München (KNA) Carsten Coesfeld war erst 14 Jahre alt, als ihm sein Großvater Reinhard Mohn in Aussicht stellte, dass er es eines Tages bei Bertelsmann weit bringen könnte. Der Firmenpatriarch und dessen zweite Frau Liz hatten ihn und seinen drei Jahre jüngeren Bruder Thomas damals zur Seite genommen und gefragt, "ob wir uns eine Laufbahn im Unternehmen vorstellen können", erzählte Carsten Coesfeld 2021 dem Spiegel. Das Familiengespräch ist 24 Jahre her. Heute ist Carsten Coesfeld 38 Jahre alt - und er und sein Bruder Thomas gelten nun als die einzigen Kandidaten, um dem aktuellen Vorstandsvorsitzenden Thomas Rabe Ende 2026 an der Spitze von Deutschlands größtem Medienkonzern nachzufolgen. Rabe, der Bertelsmann seit 2012 führt, hatte schon länger seinen Abschied angekündigt - und im Juni nochmals nachgelegt und verkündet, vorher den Konzernumsatz durch Zukäufe und eigenes Wachstum von 19 Milliarden (Stand 2024) noch auf über 24 Milliarden Euro steigern zu wollen. Das Medienunternehmen, das in seiner 190-jährigen Geschichte die meiste Zeit ein Familienbetrieb war, könnte also ab Ende 2026 nach 45 Jahren wieder von einem Erben der Eigentümerfamilie Mohn geführt werden. Das ist ungewöhnlich, denn Erben kehren eher selten an die Spitze ihrer Unternehmen zurück. Und bei Bertelsmann ist es erst recht ungewöhnlich und überraschend, denn Carsten und Thomas stammen aus Reinhard Mohns erster Ehe, deren Nachkommen von der zweiten Frau Liz Mohn verdrängt und abgeschrieben schienen. Ihre Mutter, Magdalene Mohn, wurde über viele Jahre totgeschwiegen - obwohl sie noch bis vor wenigen Jahren lebte. Doch offenbar gibt es nun ein Umdenken - und Carsten und Thomas Coesfeld aus der siebten Generation der Eigentümerfamilie gelten plötzlich als Hoffnungsträger. Wenn es Vorbehalte im Unternehmen gibt, dann vielleicht die Altersfrage, heißt es - sind die beiden Mittdreißiger für den Posten des Vorstandsvorsitzenden nicht zu jung? Eine "überraschende Wendung in einer bizarren Familien-Geschichte" nennt das das britische Wirtschaftsmagazin "Economist", und die "Financial Times" fühlt sich an das Netflix-Drama "Succession" erinnert, das an das echte Familiendrama bei Rupert Murdochs Medienimperium angelehnt ist und bei dem Murdochs Kinder mit ihm und gegeneinander vor Gericht um die Macht im Konzern kämpfen. Von einem erbitterten Kampf um die Macht sind die Coesfelds jedoch weit entfernt. Nichts deutet darauf hin. Beide sind mittlerweile im Vorstand von Bertelsmann tätig. Carsten Coesfeld arbeitete bei der Investmentbank Goldman Sachs und kam 2011 als Assistent des damaligen Vorstandsvorsitzenden Hartmut Ostrowski, dem Vorgänger von Rabe, zu Bertelsmann. Anschließend arbeitete er bei der Servicetochter Arvato und leitete von London aus Dorling Kindersley, einen der vielen Buchverlage des Konzerns. Seit 2022 führt er Bertelsmann Investments, wo er sich um neue Geschäftsfelder kümmert. 2024 rückte er noch vor seinem Bruder Thomas in den Vorstand von Bertelsmann auf und galt lange Zeit als der führende Kandidat. Doch inzwischen hat sein Bruder wohl aufgeholt: Seit 2023 leitet der die wichtige Musiksparte BMG, wo er schon seit 2020 als Finanzchef arbeitete. Seine Karriere gestartet hatte Thomas nach einem Betriebswirtschaftsstudium bei der Unternehmensberatung McKinsey. 2016 wechselte er zu Bertelsmann und war für das Druckgeschäft und den massiven Abbau von Arbeitsstellen dort mitverantwortlich, bevor er 2020 zur BMG wechselte. Angeblich war es ausgerechnet Liz Mohn, die beide Enkel zu Bertelsmann holte, heißt es in Gütersloh. Anfang Juni hielten beide vor 500 Führungskräften Präsentationen zu "Wachstum, Transformation, Kreativität, Künstliche Intelligenz und Leadership", wie Bertelsmann vermeldete. Ihre Beziehung untereinander gilt als brüderlich harmonisch. Als der "Spiegel" sie 2023 traf, hatten die Interviewer den Eindruck, sie "vermieden alles, was den Eindruck erwecken könnte, sie befänden sich in Konkurrenz zueinander". Carsten Coesfeld habe 2021 mit der Anekdote über die Frage der Großeltern Wegbegleiter wie langjährige Manager des Gütersloher Medienkonzerns verblüfft, schrieb damals der "Spiegel". Schließlich gehören die Coesfelds dem Familienstamm aus Reinhard Mohns erster Ehe an. In seinen Memoiren erwähnt Reinhard seine erste Familie nur knapp, in der Autobiografie von Liz kommt sie gar nicht vor. Patriarch Mohn hatte die beiden Beziehungen, aus der je drei Kinder hervorgingen, über viele Jahre parallel geführt. Beim Kennenlernen 1958 hieß Liz noch Elisabeth Beckmann. Die 17-Jährige arbeitete erst seit sechs Wochen als Telefonistin bei Bertelsmann, als sie den 37-jährigen Chef auf einem Betriebsfest traf. Die Kinder aus der Beziehung mit Liz wuchsen allerdings im Glauben auf, dass ein Angestellter von Reinhard Mohn ihr Vater sei - ein Verlagslektor, mit dem Elisabeth Beckmann verheiratet wurde und der im Keller ihrer Wohnung leben musste. Erst nach dem Tod von Reinhard Mohns Mutter, die die Kinder aus der Verbindung zu Liz nicht akzeptierte, ließ sich Reinhard von Magdalene scheiden und heiratete 1982 Liz Mohn. Ihre Kinder adoptierte er. Die Liebes-Geschichte von Reinhard und Liz geriet spätestens dann in die Öffentlichkeit, als Harald Schmidt in seiner Late-Night-Show 2024 das Kennenlernen der beiden als "Reise nach Jerusalem" nachspielen ließ. Magdalene Mohn, die erste Frau, war da längst das "Phantom von Gütersloh" geworden, wie ich im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" schon 2004 über sie schrieb. Sie sah die seltsame Fernsehaufführung in einem Hotelzimmer auf den Kanarischen Inseln. "Mich gibt es ja eigentlich gar nicht", sagte sie mir damals. Der Sprung eines der beiden Coesfelds an die Spitze von Bertelsmann ist auch deshalb überraschend, weil keines der anderen Kinder von Reinhard Mohn diese Position erreichte. Sie waren ihm, obwohl auch sie teilweise bei Bertelsmann arbeiteten, offenbar nicht gut genug. So stellte Reinhard Mohn zwar seinem erstgeborenen Sohn Johannes die Nachfolge in Aussicht, ließ ihn später aber fallen. Ähnlich war es mit Christoph und Andreas. Verließ sich der Vater bei der Beurteilung zu sehr auf seine Manager, die in den Kindern unerfahrene und vor alle unliebsame Konkurrenz sahen? Christoph mühte sich mit dem Internet-Dienst Lycos ab, der viele Millionen verbrannte und war nach dessen Pleite abgemeldet. Erst Liz Mohn brachte mit Brigitte und Christoph zwei ihrer Kinder in einflussreiche Positionen in der Bertelsmann-Stiftung und im Aufsichtsrat des Konzerns. Heute sitzt Brigitte im Stiftungs-Vorstand und Christoph ist Aufsichtsrats-Vorsitzender. Um den Aufstieg der Coesfelds zu verstehen, muss man sich Christophs Karriere vor Augen führen. Christoph Mohn wurde erzogen, bescheiden zu sein. Als Unternehmer habe man Verantwortung, predigte sein Vater. Christoph studierte Marketing in Münster, arbeitete in New York und Hongkong. Doch das Scheitern von Lycos schob ihn ins Aus. Seit 2000 hatte Lycos eine halbe Milliarde Euro verbrannt und war doch chancenlos geblieben gegen Google & Co. Seine Managerqualitäten wurden kritisch hinterfragt. "Ich kenne keinen Manager, der so wenig führt wie Chris Mohn", meinte ein Geschäftsführer einer Lycos-Tochterfirma. Natürlich fiel Christoph weich. "Ich sitze im Aufsichtsrat", sagte er damals: "Das ist meine Rolle, und daran wird sich nichts ändern." Er sollte Recht behalten, wenngleich Mohns Manager ihn im Kontrollgremium zunächst nur "mitlaufen" lassen wollten, ihn also nur duldeten, aber nicht wirklich akzeptierten. Das hat sich vor allem in der Amtszeit von Rabe geändert, mit dem er sich gut versteht. Und nun ist er der Königsmacher. Offiziell ist bei Bertelsmann der Aufsichtsrat für die Ernennung eines neuen Vorstandschefs zuständig - tatsächlich aber entscheidet Christoph Mohn. Und das wohl im Einvernehmen mit Mutter Liz und Schwester Brigitte, die beide im Aufsichtsrat und in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG) sitzen, in der alle Stimmrechte der nicht börsennotierten Bertelsmann AG gebündelt liegen. Hier ist Christoph Sprecher der Familie und Vorsitzender im Lenkungsausschuss - seine Mutter hatte ihm diese Positionen und die damit verbundenen Rechte an ihrem 80. Geburtstag im Juni 2021 übertragen. Und diese Position ist es, die den Aufstieg der Coesfeld-Brüder erst möglich macht. "Wir werden in den zuständigen Gremien um das Jahresende darüber beraten und entscheiden", hatte Christoph Mohn zur Nachfolgefrage vor ein paar Wochen erklärt. Carsten und Thomas Coesfeld hätten schon einige Erfahrung und zudem ein überdurchschnittliches Potenzial, sagte Christoph Mohn Anfang Juni am Rand des schon erwähnten Manager-Treffens der "FAZ". Ob die beiden Brüder, oder einer von ihnen, die richtigen Qualitäten für den Chefposten bei Bertelsmann mitbringen, werde vom Personalausschuss geprüft und in der November-Sitzung des Aufsichtsrats besprochen, kündigt Mohn an. Externe Kandidaten schloss er laut "FAZ" praktisch aus - das sei viel zu riskant. Man wolle den Posten des Vorstandschefs aus der Runde der jetzt bereits im Amt befindlichen Vorstände besetzen. Offiziell erklärt der Konzern auf Anfrage: "Zu Spekulationen über mögliche Kandidaten äußern wir uns nicht", und Pressesprecher Markus Harbaum verweist auf Äußerungen Mohns, nach der die Berufung eines neuen Chefs oder einer Chefin von außen grundsätzlich möglich sei. Mohn habe zugleich betont: "Wir haben starke Vorstandsmitglieder - Top-Manager, die in der Champions League spielen", so Harbaum. Rein theoretisch wäre auch möglich, dass beide eine Doppelspitze bilden - oder dass vorher doch noch ein erfahrenerer Manager und Bertelsmann-Vorstand als Zwischenlösung berufen wird, ehe sie an die Spitze gelangen. Noch mögen die beiden Coesfelds nur Insidern bekannt sein. Nicht mal einen eigenen Wikipedia-Eintrag haben sie. Das würde sich mit dem möglichen Aufstieg an die Spitze rasch ändern. Ein harmonischer und erfolgreicher Wechsel könnte die beiden Familienstämme versöhnen. Reinhards erste Ehefrau Magdalene durfte 2009 dagegen nicht einmal an seinem Begräbnis teilnehmen. Dennoch betrachtete sie sich stets als Teil des Unternehmens und der Familie Mohn. Wenn sie von Bertelsmann oder den Mohns sprach, sagte sie "wir". Gerne erzählte sie auch von ihren Enkeln. Ihren Aufstieg an die Unternehmensspitze erlebt sie nun nicht mehr. Magdalene Mohn starb 2021 im Alter von 98 Jahren.