Alexander Prinz sucht in "Oststolz" neue Identität einer Region - Kluger Appell für einen radikalen Blickwechsel

Von Steffen Grimberg (KNA)

BUCH - Youtuber Alexander Prinz fordert in "Oststolz" ein neues Selbstbewusstsein für Ostdeutschland. Gleichzeitig kritisiert er den Ausverkauf der DDR-Presse an den Westen und zeigt, warum strukturelle Probleme gesamtdeutsch sind.

| KNA Mediendienst

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Alexander Prinz

Foto: Ronny Götter/DroemerKnaur/KNA

Berlin (KNA) Alexander Prinz hat sich als Youtuber mit dem düsteren Titel "Der dunkle Parabelritter" einen Namen gemacht. Seit letztem Jahr ist er mit dem Kanal (Motto: "Krach, Kultur, Kritik") Teil des öffentlich-rechtlichen Netzwerks funk. Auch bei seinen beiden anderen YouTube-Kanälen "Prinz" und "Iceberg" geht es um gesellschaftliche und vor allem gesellschaftspolitische Phänomene. Oder wie Prinz vermutlich sagen würde, um den "alltäglichen Wahnsinn". Jetzt hat der gebürtige Hallenser ein Buch über den alltäglichen Wahnsinn der Bundesrepublik im 35. Jahr nach der Vereinigung geschrieben. Es heißt "Oststolz", was zu Missverständnissen Anlass geben könnte - und aus Marketinggründen vielleicht auch soll. Doch Prinz' Blick ist deutlich differenzierte und reicht tiefer. "Den Osten heute immer noch mit der DDR erklären zu wollen, ist ein Fehler, davon bin ich überzeugt" - dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, dass für ostdeutsches Selbstbewusstsein wirbt und sich klar gegen die üblichen Schwarz(Ost)-Weiß(West-Vereinfachungen positioniert. "Kommt man aus dem Osten, haftet einem oft noch immer das diffuse Stigma an, man sei ja doch irgendwie "DDR-sozialisiert", selbst wenn man, wie ich, erst Jahre nach dem Fall der Mauer geboren wurde: eine Art passive Sozial-Osmose", so Prinz, Jahrgang 1994. Und diese angebliche "Ostmose" führt zusammen mit der üblichen medialen Zuweisung von Rechtsradikalismus als primär ostdeutschem Problem zu einem gesunden Trotz: "Ich glaube, dass diese Veränderung bei mir und vielen anderen überhaupt erst die Beschäftigung mit der eigenen Identität begründet hat. Als Gegenreaktion und Selbstverteidigung gegen die Fremdzuschreibungen und die um sich greifende Verzweiflung." Denn nun werde "mit dem Finger auch auf uns gezeigt, auf uns, unsere Eltern und unsere Heimat. Und dabei wird deutlich, dass unsere Erfahrungen, unsere Geschichte, unsere Überzeugungen unter diesem Schmuddelbegriff subsumiert werden. Und da wir noch immer keine Stimme haben, ist dieses Bild auch wenig kritisch übernommen worden." Woraus sich die Motivation zu "Oststolz" quasi automatisch ergibt: "Ich und viele andere sind angetreten, das zu ändern. Denn Ostdeutschland ist vor allem meine Heimat. Mein Zuhause", schreibt Prinz. Und weiter: "Ich bin kein Problem." Ein tatsächliches Problem benennt Prinz dabei in gnadenloser Deutlichkeit: Das der medialen Unterschiede beider Deutschlands - vor und nach 1989. Denn natürlich war und ist der Osten anders, "ein anderer als jener, den überregionale, meist westdeutsche Medien oft zeichneten - ein Zerrbild voller Gewalt und Niedergang". Genauso natürlich sind diese "Schattenseiten", wie Prinz es nennt, leider höchst real, doch eben nicht die einzige Geschichte über "den" Osten in seiner ganzen Vielschichtig- und Widersprüchlichkeit. "Die Gefahr besteht jedoch darin, dass sich solche einseitig negativen Erzählungen verselbstständigen und die gesamte Wahrnehmung so verengen, bis das Klischee die Realität ersetzt", schreibt Prinz. Und so sei nun "ausgerechnet die Presse" vielerorts "zum Feindbild geworden". Was aber nicht an einer so schnell wie wohlfeil konstruierten antidemokratischen Haltung liegt, in der sich DDR-Kleinbürgerduckmäusigkeit und ehemals preußischer Kadavergehorsam wiederfinden. Sondern weil die Meinungsmacht immer vom Westen her wehte. "Heute existieren noch vier Zeitungen, die in der Wendezeit gegründet wurden", konstatiert Prinz - von einstmals hoffnungsvoll gegründeten Dutzenden. Ab 1990 haben westdeutsche Verlage die Regionalzeitungen in Ostdeutschland übernommen, spätestens ab der Währungsunion im Sommer des Jahres mit freundlicher und bald ebenso "westorientierter" Unterstützung der Treuhandanstalt. "Ostdeutschland hat innerhalb weniger Monate die Chance verloren, eine eigene Informationshoheit zu entwickeln, da es gegen eine Mischung aus Preiskampf, Hinterzimmerabsprachen, dem Ignorieren rechtlicher Regularien und überlegener Infrastruktur keine Chance hatte. Der Verkauf ging in kürzester Zeit über die Bühne und war im Sommer 1991 weitgehend abgeschlossen: "Die Treuhand nahm 1,2 Milliarden D-Mark durch den Verkauf ein - nur die DDR-Brauereien wurden noch schneller verkauft", schreibt Prinz. Und folgert: Der Sieger schreibt die Geschichte - und er besitzt auch die Zeitungen, in denen sie gedruckt wird. Wobei es auch andere Beispiele gab. Während bei vielen Blättern Verlags- wie Redaktionsleitungen von Westpersonal mit den üblichen Zulagen besetzt wurden, gingen - wenige - andere wie die zum damaligen WAZ-Konzern gehörende "Thüringer Allgemeine" eigene Wege. Hier kam es zu einer hausinternen "Ost"-Lösung unter Sergej Lochthofen als Chefredakteur, der bald auch überregional durch Auftritte im "ARD-Presseklub" und anderswo zur "Stimme des Ostens" wurde. Die ersten "Wessis" bei der "TA" waren überwiegend Volontäre - ich gehörte ab 1991 dazu. Im Rundfunk sah es nicht anders aus. Doch diese "massenmedial multiple Problemzone", wie das die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung in einer ihrer Studien nannte, taugt natürlich nicht zur alleinigen Begründung. Worin die Problematik darüber hinaus liegt, führt Prinz auch anhand seiner eigenen Biografie, aber auch gestützt auf wissenschaftliche Daten und weitere Untersuchungen aus: In der ungleichen Chancenverteilung zwischen bildungsstarken und -schwachen Bevölkerungsgruppen, den Unterschieden zwischen Metropolregionen und überalterten, von Abwanderung gekennzeichneten ländlichen Räumen sowie der ungleichen Verteilung von Vermögen. Hier hat der alte Westen - wenig verwunderlich - über alles gesehen zwar meist eine bessere Position als die nach 35 Jahren für viele Ur-Bundesrepublikaner immer noch ziemlich neuen Länder. Doch in vergleichbar strukturschwachen Gebieten sieht es auch im Westen genauso trostlos aus - hohe Wahlergebnisse für die AfD inklusive. "Blickt man auf den Osten, sieht man die Zukunft Westdeutschlands", lautet eine von Prinz' Thesen am Ende des Buches. Und er hat recht, was der bisherigen "Ost-Politik" des Bundes ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt: "Der Blick hätte nicht für den Osten, sondern für abgehängte Räume allgemein geschärft werden sollen", schreibt Prinz. Doch die Ost-Fixierung bis hin zum Bundesbeauftragten für Ostdeutschland habe nur dazu geführt, dass man sich in eine Ost-Identität flüchtete, "weil wir keine Beschreibung hatten für das, was eigentlich unsere Identität ist: Jugend aus einem armen, ländlichen, postindustriellen Raum. Das ist zwar weniger sexy - aber es macht deutlich, dass wir in unserem Erleben überhaupt nicht einzigartig sind, sondern dass es Menschen an vielen Orten genauso geht wie uns - dass unsere Probleme zu lösen nicht bedeutet, ein Problem für den Osten zu lösen, sondern ein Problem für die ganze Gesellschaft." Es gehört zu den Stärken des Buches, dass Prinz solche Überlegungen nicht nur streng intellektuell herleitet, sondern immer wieder biografisch unterfüttert. "In meiner Jugend in dem Dorf, das mehr Kühe als Menschen beherbergte, tranken wir Nordhäuser Doppelkorn an einer Bushaltestelle, an der niemals ein Bus abfuhr. Mittlerweile wurde sogar die Bushaltestelle abgerissen", heißt es ein einer Stelle. Und über seine Heimat Sachsen-Anhalt schreibt Prinz nonchalant: "Noch seltener als dieses Bundesland wird nur Mecklenburg-Vorpommern gegoogelt." Doch natürlich haben auch DDR-Vergangenheit und "Wende"-Erfahrung ihren Anteil an der aktuellen Situation. Dadurch fehle vielen Menschen die Resilienz, mit erneuten Rückschlägen und Schwierigkeiten umzugehen. Was in den 2010er Jahren endlich auch auf dem Land ein bisschen von den 1990 prophezeiten "blühenden Landschaften" zu spüren war, sei durch die Corona-Pandemie hinweggefegt worden, argumentiert Prinz: "Es scheint, als ob eine ganze Generation, die die Aufbruchstimmung nach der Wende erlebt hat, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft endgültig aufgegeben hat. Ich habe verstanden: Ja, es sind die strukturellen Ungleichheiten, die dazu führen, dass wir stärker strampeln müssen, um über Wasser zu bleiben. Aber der Defätismus ist es, der uns wie eine Kugel Blei nach unten zieht." Und so meint Prinz mit "Oststolz" gerade keine verklärte Ostalgie, sondern ein Sich-Aufraffen und Besinnen auf unter schwierigsten Bedingungen Erreichtes - sowohl vor als gerade auch nach 1989/90. Dass dies nicht eben leicht wird, ist dem 30-Jährigen vollauf bewusst. "Wir haben Enormes geleistet, ohne dass die strukturellen Probleme im Westen überhaupt begriffen worden sind. Wir neigen dazu, nur den Weg vor uns zu sehen - dabei aber nicht den, den wir bereits hinter uns gebracht haben. Ich habe Angst, dass Bücher wie meines ältere Menschen darin bestätigen, dass eh alles verloren ist und sie sich doch nur aufgeben können - und junge, dass es sich sowieso nicht lohnt, etwas aus sich zu machen, sich für seine Heimat oder seine Familie über das hinaus zu entwickeln, was man von seinem Umfeld gewohnt ist." Für ihn ist das Gegenteil der Fall: "Ich will, dass die Missstände klar benannt werden. Sobald Klarheit besteht, kann man aktiv handeln. Und darum geht es: dass wir alle zusammen ins Handeln kommen - West, aber eben auch Ost." "Oststolz" plädiert so für ein neues Selbstbewusstsein, dass die Gesellschaft nicht weiter spaltet, sondern im Gegenteil eine Grundlage auf Augenhöhe zur Überwindung dieser Spaltung legt. Dabei spielen auch weiterhin die Medien eine wichtige Rolle. "Was niemandem hilft, sind Erzählungen darüber, wie sehr Ostdeutsche benachteiligt werden, weil sie Ostdeutsche sind. Das ist rundheraus falsch", schreibt Prinz: "Es ist der Raum, in dem wir leben, der nach wie vor diese Schieflage hat - es sind nicht die Menschen, die von den 'Wessis' unter der Knute gehalten werden." Die Medien sollten "endlich über den Tellerrand" schauen und dürften es sich nicht mit der "Ost-West-Schublade" leicht machen. Denn so würden nur "die tieferen, gesamtdeutschen sozialen Probleme" wie die wachsende Ungleichheit und Perspektivlosigkeit in strukturschwachen Regionen verschleiert. Prinz' Buch ist so eine engagierte, ehrliche, manchmal auch bei aller Schwere des Themas amüsante Herausforderung für Menschen in Ost und West. Und ganz nebenbei noch eine tiefe Verbeugung vor den Leistungen von Grundschullehrerinnen und Grundschullehren, die mit den aktuellen Ungleichheiten Tag für Tag am meisten konfrontiert sind.

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