Mörderischer Einfluss - Doku über Influencer, die zu blutiger Gewalt anstacheln

Von Christian Bartels (KNA)

DOKU - Eine ZDF-Info-Doku zeigt mit aufschlussreichen Stärken und Schwächen, wie rechtsextreme Netzwerke auf wechselnden Plattformen labile junge Menschen bis hin zu Anschlägen und Morden beeinflussen.

| KNA Mediendienst

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"Terrorgram - Vom Gruppenchat zum Attentäter"

Foto: WGBH Educational Foundation/ZDF/KNA

Berlin (KNA) Sie saß mit zwei Freunden vor einer offensichtlich queeren Bar in Bratislava und hatte den jungen Mann, der fast eine Dreiviertelstunde vermeintlich schüchtern in der Nähe stand, sogar gegrüßt. Das erzählt eine junge Frau aus der slowakischen Hauptstadt - und berichtet dann, wie der 19-Jährige ihre beiden Freunde ermordete und sie den Anschlag nur knapp überlebte. Sein "Manifest" hatte der Täter schon vor dem Attentat im Oktober 2022 ins Netz gestellt. Damit beginnt der 45-Minüter "Terrorgram - Vom Gruppenchat zum Attentäter". Der US-amerikanische Investigativreporter A.C. Thompson schlüsselt auf, wie sich seit den 2010er-Jahren rechtsextreme Akteure international vernetzten und Anhänger zu mörderischen Taten aufwiegelten. Um "führerlosen, dezentralisierten Terrorismus, ausgeführt für ein Onlinepublikum" gehe es, sagt Thompson. Als "Brandbeschleuniger" diente dabei insbesondere der Anschlag 2019 auf eine Moschee im neuseeländischen Christchurch, bei dem 51 Menschen ermordet wurden. Anschließend ging die lokale Polizei, wie später in Bratislava, von einem Einzeltäter aus - und übersah die globalen Online-Verbindungen. Thompson berichtet in Ich-Form und auch vor der Kamera (doch nicht so performativ, wie es deutsche Presenter derzeit gerne tun), wie rechtsextreme Akteure als "Influencer" im Wortsinne agieren und ihnen persönlich unbekannte, junge Follower mörderisch zu beeinflussen versuchen. Die Plattformen wechseln dabei ständig. Auf 4chan konnten dem neuseeländischen Attentäter rund 400 Beiträge zugeordnet werden, es geht auch um 8chan, das Imageborad, das von seinem Entwickler Fredrick Brennan wegen Missbrauchs schließlich selbst stilllegt wurde. Nachdem Facebook und Twitter (heute X), entsprechende Accounts löschten, wurde Telegram wichtig. Zu den bis heute gängigen Mustern gehört, dass die Täter Dokumente - sowohl Texte als auch in Egoshooter-Manier selbstgefilmte Videos ihrer Morde - teilen. Und das immer wieder und so schnell, dass auch zügiges Löschen wenig hilft. Vorab informierte Gleichgesinnte haben dann das Material bereits kopiert und teilen es auf anderen Wegen weiter. Der slowakische Attentäter postete unter dem Namen "NTMA0315". Die Abkürzung stand für "Never Take Me Alive" und das Datum des Anschlags in Christchurch, zeigte also, in welche Tradition er sich stellen sollte und wollte. Tatsächlich wurde ihm in einem englischsprachigen Netzwerk die angestrebte "Sainthood" zugesprochen und sein "Manifest" sogar als Hörbuch veröffentlicht. So ergibt sich ein schlüssiges Bild langlaufender Entwicklungen, die aber in den sich permanent neu füllenden Echtzeit-Timelines der Plattformen den meisten Nutzern kaum auffallen. Labile, oft offenkundig einsame junge Menschen wurden und werden so nachhaltig beeinflusst. Das aufzuzeigen, ist die Stärke des Films, der schließlich berichten kann, dass zumindest das "Terrorgram"-Netzwerk ausgehoben wurde. Ende 2024 wurden in den USA mehrere Anführer, darunter eine Frau, verhaftet. Worauf sich im Herbst 2025 unwillkürlich die Anschlussfrage stellt, wie sich Behörden der USA inzwischen verhalten würden beziehungsweise verhalten. Schließlich hat Präsident Trump sie gewaltig umgepflügt, Moderation und Kontrolle im Netz fast abgeschafft und das gesamte traditionelle US-System der "Checks and Balances" mindestens beschädigt. Der Film nimmt, trotz ausführlicher Berichte aus Bratislava, eine ziemlich US-amerikanische Perspektive ein. Als Experten kommen etwa eine Terrorismusbekämpferin der New Yorker Polizei und ein Wissenschaftler der kalifornischen Chapman University zu Wort. Um Telegram geht es eher am Rande. In Europa viel diskutierte Fragen wie die, inwieweit die vom Russen Pawel Durow gegründete und seit einigen Jahren in Dubai ansässige Plattform für staatlich russische Propaganda genutzt wird, stellt der Film gar nicht. Es wirkt beinahe so, als säße der im Sommer 2024 in Frankreich kurzzeitig verhaftete Durow noch immer in Haft. Auch die eigentlich zentrale Frage, wie gründlich und zügig Plattformen (darunter auch große wie etwa X und Facebook) Inhalte moderieren und vor allem solche, die offenkundig zu Mord auffordern, löschen müssen, scheint nur indirekt auf. Um Antworten mogelt sich der 45-Minüter mit knappen Sätzen wie dem, dass "uneingeschränkte Redefreiheit problematisch" sei, geradezu herum. Der Grund zeigt sich im Abspann: Produziert wurde die ZDF-Info-Sendung für WGBH und PBS Frontline, also für öffentlich finanzierte US-amerikanische Fernsehanbieter, die selber unter Trumps Maßnahmen zu leiden haben und sich nun nicht zu weit aus dem Fenster lehnen möchten. In diesem Sinne ist auch der eher schwachbrüstige Ausstieg aus der zunächst imposanten Recherche aufschlussreich.

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