Köln (KNA) "Göttliche Weiblichkeit", oder: "Die Essenz des Frauseins!" Mit diesen frenetischen Lobpreisungen ist jene Plastikpuppe gemeint, die unnatürlich-magersüchtig dünn ist. Und die mit ihren weiblichen Stereotypen eigentlich nichts anderes zu tun hat, als "gut auszusehen und ihrem Freund Ken zu gefallen". Doch seit dem Kino-Blockbuster "Barbie" ist das anders. Plötzlich gilt die Puppe als feministische Ikone. Der Kinofilm feiert Solidarität unter Frauen und lässt seine Zuschauer wissen, dass es in Ordnung ist, weiblich beziehungsweise "girlie" zu sein. Wie aber steht es um die Firma Mattel, von der Barbie seit über sechzig Jahren hergestellt wird? Eine britische Dokumentation im ZDF macht klar, dass der Spielwaren-Gigant von den im Kinofilm propagierten Idealen der Gleichberechtigung, des Empowerments und der Inklusion weit entfernt ist. Um dies zu verdeutlichen, richtet der Investigativ-Journalist Alasdair Glennie den Fokus auf die prekären Bedingungen, unter denen die Puppe produziert wird. Dazu gehört auch eine Under-Cover-Reportage in einer südchinesischen Mattel-Fabrik. Maschinen formen hier die einzelnen Gliedmaßen aus flüssigem Plastik, der Herstellungsprozess ist nur teilweise automatisiert. Eine Reporterin, die als Arbeiterin anheuerte, filmt mit versteckter Kamera, wie sie die frisch gegossenen, noch heißen Plastik-Gliedmaßen aus der Form-Apparatur herausholen muss - ohne Handschuhe und im Akkord. Für einen Basislohn von 1,70 Euro pro Stunde erleidet sie Brandblasen. Wer Überstunden verweigert, wird entlassen. Menschen seien hier "so austauschbar wie die Puppen, die sie produzieren". Das ist Ausbeutung wie einst im Manchester-Kapitalismus. Nur eben im chinesischen Kommunismus. Ganz neu sind diese Vorwürfe gegen den Spielzeug-Konzern nicht. Wiederholt haben Menschenrechtsorganisationen die Zustände in den Fabriken von Mattel kritisiert. Diverse Medien berichteten. Alasdair Glennies Film beschränkt sich jedoch nicht auf die Kritik an den Produktionsbedingungen. Seine Dokumentation richtet den Blick ebenso auf die immense juristische Streitlust, mit welcher der Spielwaren-Konzern allein in den vergangenen fünf Jahren 268 Mal vor Gericht zog, um die Marke zu schützen. Verklagt wurde beispielsweise der Amerikaner David Muirhead, dessen neu entwickelte Software die Suche nach dem geeigneten Restaurant erleichtern soll. Weil aber seine Handy-App die Bezeichnung einer Kneipe, "Bar", mit dem englischen Ausdruck für Biene, "bee", verknüpft - und so der lautmalerische Name "BarBee" nicht zufällig gleichlautend mit "Barbie" ist - zerrte man Muirhead vor Gericht. Doch der gibt sich kämpferisch: "Ich möchte der David sein, der Goliath zu Fall bringt." Neben der Kernmarke nimmt die Dokumentation auch skandalöse Verfehlungen der Mattel-Tochter Fisher-Price in den Blick. Der Hersteller von Artikeln rund ums Kinderzimmer hat unter anderem die Babywippe "Rock 'n Play Sleeper" in seinem Sortiment, die aufgrund einer Fehlkonstruktion am Tod von etwa dreißig Säuglingen schuld sein soll (womöglich sehr viel mehr). Die betroffenen Babys waren meist nicht angeschnallt und konnten sich deshalb in eine gefährliche Position drehen, die zum Ersticken führte. Mit großem argumentativem Aufwand versucht der Konzern, die Sachlage so darzustellen, dass er seiner Sorgfaltspflicht nachkam. Auch über diesen Vorfall wurde bereits ausführlich berichtet. Herzstück der Dokumentation ist die Konfrontation all dieser unternehmerischen Verfehlungen mit jenen überschwänglichen Fantasien, die sich seit dem weltweiten Megaerfolg des Kinofilms um die langbeinige Mädchenpuppe ranken. Auf der Straße angesprochene Passantinnen schwärmen in den höchsten Tönen. Die Kamera ist zu Gast bei einer Barbie-Influencerin, deren Wohnung im wahrsten Sinn wie ein Puppenhaus anmutet. Doch wie kann es sein, dass ausgerechnet diese Puppe und ihre Welt, deren pinkfarbene Künstlichkeit in den Augen schmerzt und die obendrein unter ausbeuterischen Bedingungen produziert wird, zur feministischen Ikone werden konnte? Die Antwort scheint von entwaffnender Schlichtheit zu sein: "Barbie ist Ärztin, Anwältin, Senatorin und Nobelpreisträgerin", erklärt Margot Robbie, die für den Kinofilm in die Rolle der Puppe schlüpfte. Die Frage nach dem überraschenden Erfolg dieser Kinoproduktion stellt Glennies Dokumentation jedoch nur halblaut. So wird der Name der Avantgarde-Schauspielerin und "Barbie"-Regisseurin Greta Gerwig, die das Drehbuch zusammen mit dem nicht minder renommierten Filmemacher Noah Baumbach verfasste, mit keiner Silbe erwähnt. Zitiert wird dagegen der Mattel-CEO Ynon Kreiz, der nicht einfach nur irgendeinen Film initiieren, sondern "ein kulturelles Phänomen erschaffen" wollte. Es liegt jedoch auf der Hand, dass ein Film, der weltweit etwa eine Milliarde Dollar einspielte, keinesfalls nur ein neunzigminütiger Werbespot für Mattel sein kann. Doch genau das lässt die Dokumentation durchblicken, ohne es in diesen einfachen Worten zu artikulieren. Um eine Reflexion über die Machart des "Barbie"-Films, der die Künstlichkeit des Mattel-Universums kunstvoll bis zur "Kenntlichkeit" entstellt, drückt Alasdair Glennie sich herum. Über die Frage, wie man innerhalb der Kulturindustrie einen Blockbuster realisieren kann, der als subversiv und feministisch aufgefasst wird, haben sich auch zahlreiche Kritiker sich den Kopf zerbrochen. Zwar erwähnt die Dokumentation, dass der Spielwaren-Konzern bewusst Trend-Themen wie weibliches Empowerment und Inklusion aufgreift - nicht aber, warum diese Marketingstrategie funktioniert. Formuliert dieser Film, in dem die Puppe Barbie am Ende wie bei Pinocchio menschlich wird, trotz seiner glatten Oberfläche nicht doch komplexere Fragen? Oder ist tatsächlich alles "nur pinker Schein"? Dafür interessiert die Dokumentation sich nicht wirklich. Die Ausrichtung des Films zeigt sich, wenn Isobel Yeung, die als Presenterin fungiert, mit einem pinkfarbenen Jeep durch Los Angeles fährt, bis sie vor der 15,7 Millionen Dollar teuren Villa des Mattel-Chefs angekommen ist. Einer der von Mattel ausgebeuteten Chinesen müsste "1.500 Jahre arbeiten, um so eine Villa zu kaufen", heißt es. Mit dieser plakativen Kapitalismuskritik bleibt der Film schon etwas unterkomplex. Das ist schade, da wäre mehr drin gewesen - und das Thema ist allemal relevant.