Auf Kosten der Vielfalt - "Frankfurter Rundschau" sägt die eigene Sportredaktion ab

Von René Martens (KNA)

ZEITUNG - 80 Jahre nach ihrer Gründung hat die "Frankfurter Rundschau" keine eigene Sportredaktion mehr. Obwohl das Team hoch angesehen war, setzt der Ippen-Konzern künftig auf Einheitsbrei statt Vielfalt. Eine Analyse.

| KNA Mediendienst

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"Frankfurter Rundschau"

Foto: Justus Stegemann/Imago/KNA

Frankfurt (KNA) Ist es vorstellbar, dass die Feuilletonredaktion der "Süddeutschen Zeitung" zu einem kleineren Blatt in der Region München wechselt und von dort aus weiterhin für die SZ produziert? Oder dass das Wirtschaftsressort der "FAZ" komplett bei einem anderen Arbeitgeber in Hessen unterkommt, aber weiterhin die Seiten für ihr bisheriges Blatt füllt? Bis vor wenigen Wochen wäre man für nur bedingt zurechnungsfähig erklärt worden, wenn man solche Modelle für realistisch gehalten hätte. Die Ippen-Gruppe indes hat in ihrem Zeitungsreich so eine Idee nun umgesetzt: Seit dem 1. Juni ist die zuletzt auf vier Personen geschrumpfte Sportredaktion der "Frankfurter Rundschau" beim Pressehaus Bintz-Verlag angestellt, der die "Offenbach-Post" (OP) herausgibt. Dort produzieren sie nun unter anderem den Sportteil ihrer alten Zeitung. Mit den Neuzugängen aus der Nachbarstadt stockte Ippen in Offenbach seine "Sport-Unit Hessen" auf, der vorher bereits die Sportredakteure der "OP", des "Hanauer Anzeigers" und der "Frankfurter Neuen Presse" (FNP) angehörten. Inklusive der bisherigen "FR"-Truppe produzieren dort nun 19 Redakteurinnen und Redakteure unter der Federführung der "OP" die Sportteile für die genannten Tageszeitungen sowie für den "Freitags-Anzeiger", eine lokale Wochenzeitung des Pressehaus Bintz-Verlags. Zuerst berichtete darüber der "Sportjournalist", das Magazin des Verbands Deutscher Sportjournalisten. "Mittendrin statt nur dabei" lautete einst der Werbeslogan des Sport-1-Vorgängers Deutsches Sportfernsehen (DSF). Die früheren Sportredakteure der "FR" sind jetzt nicht mehr mittendrin, aber weiterhin dabei. Sie können an "FR"-Konferenzen teilnehmen und liefern anderen Ressorts auch weiterhin Texte zu Themen, die über den Sportteil hinaus relevant sind. Ende Juni zum Beispiel, als das Landgericht Frankfurt im "Sommermärchen"-Prozess den DFB zu einer Geldstrafe wegen Steuerhinterziehung verurteilte, schrieb Jan Christian Müller, einer aus dem alten "FR"-Redakteurs-Quartett, darüber zwei Beiträge für die Seite 3 ("Thema des Tages"). Und Jörg Hanau, der frühere Ressortleiter des nach Offenbach exportierten Sportteils, ist im Impressum der gedruckten "Rundschau" weiterhin in dieser Funktion aufgeführt - obwohl er dort, wie gesagt, gar nicht mehr angestellt ist. Zusammenlegungen von Ressorts oder gesamten Redaktionen innerhalb einer Verlagsgruppe sind seit Jahren gang und gäbe in der Zeitungsbranche. Ippens Vorgehen bei der Sportberichterstattung aus Hessen fällt aber aus dem Rahmen: Die Strategen der Mediengruppe reißen bei einer der bekanntesten Tageszeitungen der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ein Ressort heraus und pflanzen es dann bei einer, mit Verlaub, weniger namhaften Zeitung wieder ein. Anything goes? Die alte "FR"-Sportredaktion hatte einen guten Ruf - weil sie mit einem extrem kleinen Team einen gedruckten Sportteil auf die Beine stellte, der gemessen an den Rahmenbedingungen branchenintern eine große Wirkung und Reichweite hatte. Angesichts ihres großen Engagements für ihren langjährigen Arbeitgeber sind die betroffenen Redakteure nun natürlich persönlich enttäuscht über ihre Degradierung auf offener Branchenbühne. Ippens Maßnahme sehen Eingeweihte als Vorgriff auf die Zukunft: Die "FR"-Veteranen Hanau (62) und Müller (61) gehen in absehbarer Zeit in den Ruhestand. Wäre alles beim Alten geblieben, hätte das Ressort dann nur noch aus zwei Personen bestanden und damit keinen täglichen Sportteil mehr stemmen können. Möglich wäre es in so einer Situation natürlich auch, die Stellen nachzubesetzen, aber diese Option dürfte in Ippens Überlegungen keine Rolle gespielt haben. Mit den Zeitungen der "Sport Unit Hessen" haben die "FR"-Leute auch schon vor ihrer Eingruppierung ins Offenbacher Konglomerat kooperiert: Die "Rundschau" lieferte der "Frankfurter Neuen Presse" Texte über Eintracht Frankfurt, bei der Berichterstattung über die Basketball- und Eishockey-Bundesligisten aus dem Verbreitungsgebiet lief es umgekehrt. Die Sportseiten von "FNP", "OP" und "Hanauer Anzeiger" sind bereits weitgehend identisch, vom Lokalsport abgesehen. Mittelfristig droht nun aber die Vereinheitlichung aller vier von der Unit belieferten Tageszeitungsressorts. Solche Prozesse müssen die Interessen teilweise unterschiedlicher Leserschaften berücksichtigen, orientieren sich also immer am kleinsten gemeinsamen Nenner. Heißt: Nischenthemen fallen hinten runter. "Sportjournalismus im Jahr 2025 heißt aber schon jetzt: kaum Nischen", sagt Jens Weinreich, Gründer des Magazins "Sport & Politics" und einer der vehementesten Kritiker von Fehlentwicklungen im Sportjournalismus. Ein Grund für die sinkende Vielfalt sei die weiter zunehmende "Fixierung auf Fußball". Eine weitere Kehrseite von Gemeinschaftsredaktionen: Je weniger Personen über die Inhalte in immer mehr miteinander verbundenen Medien entscheiden, desto leichter haben es Verbände, Vereine und andere Institutionen, auf die Berichterstattung beziehungsweise die redaktionelle Ausrichtungen Einfluss zu nehmen. Was nicht heißt, dass es immer klappt. Dem Sportteil der "FR" sieht man derzeit noch nicht an, dass er unter dem neuen Dach entsteht. Das Layout weicht zum Beispiel noch von dem der Partnerzeitungen ab. Einen anderen Unterschied sah man vor der Fifa-Klub-Weltmeisterschaft in den USA, die an diesem Sonntag zu Ende geht. Die früheren "FR"-Redakteure hatten die Idee, die divergierenden Meinungen zur Sinnhaftigkeit des Wettbewerbs in zwei Texten abzubilden; die "FNP" übernahm die beiden Artikel. Bei der "FR" war der gegen den Wettbewerb argumentierende Beitrag unter "Kontra" rubriziert, bei der "FNP" als "Contra". Vielleicht ein Zeichen dafür, dass auch in Zukunft ein bisschen Individualität möglich ist.

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