Mainz (KNA) - Das ZDF bringt in einem neuen Format historische Persönlichkeiten zum Sprechen - mithilfe von Schauspielern und Künstlicher Intelligenz. Ein Interview mit ZDF-Geschichtschef Stefan Brauburger, der als Erbe von Guido Knopp die Redaktion Zeitgeschichte beim Mainzer Sender leitet und das Format "Deepfake Diaries" verantwortet. KNA-Mediendienst: Herr Brauburger, in den "DeepfakeDiaries" werden bedeutende Persönlichkeiten wie Oskar Schindler, Rudi Dutschke oder Rosa Luxemburg mittels KI- und Deepfake-Technologie ins Heute geholt. Was soll das"? Stefan Brauburger: Zunächst handelt es sich um Persönlichkeiten aus sehr unterschiedlichen historischen Epochen und Kontexten, an deren Wirken und Lebensgeschichte es zu erinnern gilt. Dies ist der inhaltliche Kern unseres Projekts. Ein weiterer Aspekt ist die Form der Vermittlung. Wie gestalten wir biografische Erzählungen, die sich eignen, geschichtliche Prozesse und Ereignisse vor Augen zu führen, auch für ein Publikum, das sich nicht vorrangig für Geschichte interessiert. MD: Sie meinen hier bestimmt eine ganz bestimmte Zielgruppe... Vor allem die Frage, wie wir jüngere Menschen erreichen können, stellt sich für uns immer wieder neu. Gerade dabei geht es um eine zeitgemäße, auf die Zielgruppe gerichtete Darstellungsweise. Das Format soll Jugendliche dort ansprechen, wo sie sich informieren, also im Streaming und bei Social Media, und wenn man ihnen historische Persönlichkeiten näherbringen will, warum nicht mit den neuesten technischen Mitteln, um auch dadurch ihr Interesse zu wecken? MD: Und wie sieht es mit der medienethischen Problematik aus? Es heißt schließlich Deepfake! Die digitale Revolution ermöglicht die Visualisierung historischer Stoffe in einer bisher nicht gekannten Dimension. Die künstliche Erzeugung realistisch anmutender - auch bewegter - Bilder wird immer einfacher und selbstverständlicher. Die Entwicklung birgt Risiken, ein Potenzial für Fälschungen, aber auch Chancen für eine faktenbasierte Vermittlung von Wissen, auch von Geschichte. Das wollen wir mit unserem experimentellen Format "Deepfake Diaries" versuchen. MD: Ein Schauspieler, der in seiner Physiognomie Oskar Schindler ähnelt, sitzt also als KI-Schindler im Sessel und erzählt, wie er hunderten Juden das Leben rettete. Er berichtet, was die Quellen von und für Schindler hergeben. Dieser Schindler ist aber ein Konstrukt, nicht mehr, nicht weniger. Was macht Sie so sicher, dass sich daraus ein Mehrwert für den Zuschauer ergibt? Brauburger: Im Mittelpunkt von "Deepfake Diaries" steht jeweils die Geschichte der historischen Persönlichkeit: Neben Oskar Schindler, der viele Jüdinnen und Juden rettete, der "Eiserne" Reichskanzler Otto vom Bismarck, die Revolutionärin Rosa Luxemburg, Hitler-Attentäter Georg Elser und Rudi Dutschke, Ikone der 68er-Revolte. Sie alle stehen für relevante historische Entwicklungen und Ereignisse. Die Personen und ihre Kontexte bieten ein breites Spektrum wissenswerter Inhalte für die Vermittlung von Geschichte. Die Texte der Deepfakes sind authentisch und nicht interpretiert oder erfunden. MD: Wie meinen Sie das? Sie beruhen auf Ego-Dokumenten und historischen Quellen wie Tagebüchern, Briefen oder Schriften. Dokumentarische Sequenzen unterbrechen die Ich-Perspektive, ordnen ein und liefern historischen Kontext. Für diese Komposition wurden namhafte Expertinnen und Experten einbezogen wie der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz, der in dem Format eine besonders innovative Möglichkeit sieht, junge Menschen für historische Themen zu interessieren und Akteure der Geschichte wieder "lebendig" werden zu lassen. Schlussendlich handelt es sich bei der Reihe um ein biografisches Kurz-Doku-Format, dessen KI-Komponente, wie wir anhand der bisherigen Resonanz feststellen können, ein junges Publikum durchaus anspricht. MD: Fürchten Sie nicht trotzdem den Vorwurf, in den Zeiten von Fake News genau diese mit Ihren "DeepfakeDiaries" zu produzieren? Brauburger: Deepfakes sind mit Künstlicher Intelligenz erzeugte Bilder, Töne oder Videos, die authentisch wirken, es aber nicht sind. Was wir derzeit im Netz zu sehen bekommen, kann durch KI generiert, nachgebildet, abgeändert oder - je nach Absicht - auch verfälscht sein. Und so stellt sich einmal mehr die Frage, wie man mit einem so faszinierendem wie brisanten Instrumentarium umgeht. Will man damit etwas faktenbasiert erklären oder illustrieren, oder will man täuschen oder manipulieren? Wir setzen auf Information, wir wollen mit den neuen Möglichkeiten Wissen vermitteln, gerade auch im Kontrast zu dem KI-Wildwuchs in Sachen Geschichte, mit dem wir im Netz längst konfrontiert sind. MD: Und wie wollen Sie sichergehen, dass Ihnen das nicht entgleitet? Zum einen haben wir uns, wie beschrieben, auf eine breite fachliche Expertise gestützt. Zum anderen gilt höchste Transparenz. Das fängt beim Titel "Deepfake Diaries" an, der sofort verdeutlicht, was bei dem Projekt technisch zum Einsatz kommt. Im Intro jeder Folge wird das Prinzip der Reihe explizit klargemacht. Zu Beginn jedes Films wird die KI-Verwandlung des jeweiligen Schauspielers in das historische Vorbild dargestellt. Jeder der Protagonisten erzählt erst einmal, aus welchen Quellen die gesprochenen Zitate stammen. Dass mit KI nachbearbeitet wurde, ist mehrmals schriftlich eingeblendet. Am Ende jedes Films gibt es eine "Rückverwandlung", gefolgt von einer historischen Einschätzung zum jeweiligen Protagonisten. Hinzu kommen die ausführlichen dokumentarischen Strecken in den Filmen. Dies alles soll ein Gegenentwurf darstellen zu den "Fake News", die uns immer wieder herausfordern. Transparenz, Expertise und historische Genauigkeit sollen zeigen, dass das Thema Deepfake durchaus auch für Bildungszwecke geeignet sein kann. MD: In den Sendungen von Guido Knopp lief ein Schauspieler als KZ-Arzt Josef Mengele durchs Bild. Jetzt könnte er als KI-Mengele an der Rampe selektieren. Ist das nicht eine gruselige Vorstellung? Brauburger: Die Art und Weise, historisches Geschehen oder Personen jenseits dokumentarischer Darstellungen zu visualisieren, ob mit szenischen oder grafischen Mitteln, gab und gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen. Das wird sich im Zeitalter von KI eher noch verschärfen. Die Möglichkeiten des technisch Machbaren entwickeln sich weiterhin rasant. KI-Technologie kann szenische Darstellungen sicher ein Stück weit ersetzen, muss sich aber als Bestandteil dokumentarischer Formate denselben Fragen stellen: Basieren die Sequenzen auf dokumentierbarem Wissen oder auf Spekulationen? Vermitteln sie ein historiografisch adäquates Bild? Sind sie als künstliche Rekonstruktionen erkennbar oder nicht mehr unterscheidbar? Sind sie überhaupt notwendig oder vielleicht doch durch dokumentarische Formen ersetzbar? Hier ist auch ein intensiver Dialog zwischen Geschichtswissenschaft, Fachdidaktik, Mediengestaltung, Redaktionen sowie Autorinnen und Autoren wünschenswert und wichtig, um Möglichkeiten und Grenzen auszuloten. MD: Welche Risiken, welche Grenzen sehen Sie selbst in den "DeepfakeDiaries"? Brauburger: Risiken, etwa der Manipulation oder Täuschung, bergen KI-Formate durch mangelnde Transparenz und falsche Informationen. Daher haben wir bei den "Deepfake Diaries" so viel Wert auf Nachvollziehbarkeit und korrekte historische Darstellung gelegt. Die Grenzen sehen wir vor allem in der Auswahl der historischen Akteure. Niemand käme auf die Idee, beispielsweise Hitler seine Geschichte erzählen zu lassen. MD: Gibt es schon Reaktionen? Brauburger: Der Vorteil digitaler Ausspielwege ist die unmittelbare Rückkopplung mit der Community. Wir haben bislang zwei der Filme, Oskar Schindler und Rosa Luxemburg, bei Youtube auf dem Kanal "Terra X History" veröffentlicht, die weiteren Videos folgen versetzt. Durch die Kommentare erhalten wir erfahrungsgemäß ein recht präzises Stimmungsbild. Und das ist für die beiden genannten Videos sehr gut. Viele Kommentare heben darauf ab, dass es gelungen sei, KI und Deepfake auf eine positive Art und Weise einzusetzen, zudem gibt es Anerkennung für den transparenten Umgang mit der Technik. MD: Die einzelnen Folgen sind maximal 21 Minuten lang. War nicht mehr herauszuholen oder sind das tatsächlich gewollte Längen? Brauburger: Es handelt sich nicht um ein Fernseh-, sondern ein Online-Format. Ausgehend von Nutzungserfahrungen haben wir Längen zwischen 15 und 20 Minuten angepeilt. Das war nicht einfach, da wir es mit komplexen geschichtlichen Sachverhalten zu tun haben. Unsere historischen "Diaries" benötigen Kontext, um von heutigen Zuschauern verstanden zu werden. Man denke etwa an die innerparteilichen Kämpfe der SPD rund um die Novemberrevolution oder die verschiedenen Strömungen der 68er-Bewegung oder die Vielschichtigkeit Bismarck'scher Politik. Hier galt es, so viele wesentliche Inhalte wie möglich - trotz der Längenbeschränkung - zu transportieren. MD: Wenn bei bestimmten Persönlichkeiten wie wahrscheinlich beim ersten Reichskanzler keine Audio-Quellen vorhanden sind, welche Stimme bekommt dann ein Otto von Bismarck? Brauburger: Verwertbare Audioaufzeichnungen liegen nur für Schindler und Dutschke vor. Im Falle Bismarcks existiert zwar eine Tonaufnahme, die mit dem Edison-Phonograph festgehalten wurde, aber die Qualität ist für eine genaue Bestimmung unzureichend. Lagen keine Audioaufnahmen vor, berichten die Protagonisten in der Stimme der jeweiligen Schauspieler. Wurde die Stimme dagegen verändert, ist dies im Bild schriftlich eingeblendet. MD: Otto von Bismarck, Georg Elser, Rudi Dutschke, Oskar Schindler und Rosa von Luxemburg sind die ersten "DeepfakeDiaries". Wird es weitere geben? Brauburger: An interessanten Namen und Geschichten würde es jedenfalls nicht mangeln. Vor allem bei Youtube haben uns die User viele Vorschläge für eine zweite Staffel in die Kommentare geschrieben, Anne Frank, Albert Einstein, Käthe Kollwitz, Marlene Dietrich, Karl Marx und viele andere. Allerdings wollen wir die Resonanz auf das Projekt nach mehreren Monaten umfassender auswerten und danach über die Zukunft der "Deepfake Diaries" entscheiden.