Fleisch war sein Gemüse - Eine Arte-Doku versucht sich am Verhältnis von Magen und Macht

Von Steffen Grimberg (KNA)

DOKU - Arte erzählt in "Essen.Macht.Geschichte" die Menschheitsentwicklung aus Küchenperspektive - von römischen Kaisern bis zur Kartoffel als "Frucht des Teufels". Das ist leichte Kost mit ein paar nahrhaften Einblicken.

| KNA Mediendienst

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"Essen.Macht.Geschichte."

Foto: Patrick Meyer-Clement/Ferbruar Film/ZDF/KNA

Berlin (KNA) Arte ist der deutsch-französische Kulturkanal. Und wenn es um Frankreich geht, ist immer auch Essen im Spiel. Das zeigt sich im Vor- wie Nachmittagsprogramm des Senders in Formaten wie dem Dauerbrenner "Küchen der Welt", der Rezepte und Länder vorstellt. Am 18. September geht es dann über einzelne Gerichte weit hinaus. Die Doku "Essen.Macht.Geschichte." versucht sich an nichts weniger als einer Menschheitsgeschichte aus der Küchenperspektive und wirft die Frage auf, wie die Macht über Essen und Nahrungsmittel mit politischer Macht zusammenhängt. Mit Blick aufs Römische Reich gelingt das noch ganz passabel. "Brot und Spiele" ist als Redewendung ja nicht von ungefähr auch nach rund 2.000 Jahren in aller Munde. Und die Cäsaren wussten, wie sie ihre Untertanen bei Laune hielten. Die Getreideversorgung war Chefsache, also Aufgabe der römischen Kaiser höchstselbst. Machthunger ist allerdings immer dann schwer zu stillen, wenn das Volk der reale Hunger quält, was dann auch Frankreichs absolutistische Herrscher im 18. Jahrhundert hinwegfegte. Danach, lernt man, war zwar die Ernährungslage beim gemeinen Volk nicht wesentlich besser. Aber man hungerte sozusagen demokratisch. Und wer es sich leisten konnte, ging in eine neue Einrichtung namens Restaurant. Die hatten die nun arbeitslosen Leibköche des Adels zum eigenen Broterwerb erfunden - womit die Französische Revolution ganz nebenbei sozusagen auch noch das Menschenrecht auf Kulinarik eingeführt hatte. Die Beispiele lassen schon anklingen, dass diese Doku eher leichte Kost ist. Wer bei "Essen-Macht.Geschichte" Analysen zur politischen und wirtschaftlichen Macht der multinationalen Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé, Coca-Cola oder Unilever erwartet oder nach Hintergründen zu Zucker- und anderen um Lebensmittel geführten Kriege hungert, wird nicht recht satt. Dass die Zuckerproduktion vor Erfindung der gleichnamigen Rübe in Europa einer der wesentlichen Treiber des internationalen Sklavenhandels war, ploppt einmal kurz auf, das war's dann aber auch schon. Dafür wird zwischendrin ausgiebig gekocht, ganz real und modern auf Gas, was zumindest beim ersten Gericht aus der Steinzeitküche recht lustig anmutet. Die Vorgeschichte ist dabei der gelungenste Teil der 90 Minuten-Doku (Produktion: Februarfilm, Buch und Regie: Maike Wurtscheid). Oder wussten Sie, dass eines der wichtigsten Körperteile des modernen Menschen der Kiefer ist? Während Vor- und Frühmenschen wie die Australopethicinen eher breite Backenzähne zum Zermahlen ihrer ganz überwiegend pflanzlichen Nahrung hatten, verhalfen schon weitere Vorgänger des Homo sapiens mit ihren deutlich fleischfressenderen Gebissen der Evolution auf die Sprünge. Nur durch den Fleischkonsum und den damit aufgenommenen Proteinen ist nach aktuellem Stand der Forschung das Wachstum des Gehirns möglich geworden, dass am Ende dreimal so groß wie das der Vormenschen war. Durch den Fleischkonsum ergaben sich auch ganz neue Konkurrenzen in der Nahrungskette. Denn ein großer Fleischkonsum erforderte wie noch heute bei Raubtieren eine entsprechende Reviergröße, um den Hunger zu stillen. Doch dann die große Überraschung: Nach dem Sesshaftwerden, was mit zunehmender Kenntnis um den Getreideanbau einhergeht, geht der Fleischkonsum wieder zurück. Milch und Milchprodukte sind jetzt wertvoller als Fleisch. In Polen haben Forscher eine über 7000 Jahre altes Käsesieb entdeckt. Und in Ägypten eine 5000 Jahre alte Großbrauerei ergraben, in der 22.000 Liter "Bier" auf einmal hergestellt werden konnten. Die Anführungsstriche deshalb, weil dieser Gerstensaft wahrscheinlich nicht mal aus Gerste und für heutige Geschmäcker schwer verdaulich war. Aber durch seinen leichten Alkoholgehalt latent keimtötend und damit verlässlicher als das meiste Wasser. Beide Beispiele zeigen zudem, dass die Menschen zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht nur ans nahrungstechnische Überleben denken mussten - während alle vormodernen Gemeinschaften Mangelgesellschaften waren. Mangel an Nahrung herrschte aber auch danach noch stets in der Geschichte - und in vielen Weltgegenden, menschengemacht, bis heute. Auch das hat viel mit Macht zu tun, doch die Doku schaut hier nur zurück und kaum nach vorn. Was noch hängenbleibt, ist eine gewisse Bangbüxigkeit mit Blick auf Speis und Trank. Nachdem die Sorge nicht mehr dem jederzeit möglichen Exitus wegen zu wenig Nahrung gelten musste, kam die Angst vor der Vergiftung. Der Kirche galt die aus der Neuen Welt mitgebrachte Kartoffel zunächst als "Frucht des Teufels", weil der oberirdisch wachsende Teil des Nachtschattengewächses ja in der Tat giftig ist. Und erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass es um die Knolle ging. Die ist bis heute zumeist auf des Deutschen Leibspeisezettel zu finden, konstatieren die beiden Köchinnen, die die jeweiligen Epochen immer mit passenden Gerichten garnieren - vom römischen gerollten Schweinebauch mit der antiken Würzsauce Garum bis zu den Königsberger Klopsen aus dem Kochbuch der Henriette Davidis. Wenn man Menschen aus dem Ausland befrage, was für sie das typisch deutsche Essen sei, komme verlässlich etwas mit Würstchen und Kraut dabei heraus, lautet ihre Schlussbilanz. Was wiederum zeigt, dass "Nationalgerichte" solche Speisen sind, die einem "von außen" zugeschrieben werden.

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