Bonn (KNA) Die Geschichte der bundesdeutschen RAF (Rote Armee Fraktion) wurde in vielen unterschiedlichen medialen Formen gründlich behandelt: ihr Entstehen als Baader-Meinhof-Gruppe in den späten 1960er Jahren, die Stammheim-Prozesse und der "Deutsche Herbst" 1977. Vergleichsweise weniger bekannt ist, was dazwischen geschah, vor 50 Jahren. Der insgesamt gut 100-minütige, in zwei Folgen unterteilte Arte-Dokumentarfilm "Terror in der Botschaft. Die RAF-Geiselnahme von Stockholm" widmet sich der rund zwölfstündigen Besetzung der bundesdeutschen Botschaft in Schweden im April 1975. Sechs Terroristen ermordeten dabei zwei Menschen. Es war sozusagen eine Übergangszeit: Im Februar 1975 hatte die RAF durch die spektakuläre Entführung des Westberliner CDU-Politikers Peter Lorenz Gefangene freigepresst. Dieses aus ihrer Sicht erfolgreiche Manöver wollte die RAF in noch größerem Maßstab wiederholen. Allerdings hatte die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt beschlossen, sich nicht mehr erpressen zu lassen. Freilich war niemand auf Angriffe im Ausland vorbereitet. Auch daher eskalierte die Lage in Schweden, wo der damalige Ministerpräsident Olof Palme für seine "weiche Linie" zwischen den Machtblöcken West und Ost bekannt war. Schon weil anno 2025 nicht viele im Publikum wissen dürften, was vor einem halben Jahrhundert in welchem Ablauf genau geschehen ist, kann sich die deutsch-schwedische Koproduktion echte Spannung zunutze machen. Ihr geschickter Material-Einsatz visualisiert die Übergangsphase: Recht viel vom zahlreich vorhandenen zeitgenössischen Bildmaterial, zu dem neben bewegten Bildern auch allerhand Fotos gehören, ist schwarz-weiß. Farbbilder hatten sich Mitte der 1970er noch nicht komplett durchgesetzt, und auf das bei Dokus über frühere Epochen gern strapazierte Mätzchen der Kolorierung wird hier angenehmerweise verzichtet. Vor allem berichten Zeitzeugen: damalige Botschaftsangestellte, Kinder der Mordopfer, damals beteiligte schwedische Polizisten und Reporter. Sie sitzen dabei jeweils an einem Tisch vor ausgebreiteten Fotos, Papieren und Büchern. Diese karge Aufmachung lenkt den Fokus auf spektakuläre Originaldokumente, zu denen insbesondere Tonbandaufnahmen gehören. Echte Dramatik entfalten Audios der Telefonate, die der Deutsch sprechende schwedische Justizminister Lennart Geijer, aber auch der Diplomatensohn Folkmar Stoecker mit den Geiselnehmern führten. Stoeckers Vater war der Stockholmer Botschafter Heinz Dietrich Stoecker. Sein Sohn war als deutscher Nachwuchsdiplomat gerade erst aus Vietnam evakuiert worden, wo der Krieg - der wesentlich zur Proteststimmung der 1960er Jahre und mittelbar auch zum Entstehen der RAF beigetragen hatte - noch nicht beendet war. Auch solche Details hat man als Zuschauer im Jahr 2025 nicht unbedingt auf dem Schirm. Nach seiner Ankunft in Stockholm rief der junge Stoecker aus eigener Initiative in der Botschaft an. Es ging ihm darum, die Terroristen, die mit stündlichen Geisel-Erschießungen gedroht hatten, hinzuhalten. Dabei sei ihm die "Faktizität egal" gewesen, sagt er heute. Ein Einsatzleiter der deutschen Polizei-Spezialeinheit GSG 9 kritisiert sowohl Stoeckers damalige Aktion als auch die Gesprächsführung des schwedischen Ministers Geijer dagegen heute noch scharf. "So was macht man nicht!", entfährt es ihm. Dabei hatte die nach dem Münchener Olympia-Attentat 1972 gegründete GSG 9 bis 1975 noch keine großen Einsätze absolviert und war im neutralen Schweden gar nicht vor Ort. Dieses bemerkenswerte Konfliktpotenzial in den Einschätzungen, das ein halbes Jahrhundert später noch zutage tritt, sorgt insbesondere im zweiten Teil der Doku für Spannung im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Gut tut dem Film überdies, dass es sich sichtlich um eine echte Koproduktion handelt. Deutsche und schwedische Zeitzeugen kommen in ähnlichem Ausmaß zu Wort. Auch der Offkommentar macht gute Figur, indem er nur wenig als bekannt voraussetzt, sondern die komplexe Vorgeschichte kompakt zusammenfasst. Zur Unterstützung sind Experten wie der Autor Wolfgang Kraushaar dabei. Ungewöhnlich ist etwa, dass wiederholt von "Westdeutschland" die Rede ist. Meist heißt es ja "Bundesrepublik".Zumal aus der Sicht Schwedens, das sich damals auch um gute Beziehungen auch zur DDR bemühte, trifft "Westdeutschland" freilich den Nagel auf den Kopf. Ebenfalls passt, dass die Terroristen, von denen die meisten noch leben und nach Gefängnisstrafen wieder in Freiheit sind, kaum zu Wort kommen. Karl-Heinz Dellwo, der wohl bekannteste von ihnen, ist mit Aussagen aus einer Dokumentation von 2003 wiederum nur zu hören. Zu sehen ist er dabei auf einem schwarz-weißen Foto. Auch Olof Palme, heute in Deutschland wohl am ehesten durch seine rätselumwitterte Ermordung 1986 bekannt, wird immer wieder mit demselben Schwarz-Weiß-Foto gezeigt, auf dem er in die Kamera schaut. Lässt sich an diesem Dokumentarfilm also gar nichts kritisieren? Doch, dass er den klugen Einsatz seiner kargen, aber authentischen Mittel nicht konsequenter durchhält. Schon früh kommen zusätzlich Reenactments, also schauspielerische Nachstellungen dessen, was die Zeitzeugen zugleich auf der Tonebene berichten, zum Einsatz. Das ist unnötig, da die plastischen Schilderungen das Vorstellungsvermögen anregen. Zunächst stört das nicht so sehr. Im Verlauf gibt es aber Momente - etwa wenn berichtet wird, dass jemand aus dem Botschaftsfenster "Hilfe!" rief -, in denen man sich fragt, ob hier nun eine von Fernsehreportern aufgenommene Originalaufnahme oder ein Reenactment zu sehen und hören ist. Verwirrung, was echt oder "fake" ist, gibt es in den 2020er Jahren auf allen Kanälen und in sämtlichen Medienformen mehr als genug. Dazu nicht beizutragen, müsste ein Anliegen aller öffentlich-rechtlichen Produktionen sein. Erst recht, wenn wie hier genug authentisches Material und kluge Konzepte, es einzusetzen, vorhanden sind.