Sehenswerte Zumutung - Von Klaus Kinski zur künstlichen Intelligenz

Von Jan Freitag (KNA)

FILM - In der Arte-Mockumentary "About A Hero" füttern zwei Filmemacher eine KI mit Wissen über Werner Herzog, bis daraus ein mysteriöser Kriminalfall wird. Der daraus entstandene Film ist eine sehr sehenswerte Zumutung.

| KNA Mediendienst

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"About a Hero - Das Werner-Herzog-Experiment"

Foto: Emil Aagaard/Tambo Film/NDR/Arte/KNA

Hamburg (KNA) Ein Gespenst geht um in Europa, Deutschland, der Welt: Künstliche Intelligenz, kurz KI. Ihr Spuk scheint gerade den menschlichen Geist zu ersetzen. Außer jenem von Werner Herzog, versteht sich. Ein Computer, behauptet der weltweit bekannteste noch lebende Regisseur deutscher Sprache, "wird in 4500 Jahren keinen so guten Film machen wie ich". So ein Selbstbewusstsein erlangt also, wer nicht nur den Zweiten Weltkrieg, sondern fünf Dreharbeiten mit Klaus Kinski überstanden hat. Aber besteht es auch den Praxistest? Das wollte der 82-Jährige wissen und ließ sich aufs Experiment seines polnischen Kollegen Piotr Winiewicz ein. Dessen Plan: Eine KI namens Kaspar so lange mit Herzogs Lebenswerk zu füttern, bis der dänische Kameramann Frigge Fri aus dem Digitalskript ein besseres Drama kreieren kann als der preisgekrönte Bundesverdienstkreuzträger. Nur zu, spricht das Original zu Beginn der (Zufall?) 82-minütigen Arte-Mockumentary auf einen Anrufbeantworter: "Füttern Sie sie mit Albino-Krokodilen für einen Film über paläolithische Kunst." Denn Herzogs Prognose, sie lautet: "Die KI wird scheitern!" Ob er recht hat, lässt sich am Montag um 22 Uhr bei Arte begutachten. Sofern man durchhält. Denn aus heutiger Sicht ist "About A Hero - Das Werner-Herzig-Experiment" fast so sperrig, trostlos und schwer verdaulich wie Kinskis Wutausbrüche an den Sets von "Aguirre" bis "Fitzcarraldo". Gerade deshalb ist der Film aber auch sehenswert. Die Ausgangslage: In der fiktiven Industriestadt Getunkirchenburg kommt Dorem Clery, Angestellter eines Küchengeräte-Herstellers, ums Leben. Herzog begibt sich auf Ursachenforschung eines mysteriösen Todes, an dem nicht nur der Name des Toten merkwürdig ist. Dorem, Anagramm für "Morde", hat nämlich an einem Geheimprojekt gearbeitet. Der Fabrikbesitzer Anselm Herschon beschreibt es als "energieautarke Maschine, durch die der Nutzer sich umsorgt und unterstützt fühlt. Ein persönlicher Assistent, der 24/7 für ihn arbeitet und sich den Bedürfnissen anpasst." Klingt verteufelt nach derselben Technik, die das Drehbuch zum "Werner-Herzog-Experiment" geschrieben hat. Es ist ein doppelter Boden unter vielen. Denn wer filmt hier eigentlich wen? Was ist real, was Fiktion? Und wovon genau handelt dieser "halluzinatorische Kriminalfall" eigentlich? Wenn Herzogs Stimme - angeraut in Tausend Streitereien mit dem Choleriker Kinski - aus dem Off von Schauspielerin verkörperte Getunkirchenburger wie Clerys Witwe (Imme Beccard), ihren Nachbarn (Bernd Tauber) oder eine Lokalreporterin (Vicky Krieps) befragt, aber auch echte Personen wie den Kulturwissenschaftler Boris Groys oder das Universalgenie Stephen Fry, verschwimmen Fantasie und Wirklichkeit schon personell. Weil Kaffeemaschinen obendrein ohne Strom laufen, Radios mit Hörern reden und Toaster Sex haben, fragt man sich allerdings vom ersten Moment dieser gestapelten Absurdität an, was die Filmemacher dabei eigentlich geraucht haben. Die Antworten darauf sind kompliziert. Die Fragen aber führen direkt in Werner Herzogs fahle Glanzzeit Mitte der Siebziger. Damals waren Kino und Fernsehen keine Formatmedien einer durchkalkulierten Aufmerksamkeitsökonomie. Trotz aller Sendeplatz- und Zielgruppenzwänge öffneten sie stattdessen Möglichkeitsräume kreativer Ideen. Wer Filmemachern wie Kluge, Fassbinder, Schlöndorff oder Herzog - und bis auf Margarethe von Trotta nahezu keiner weiblichen Regisseurin - fünf Jahrzehnte später beim Filmemachen zusieht, den dürfte die brüllende Ereignislosigkeit trostloser Sozialdramen zwar eher verstören als unterhalten. Seinerzeit aber machte sie der Wirtschafswunderwelt Feuer unterm Heimatfilmhintern. Ein inszenatorischer Flächenbrand, der alle Grenzen sprengte, also buchstäblich revolutionär war. Wenn Arte einem Mann ohne Filmfunktion nun zähe 60 Sekunden lang wortlos im Fahrstuhl abwärtsfahren lässt, bevor er tonlos "nicht alles muss Sinn ergeben" sagt, schickt es uns demnach zurück ins analoge Zeitalter, um die digitale Gegenwart zu diskutieren. Ein verwegener Ansatz, ebenso abstoßend wie anziehend. Damit versucht "About A Hero" ungefähr das, was der Neue deutsche Film nach dem Oberhausener Manifest ab 1962 erreichen wollte: Irritierendes Interesse an einer Gesellschaft zu wecken, die gleichsam artifiziell und realistisch, seltsam distanziert und körperlich spürbar inszeniert wurde. Wer sich, sagen wir mal, nun durch 63 Jahre Familiengeschichte in Edgar Reitz" fünfzehnstündigem Hunsrück-Zyklus "Heimat" quält, spürt da jenen Widerspruch, den auch Winiewicz und Fri fühlen. Warum Clery gestorben ist, was es mit The Machine auf sich hat und ob die KI schon 4500 Jahre vor Herzogs Frist einen besseren Film als er gemacht hat, ist zweitrangig. Wichtiger an dieser Meditation über den Menschen und seinen Drang, sich überflüssig zu machen, erscheint die Bereitschaft, darüber nachzudenken. Immer und immer wieder. Gerade "an einem Ort in nichtssagender Lage von internationaler Belanglosigkeit", wie Herzogs Off-Stimme Getunkirchenburg nennt. Gerade, wenn "das wirre Kauderwelschwerk" wie eine "immer verzerrtere Übertragung meiner Identität" zu wirken beginnt. Was daran wahr ist oder falsch, Fiktion oder Realität, bleibt so offen wie die Frage, ob künstliche Intelligenz bessere Drehbücher schreibt als menschliche. Schließlich könnte auch dieser Text von einer KI stammen. Wer das nicht glaubt, sollte unbedingt "About A Hero - Das Werner-Herzog-Experiment" schauen. Es lohnt sich.

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