegen meines Berufs und den Diskussionen damals: Was dürfen wir online eigentlich machen als Öffentlich-Rechtliche und wie läuft das mit einem Drei-Stufen-Test." Und so war Rößner "dran", allerdings "habe ich immer gesagt, ich will nicht nur klassische Medienpolitik machen, sondern diese als Teil der digitalen Entwicklung bearbeiten". Als sie dann 2009 in den Bundestag kam, lag das große Thema, das sehr schnell "ihr" Thema werden sollte, schon auf dem Tisch. Beim ZDF hatte der von der Politik dominierte Verwaltungsrat des Senders den Intendanten Markus Schächter vorgeführt und dessen Vorschlag, den Vertrag des bei der Kanzlerin in Ungnade gefallenen ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender zu verlängern, durchfallen lassen. Das alles geschah unter dem Einfluss des damaligen Verwaltungsratsmitglieds und hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und anderer der Union zuzurechnenden Mitgliedern, obwohl Schächter eigentlich auch den "Schwarzen" zuzurechnen war. "Ich kam frisch in den Bundestag, das war das große Thema, und alle haben gesagt: Das geht nicht, aber keiner wollte was machen. Und ich war ja ein Greenhorn damals, hatte keine Ahnung, wie so etwas läuft und hab gesagt, dann gehen wir gleich zum Bundesverfassungsgericht. Das war schon ne Nummer damals." Als Bundestagsabgeordnete musste Rößner ein Viertel aller Abgeordneten hinter den Antrag auf eine solche Normenkontrollklage bringen, doch das Quorum kam nicht zustande. Doch Rößner und ihre Mitstreiter gaben nicht auf - und schon gar keine Ruhe. "Ich dachte, das kann doch nicht sein. Alle schimpfen darüber und keiner tut etwas." Ihr war damals schon klar: Wenn die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt werden soll, muss man genau dagegen vorgehen. "Und dann habe ich das zu meiner Mission gemacht", sagt Rößner. Das tat sie mit einer solchen produktiven Penetranz und Verve, dass das Thema in der gesamten Medienpublizistik von "FAZ" bis "taz" schlicht nicht mehr wegging. Weshalb nach einigen Monaten des Zuwartens der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), seines Zeichens damals sogar ZDF-Verwaltungsratsvorsitzender, eher unwillig selbst nach Karlsruhe zog. "Beck haben wir tatsächlich ganz schön unter Druck gesetzt", sagt Rößner heute. Freunde hat sie sich damit damals nur wenige gemacht. Das kam erst später, nach dem Karlsruher Urteil 2014. Über zwei Legislaturperioden prägte Rößner als medienpolitische Sprecherin die Medienpolitik der Grünen und genoss parteiübergreifend Anerkennung, mischte dabei aber auch immer in anderen Bereichen mit: Beim Wettbewerbs- und Kartellrecht, weil hier die Medienvielfalt gerade im Bereich Presse auf dem Spiel stand und bis heute steht. Und in der Netzpolitik sowieso, die sie dann ab 2017 auch als Sprecherin übernahm, neue medienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion wurde Margit Stumpp. "Ich habe damals gesagt, die Öffentlich-Rechtlichen würde ich allerdings gerne weitermachen", schließlich hatte Rößner da den erst ein halbes Jahrzehnt später von den Ländern eingesetzten Zukunftsrat für die künftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schon vorweggenommen: Seit 2015 traf sich ein von ihr initiierter Gesprächskreis von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Journalismus, und Zivilgesellschaft und diskutierte über die Reform von ARD und ZDF. Unter den Teilnehmern waren auch immer wieder Mitarbeitende der Sender selbst, von denen sich einige in absurder Heimlichtuerei in die Runde stehlen mussten. 2017 lagen dann unter dem Titel "Zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien" zehn Thesen vor, die den jetzt von der Rundfunkkommission der Länder angestoßenen Reformprozess in weiten Teilen bereits skizzierten - und gleichzeitig weit darüber hinausgingen. Doch damals saßen die Anstalten noch auf dem hohen Ross; die Diskussion über das Papier fiel bei denen, die gemeint waren, eher schmal aus. Rößner selbst sagt diplomatisch, die Anstalten seien damals ja auch in der Klemme und "noch wenig beweglich gewesen". Und sie, die auf Bitten der Fraktion mittlerweile auch noch den Job als Sprecherin für Verbraucherpolitik mitmachte, hatte schlicht zu wenig Zeit. "Das war natürlich Irrsinn. Ich war verbraucherpolitische Sprecherin, was ein Querschnittsthema ist. Ich war digitalpolitische Sprecherin, was auch ein Querschnittsthema war, und ich war auch noch für Urheberrecht, Filmpolitik und für die Öffentlich-Rechtlichen zuständig", sagt Rößner heute, aber sie konnte "das auch nicht so ganz loslassen". Zumal in der digitalen Welt alles mit allem zusammenhängt. Rößner ist dabei als Bundespolitikerin immer eine große Verfechterin der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern gewesen und hat gerade für die Rolle der Länder gekämpft. "Wenn wir jetzt beim Digital Services Act der EU nicht für die Länder gekämpft hätten, wären die Landesmedienanstalten jetzt draußen", was aber die anderen Parteien im Bundestag nicht anfocht: "Ganz egal ob von CDU/CSU, SPD oder FDP - die Bundesebene kam an und meinte: "Was hast du nur mit den Ländern"", erzählt Rößner, die sich in ihrer Rolle als Störenfried immer ganz wohl fühlte: "Ich habe stets für die Bund-Länder-Kommission geworben." Dass Bund und Länder abgestimmt an einem Strang ziehen, sei auch so immens wichtig, "um klar zu wissen, wie du dich auf europäischer Ebene aufstellst", ohne die gerade in Sachen Digitalpolitik nichts geht. In ihrer letzten Legislaturperiode übernahm Rößner schließlich den Vorsitz des Digitalausschusses im Bundestag, geräumigeres Büro inklusive. "Ich habe gedacht: Okay, Ausschussvorsitzende, das ist schon noch mal was, da kann ich noch was bewirken - auch in der Medienpolitik." Was ihr auch innerhalb ihrer Partei nicht nur Freunde bescherte. Auch ihr Blick auf die laufenden Reformen im öffentlich-rechtlichen System dürfte nicht bei allen gut ankommen. Denn für Rößner kommt "alles sehr, sehr spät" und läuft viel zu zäh und mühsam. Natürlich gingen viele Schritte in die richtige Richtung. "Aber die große Reform, die es eigentlich bräuchte, um auch zu zeigen, wir haben es begriffen, findet doch nach wie vor nicht statt." Niemand hinterfrage, was in der heutigen Zeit eigentlich notwendig sei. "Es geht nicht darum, alte Strukturen zu erhalten und höchstens rundzuerneuern, sondern um den Meinungsbildungsprozess in unserer Demokratie." Deshalb springt für sie auch der Zukunftsrat zu kurz. "Ich hätte mir gewünscht, dass es eine größere Kommission gegeben hätte, mit mehr Expertise auch aus der Soziologie und anderen Feldern, die für den Meinungsbildungsprozess relevant sind." Und noch etwas fehlt ihr bis heute: "Dazu gehört auch eine Verknüpfung mit den Ansichten der Bürgerinnen und Bürger - auch um die Akzeptanz des Ganzen nochmal zu stärken". So ergäbe sich automatisch eine ganz andere Legitimation. "Mit Bürgerräten haben wir in anderen Politikfeldern gute Erfahrungen gemacht - wenn die gut informiert sind und im Prozess beraten werden, kriegen sie auch gute Sachen auf die Kette." Wobei es auch bei noch so guten Ideen entscheidend darauf ankommt, dass die Gemeinten sich dann auch bereit erklären, diese Veränderung tatsächlich umzusetzen. "Diese Bereitschaft habe ich in den Staatskanzleien bisher nicht wahrgenommen", sagt Rößner ganz direkt, da sei weiter viel "das haben wir immer so gemacht" am Werk, gepaart mit "mangelndem Verständnis dafür, wie Medien überhaupt funktionieren". Was sich für sie an den weiteren Online-Einschränkungen festmacht, die der neue Medienstaatsvertrag für die Öffentlich-Rechtlichen vorsieht. "Das ist ja ein Rückschritt, das finde ich schon fatal." Gegen den Abbau von Doppelstrukturen und mehr Zusammenarbeit zwischen den Sendern hat sie natürlich nichts, außer dass auch hier die Fragestellung einfach nicht weit genug ging: "Kommen wir mit diesen Kompetenzzentren der ARD jetzt tatsächlich groß weiter, oder leidet da höchstens die Vielfalt an Positionen darunter", fragt Rößner mild historisch und macht darauf aufmerksam, dass es mal wieder um Inhalte geht, bei denen gespart wird. "Den großen Wasserkopf aus Hierarchie und Verwaltung zum Beispiel schlägt man aber nicht ab", kritisiert sie. An vieles habe man sich nicht herangetraut, genauso wenig wie an die Idee eines Publikumsrats, der gemeinsam mit dem von Rößner skizzierten Expertengremium Reformvorschläge erarbeitet, "damit sich letztlich auch die Bürger als Stakeholder wieder ernst genommen fühlen". Denn das täten sie durch die heutigen Gremien von ARD & Co. "schlicht und ergreifend nicht". Genauso klare Worte findet Rößner in Sachen der laufenden Beitragsklage von ARD und ZDF: "Ich erwarte, dass Karlsruhe das macht, was es in der Vergangenheit auch immer gemacht hat - nämlich einen Verfassungsbruch wieder rückgängig!" Dabei ist Rößner Realistin, die weiß, "dass sich auch beim Bundesverfassungsgericht in der Tendenz etwas ändern kann.". Es sei jedenfalls "fatal, dass Karlsruhe kippen muss, was die Länder verbockt haben - denn das schadet vor allen Dingen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk." Die Frage nach einer Reform der Rundfunkfinanzierung sei aktuell genau so offen wie die nach den Strukturen des öffentlich-rechtlichen Systems mit Blick auf die Herausforderungen durch die Digitalisierung, die Übermacht der Plattformen und der von ihnen verstärkte Trend zu immer autokratischeren Machtverhältnissen im Netz. "Dabei läuft uns jetzt auch noch definitiv die Zeit weg", ärgert sich die Frau, die schon 2009 das Thema Plattformregulierung anzuschieben versucht hatte. "Aber damals wollte noch keiner etwas davon wissen. Und wann haben wir es dann gemacht? Erst jetzt, mit dem DSA und im Nachgang mit dem Digitale-Dienste-Gesetz, und nun ist es halt unheimlich schwer, problematische Entwicklungen im Nachhinein regulatorisch in den Griff zu kriegen." Dass die neue Bundesregierung in Sachen Medien- und Digitalpolitik keine großen Pläne hat, wundert Rößner vor diesem Hintergrund nicht. Und was hält die Frau, die gerüchtehalber bei der Bildung der Ampel-Koalition 2021 auch als Staatsministerin für Kultur und Medien gehandelt worden war, vom neuen BKM, Wolfram Weimer? Es sei ja nicht schlecht, dass es jemand mit "Medienbezug" geworden ist, sagt Rößner diplomatisch, nennt den Verleger aber auch eine "exponierte Person", die "durch schwierige Äußerungen aufgefallen ist". Sie könne daher manche Aufregung verstehen, jetzt müsse man aber "erstmal schauen, wie er das Amt ausfüllt". Rößner hatte sich schon vor dem Ende der Ampel entschlossen, nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren. "Ich hab schon viele kommen und gehen sehen", sagt sie im Rückblick - am Ende war sie eine der dienstältesten Medienpolitikerinnen im Parlament. Ihr mehr als bleibender Verdienst ist das sogenannte ZDF-Urteil von 2014, mit dem das Bundesverfassungsgericht die "Staatsquote" in den Gremien aller öffentlich-rechtlichen Sender massiv begrenzte und mehr Transparenz und Rechenschaft verlangte. Dass es einige Länder mit der Umsetzung alles andere als eilig hatten und es so fast noch ein Jahrzehnt verschleppt wurde, hat Tabea Rößner immer moniert. Und auch wenn sie nun nicht mehr im Hohen Haus sitzt - von der Medienpolitik und vor allem der Reformdebatte in Sachen ARD und ZDF wird sie nicht lassen. "Ich will nicht in einer Welt leben, wo es keine Öffentlich-Rechtlichen gibt", sagt sie zum Schluss des Gesprächs.