Berlin (KNA) "Piraten. Heiden. Kaiser" lautet der Untertitel des historischen Dokumentarfilms "Die Sachsen". Ihre Geschichte war von "Mythen, Intrigen und Widersprüchen" durchzogen, setzt der Offkommentar leicht raunend gleich noch einen spannungheischenden Dreisatz drauf. Zu den heute nicht ganz leicht verständlichen Widersprüchlichkeiten des Themas gehört, dass es gar nicht um die Bevölkerung des heutigen Bundeslandes rund um Dresden und Leipzig geht. Vielmehr lebten die Sachsen des frühen und hohen Mittelalters teilweise auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen, gaben aber auch englischen Landschaften wie Wessex, Sussex und Essex den Namen. Viel bekannt ist über diese mittelalterlichen Sachsen schon deshalb nicht, weil sie jahrhundertelang keine schriftlichen Zeugnisse hinterließen. Ihr erster wesentlicher Geschichtsschreiber Widukind von Corvey tritt im 90-Minüter von Bettina Wobst und Volker Schmidt-Sondermann - in Mönchskutte mit Kapuze gewandet von Christoph Gottschalch verkörpert - sogleich ins Bild. In neckisch-didaktischen Dialogen mit der Quedlinburger Äbtissin Mathilde, Tochter Ottos des Großen, der es bis zum Kaiser brachte, führt er durch die Geschichte. Doch dass es außer Reenactments auch visuell attraktives Authentischeres zu zeigen gibt, wird bald deutlich. Da ist zum Beispiel das in einem Moor erhalten gebliebene Nydam-Boot, das nun im Schleswiger Museum Schloss Gottorf steht. Ein dänischer Verein hat das 23 Meter lange "Boot der Superlative", wie der Archäologe Andreas Rau es nennt, zudem nachgebaut und rudert es in zeitgenössischer Kostümierung. Mit solchen, ungefähr auf dem heutigen Stand der Bootsbau-Technik befindlichen Gefährten könnten die "Saxones", als römische Quellen sie anno 356 erstmals erwähnten, Küstenregionen angesteuert und geplündert haben. Das messerartige Schwert namens "Sax", das der locker verbundenen Volksgruppe vermutlich den Namen gab, lässt sich nicht nur nachschmieden, sondern auch röntgen, was für weitere Erkenntnisse sorgt. Und die Archäologin Christina Peek gerät geradezu ins Schwärmen anhand bestens erhaltener archäologischer Funde von der niedersächsischen Nordseeküste, die in Bad Bederkesa ausgestellt sind. An einem rund 2000 Jahre alten Schädel lässt sich ablesen, dass sein Besitzer zu Lebzeiten "unter wahnsinnigen Zahnschmerzen gelitten haben" muss. Und textile Reste zeugen davon, dass sich die Sachsen "sehr viel bunter" kleideten, als spätere Epochen annahmen. Dank jahrhundertealter DNA, wie sie vor allem in Zähnen und Gehörknochen zu finden ist, wurde inzwischen festgestellt, dass vom 5. bis 7. Jahrhundert tatsächlich viele altsächsische Bevölkerungsgruppen in den Südosten Englands übersiedelten, wie es der alte Begriff der Angelsachsen suggeriert. Allerdings lassen sich gleichzeitige Migrationsströme aus Skandinavien und Frankreich nachweisen. Offenbar gab es im frühen Mittelalter eine europaweite Migrationsbewegung auf die Insel, womöglich befeuert von einer durch Vulkanasche bedingten kleinen Eiszeit, sozusagen einer frühen "Klimakatastrophe". Außerdem begibt sich der Film ins Münsterland und nach Tilleda im heutigen Thüringen, wo Knochen eines zerteilten Pferdes von einer Opferstätte heidnischer Sachsen zeugen. Dort stellen Living-History-Gruppen Schlachtszenen, aber auch Alltagsleben mittelalterlicher Sachsen nach, auch für diese Doku - und machen sich Erkenntnisse über bunte Kleidung natürlich gerne zunutze. In Paris schließlich forscht die Historikerin Geneviève Bührer-Thierry zum Franken-König Karl der Große, der die Sachsen brutal fürs Christentum missionieren ließ - nicht zuletzt, um seine Machtbasis zu sichern und selber zum Kaiser aufzusteigen. Vom "Blutbad" von Verden, bei dem hunderte oder tausende Sachsen, die sich nicht taufen lassen wollten, enthauptet wurden, berichtete einst schon Widukind von Corvey. Dass es zuvor bereits sächsische Christen gab, zählt indes zu neueren Forschungsergebnissen. Rund anderthalb Jahrhunderte darauf avancierten Nachfahren eines früheren, ebenfalls Widukind genannten Herzogs, zu Königen im Ostfränkischen, bald dann Deutschen Reich. "Eine der größten Erfolgsgeschichten des Mittelalters", nennt das der Offkommentar. Zumindest kommen über Otto, der sich wie Karl in Rom zum Kaiser krönen ließ und ebenfalls das Attribut "der Große" erhielt, dann auch noch der Magdeburger Dom und Reiter ins Bild - aus der heutigen Hauptstadt des Bundeslands Sachsen-Anhalt, in dessen Namen auch wieder die Sachsen stecken. Ziemlich viel hergemacht hat sie also, die weiterhin von einigen Rätseln umwitterte germanische Volksgruppe. Das zeigt die Tellux Dresden-MDR-Produktion ähnlich informativ wie unterhaltsam.