Die linksliberale Stimme der deutschen Presse - "Frankfurter Rundschau" feiert 80. Geburtstag

Von Steffen Grimberg (KNA)

ZEITUNG - Die "Frankfurter Rundschau" stand in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach vor dem Aus. Umso selbstbewusster feiert das Blatt am Wochenende seinen 80. Geburtstag mit einem Fest für die Demokratie.

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80 Jahre "Frankfurter Rundschau"

Foto: Imago/KNA

Frankfurt (KNA) Der frühere Statthalter der "taz" in Frankfurt, Klaus-Peter Klingelschmitt, hatte schon vor rund 20 Jahren ein ganz einfaches Beispiel, um das Dilemma und ein bisschen auch den Niedergang der "Frankfurter Rundschau" (FR) zu erklären: Früher sei stets die "FR" aus dem Briefkasten seines Büros in der Finanzmetropole geklaut worden, während die konservative Konkurrenz stecken blieb. "Später", seufzte der 2011 verstorbene Hessen-Korrespondent der "taz", "war immer die 'Frankfurter Allgemeine' weg, und die 'FR' blieb drin". Als die Frankfurter Rundschau 1945 unter amerikanischer Lizenz gegründet wurde, sah das noch anders aus. Am 1. August 1945 von der amerikanischen Militärregierung lizenziert, war die "FR" nach den "Aachener Nachrichten" und der "Berliner Zeitung" die dritte Neugründung nach dem Ende der Nazi-Diktatur. Die Blattlinie war schon damals dezidiert links, schließlich gehörte mit Emil Carlebach ein Kommunist und Widerstandskämpfer zu den ersten Lizenzträgern. Carlebach wurde allerdings 1947 von den Amerikanern wieder aus dem Herausgebergremium abberufen. Doch da war schon der SPD-Mann Karl Gerold zum Blatt gestoßen, der den Krieg im Exil in der Schweiz überlebt hatte, 1946 in die "FR"-Redaktion wechselte - und blieb. Unter ihm, der 1952 zur Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit der SPD den Rücken kehrte, stieg die Zeitung rasch zur Pflichtlektüre der jungen Bundesrepublik auf. Bis in die 1970er Jahre führte Karl Gerold die Redaktion und lebt bis heute in der nach ihm benannten Stiftung weiter. Als 1962 noch der gerade mit seiner Partei über Kreuz liegende FDP-Politiker Karl-Hermann Flach die Leitung des Innenpolitik-Ressort übernahm, wurde die "FR" endgültig die sozialliberale Stimme in der deutschen Presselandschaft. Die 1970er und 1980er-Jahre waren die Hochzeiten der "FR". Gern als "Lehrerzeitung" und "Gewerkschaftsblatt" verspöttelt, begannen aber schon lange vor den Herausforderungen der Digitalisierung die Schwierigkeiten. Ab den 1990er-Jahren begann die "FR" zusehends zu schwächeln. Unter Roderich Reifenrath, der seit 1986 in der Redaktionsleitung saß und ab 1992 als Chefredakteur übernahm, kam die Auflage immer mehr ins Rutschen. Auch weil sich das Blatt streng an die Diktion ihres Chefs, man "verändert eine Zeitung nicht bei Gefahr ihres Todes" hielt - und jede Modernisierung ablehnte. Die Auflagenzahlen wurden künstlich durch immer mehr Bordexemplare in Flugzeugen und verbilligte, so genannte Sonderverkäufe, aufgehübscht. Während um das Jahr 2000 wegen des ersten Dot.Com-Booms fast alle Zeitungen im Geld schwammen, begann beim "Druck- und Verlagshaus Frankfurt" (DUV) - so der offizielle Name des Unternehmens "FR", das damals noch komplett der Karl-Gerold-Stiftung gehörte - der Abstieg. Schon 2003 stand die FR zum ersten Mal vor dem Aus - zu hoher Personalstand, auch in der zum Verlag gehörenden Druckerei, die schon damals vor allem von Fremdaufträgen abhängig war. Zu denen gehörten auch die des so gar nicht zur politischen Linie der "FR" passenden Axel Springer Verlags. Doch die Druckaufträge für "Welt" und "Bild" machten zwischenzeitlich die Hälfte des Umsatzes aus - und das DUV erpressbar. Der Stellenmarkt und die Kleinanzeigen waren wie bei so ziemlich allen anderen Zeitungen ins Internet abgewandert, fällige Investitionen in Druckerei, Vertrieb und Verlag blieben aus. "Die FR lebte nun von der Hand in den Mund", schreibt das Blatt selbst in einem Rückblick zum 80. Geburtstag. Retter wurden verzweifelt gesucht, gewerkschaftsnahe Stiftungen winkten dankend ab, bis sich die SPD Anfang 2004 erbarmte: Die parteieigene Presseholding DDVG übernahm mit 90 Anteilsprozenten den Löwenanteil am DUV, der Rest lag und liegt bis heute weiter bei der Karl-Gerold-Stiftung. Personal wurde abgebaut, das alte Stammhaus in der Frankfurter Innenstadt verkauft. Die FR versuchte unter ihrem Chefredakteur Wolfgang Storz mit einem Schwerpunktkonzept zu punkten. Über dessen Erfolg sind damals Beteiligte bis heute höchst verschiedener Meinung. Unionskreise versuchten seinerzeit, die "FR" wegen der SPD-Beteiligung zur Parteizeitung zu stempeln, was zwar keinen Realitätsbezug hatte, aber dem Ruf des Blattes schadete und die Mitarbeitenden verunsicherte. Storz selber schied ironischerweise im Konflikt mit der SPD, die ihm eine zu positive Berichterstattung über eine damals noch recht neue Partei namens "Die Linke" vorwarf. 2006 stieg dann der nächste Retter ein: Verlegerpatriarch Alfred Neven aus dem Hause DuMont ("Kölner Stadt-Anzeiger") hatte in der Hauptstadt um die "Berliner Zeitung" mitgeboten, war aber zunächst nicht zum Zuge gekommen. Weil er aber endlich auf der überregionalen Bühne mitspielen wollte, übernahm DuMont die Hälfte der "FR"-Anteile und wurde als "letzter echter Verleger" gefeiert, dem es nicht nur auf den schnöden Gewinn ankommt. Aus Berlin kam auch Uwe Vorkötter als neuer Chefredakteur von eben jener "Berliner Zeitung". Unter der neuen Führung zog die "FR" in ein ehemaliges Straßenbahndepot in Sachsenhausen und wurde mutig und bunt. Vom großen Blatt schrumpfte man aufs handliche Tabloid-Format und bot längst wieder mehr als Lesestoff fürs Klischee-Klientel im Cordanzug. Doch die "FR" zehrte noch immer zu stark vom alten Ruf als von neuen Erfolgen. Jeder Tag, den die gedruckte FR damals erschien, soll zu einem Verlust in fünfstelliger Höhe geführt haben. Als 2009 DuMont dann auch noch die ebenfalls nicht auf Rosen gebettete "Berliner Zeitung" übernahm, begann einerseits ein spannendes Experiment einer Berlin-Frankfurter-Kölner-Verbundredaktion unter Vorkötters Führung. Doch die angestrebte wirtschaftliche Konsolidierung blieb aus. Und weil nun die überregionalen Seiten der "FR" aus Berlin kamen, schwächelten auch das überregionale Renommee und das Selbstvertrauen in Frankfurt. Das machte vor allem der DDVG zu schaffen, die immer noch mit 40 Anteilsprozenten bei der "FR" mitbezahlte. 2011 brachen die Anzeigenerlöse weiter ein, ein Drittel der Redaktionsstellen sollte gestrichen werden und das Blatt bis auf die Lokal- und Regionalberichterstattung komplett aus Berlin kommen. Im Sommer 2012 ventilierte dann DuMont erstmals Verkaufspläne für die "FR", was einen Eklat bei der ahnungslosen SPD-Medienholding auslöste - zumal weit und breit kein Käufer in Sicht war. Da man in der Kölner DuMont-Zentrale auch nicht mehr gewillt war, das am Rhein verdiente Geld an Main und Spree versickern zu sehen, musste Vorkötter gehen. Blätter wie Redaktionen wurden wieder getrennt - auch um den weiter beabsichtigten Verkauf der "FR" zu erleichtern. Weil sich aber weiter niemand fand, stellte das Druck- und Verlagshaus Frankfurt im November 2012 Insolvenzantrag. Die Krise spitze sich noch zu, als Springer parallel die Druckaufträge für "Welt" und "Bild" kündigte, die damals die Hälfte des DUV-Druckerei-Umsatzes ausmachten. Auch wenn sie bis dahin alle Krisen gemeistert hatte: Ende 2012 stand die "FR" wirklich vor dem Aus. Rettung kam damals aus der Nachbarschaft. Im Rahmen einer so genannten Sanierungsfusion übernahmen 2013 die "FAZ" und die mit ihr verbundene Frankfurter Societät die Anteile von DuMont und DDVG. Damit gab es plötzlich ein Zeitungsmonopol am Main, da auch die Regionalzeitung "Frankfurter Neue Presse" (FNP) schon lange zur Societät gehörte. Die im Zuge der Sanierung deutlich geschrumpfte "FR"-Redaktion zählte nur noch 80 von einst rund 200 Mitarbeitenden, das linksliberale Profil des Blattes blieb aber trotz des "Beherrschungsvertrags" mit "FAZ" und Societät erhalten. Quasi zur Untermauerung der redaktionellen Eigenständigkeit wurde 2014 noch die frühere "taz"-Chefredakteurin Bascha Mika in die Redaktionsleitung geholt und leitete bis 2019 die "FR" gemeinsam mit Arnd Festerling, der 2012 die Chefredaktion von Uwe Vorkötter übernommen hatte. Zudem wurde mal wieder umgezogen - diesmal direkt zur ungleichen Schwester in die Mainzer Landstraße. Und dieses Mal ging die Rechnung auf - 2013 schloss die "FR" erstmals seit Jahren wieder mit einem kleinen Gewinn ab. Doch schon fünf Jahre später folgte der nächste Besitzerwechsel. Aber nicht aus einer Position der Schwäche heraus, sondern weil sich die "FAZ" auf ihre überregionale Hauptmarke konzentrieren und aus dem Regionalzeitungsgeschäft aussteigen wollte. Seit dem 1. April 2018 ist die Regionalzeitungsgruppe Ippen über ihre Zeitungsholding Hessen neben der Kar-Gerold-Stiftung Eigentümer der "FR". Während in der Societäts-Zeit die drei ungleichen Schwestern "FAZ", "FNP" und "FR" sehr auf ihre redaktionelle Eigenständigkeit und ihre jeweils deutlich anderen Zielgruppen bedacht waren, standen die letzten Jahre unter Ippen umso drastischer im Zeichen von Zusammenarbeit und Synergien. "Wie eng kann die FR mit anderen Zeitungen der Verlagsgruppe zusammenarbeiten, die oft politisch ganz anders ticken?", fragt die Redaktion aktuell ganz selbstbewusst in ihrer 'Geschichte der "FR'". Denn zur Ippen-Gruppe gehören überwiegend konservative Blätter wie der "Münchner Merkur", der "Westfälische Anzeiger" aus Hamm, die "Hessisch-Niedersächsische Allgemeine" (Kassel) sowie diverse kleinere Regionalzeitungen in Hessen. "Wir sind eine eigenständige Redaktion mit einem eigenständigen Desk, mit einer eigenständigen Führung, mit eigenständigen Entscheidungen", heißt es in der "FR" dazu selbstbewusst in eigener Sache. Und genau so selbstbewusst werden auch andere kritische Punkte angesprochen: Die schwierigen Auseinandersetzungen mit Ippen über gerechte Löhne und Tarifverträge, sowie den Warnstreik Ende 2023, der die "FR" mal wieder einen Chefredakteur kostete und auf den der Verlag mit nach seiner Darstellung betriebsbedingten Stellenstreichungen und Ressortauflösungen reagierte. Oder die Einmischung des Verlegers Dirk Ippen höchstpersönlich, der 2021 die Veröffentlichung einer investigativen Recherche seines eigenen Investigativteams über den damaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt untersagte, wogegen die "FR" im Oktober 2021 auf ihrer Titelseite protestierte. All das lässt nach 80 Jahren, mindestens fünf Umzügen und jeder Menge Häutungen auch weiterhin den Schluss zu, dass Karl Gerold auf seine "FR" stolz sein kann.

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