Wer hält die Gesellschaft zusammen? - Studie zur Rolle und Reichweite der Öffentlich-Rechtlichen

Von Yagmur Ekim Cay (KNA)

MEDIEN&GESELLSCHAFT - Die öffentlich-rechtlichen Medien sollen die Gesellschaft zusammenhalten und schaffen das am besten dort, wo die Gesellschaft noch zusammenhält - und man sie am wenigsten braucht.

| KNA Mediendienst

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Studie "Was die Gesellschaft zusammenhält"

Foto: ZDF/KNA

Frankfurt (KNA) Der Raum der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main war am Mittwochabend rund zur Hälfte gefüllt. Was das nun halb voll oder halb leer? Diese Frage stellt sich in gewisser Weise auch bei der Studie, die Anlass zu diesem zumindest von Intendanten- und Medienpolitik-Seite sehr hochkarätig besuchten Event war. "Was die Gesellschaft zusammenhält und was öffentlich-rechtliche Medien dazu beitragen" lautet der leicht suggestive Titel der gemeinsamen Auftragsarbeit von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Das Leibniz-Institut für Medienforschung, das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Mindline Media hatten von März bis April 2025 exakt 1.351 Personen ab 14 Jahren in Deutschland befragt. Rund drei Viertel der Befragten (76 Prozent) sind demnach der Ansicht, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet sei. Gleichzeitig berichten deutliche Mehrheiten von weiterhin starkem Zusammenhalt im eigenen Umfeld - und von breiten persönlichen Unterstützungsnetzwerken. Im Kreis von Familie, Vereinen, Freundinnen und Freunden oder Kolleginnen und Kollegen erleben 67 Prozent also ein eher starkes Gefühl von Zugehörigkeit. Ein sogar noch leicht höherer Anteil von 69 Prozent gibt zudem an, in den vergangenen zwölf Monaten gesellschaftlich oder politisch aktiv gewesen zu sein - etwa durch ehrenamtliches Engagement, die Teilnahme an Demonstrationen oder mit Meinungsäußerungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen per Leserbrief oder Online-Post. Also alles paletti, zumal laut Studie auch die Nutzung der öffentlich-rechtlichen Medienangebote wenig zu wünschen übrig lässt und ARD, ZDF und Deutschlandradio aktuell 94 Prozent der Bevölkerung erreichen? Von den Zahlen her sieht es erstmal gut aus. 67 Prozent der ÖRR-Nutzer zählen zum Stammpublikum und nutzen an mindestens vier Tagen pro Woche einen TV- oder Radiosender oder ein digitales Angebot. Der Anteil steigt erwartungsgemäß deutlich mit dem Alter: 77 Prozent der 50- bis 69-Jährigen und 90 Prozent der über 70-Jährigen gehören zum Stammpublikum. Unter den 14- bis 34-Jährigen sind es immerhin 46 Prozent. Nicole Deitelhoff, Direktorin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, wies allerdings darauf hin, die Ergebnisse "mit Vorsicht zu genießen". Laut Studie sehe es vielleicht so aus, "als ob ein guter Teil der Jugendlichen sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk begeistert fühlen" - doch das stimme nicht so ganz. Denn nur unter 10 Prozent der 14- bis 24-Jährigen gehörten zum Stammpublikum. "Das ist wirklich sehr wenig", meinte Deitelhoff. In der Studie bewerten die Befragten den Beitrag öffentlich-rechtlicher Medien zum gesellschaftlichen Zusammenhalt als bedeutend. Nach Sportvereinen, der Wissenschaft und dem Bundesverfassungsgericht liegen ARD, ZDF und Deutschlandradio auf Rang vier von zwölf abgefragten Institutionen. Bei den Medien belegen sie sogar souverän ersten Platz. Doch auch hier goss Deitelhoff Wasser in den Wein und wies darauf hin, dass das Stammpublikum der öffentlich-rechtlichen Medien aus "gut integrierten, gesellschaftlich und politisch aktiven Menschen aus der Mitte der Gesellschaft" bestehe. Der ÖRR erfülle seine Rolle in Sachen gesellschaftlicher Zusammenhalt also vor allem dort gut, "wo man sie eigentlich am wenigsten braucht". Doch auch daraus ergeben sich Verpflichtungen für die Anstalten: "Für die Öffentlich-Rechtlichen heißt das, sie müssen ihre Stärke bewahren - ausgewogene, zuverlässige, seriöse Berichterstattung und Kommentierung", so die Politikwissenschaftlerin. Auf dem Podium saßen neben Deitelhoff auch Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue, die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD), Hessens Staatskanzleichef Benedikt Kuhn (CDU) sowie der ehemalige Chef der Schweizer SRG Gilles Marchand, der heute für die Initiative Media and Philanthropy arbeitet. Und schon die Zusammensetzung des Podiums wie auch des Publikums offenbarte eine zentrale Leerstelle: Die Diskussion über gesellschaftlichen Zusammenhalt wurde vor allem von Menschen geführt, die selbst aus der gesellschaftlichen Mitte stammen - überwiegend mittleren Alters und Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Kaum vertreten waren dagegen Perspektiven, die für ein umfassenderes Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenhalt unverzichtbar wären - etwa queere, migrantische, ostdeutsche oder andere derzeit nicht-dominante Stimmen. Die Vielfalt gesellschaftlicher Lebensrealitäten fand so weder auf dem Podium noch im Saal angemessen statt. Was Deitelhoffs Einschätzung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dort am stärksten wirkt, "wo man ihn am wenigsten braucht", damit nochmal so eindrucksvoll wie unfreiwillig bestätigt wurde. So drehte sich die Debatte vorrangig um die Frage, wie die bestehenden Stärken - insbesondere Reichweite und Vertrauen - erhalten und wie jüngere Zielgruppen besser erreicht werden können. DLR-Chef Raue forderte die Anstalten auf, das Thema Reichweite ernst zu nehmen. Die Studie sei "ein weiterer Baustein, um den ÖRR aus der gesellschaftspolitischen Defensive zu holen" lobte Heike Raab, und "helfe dabei, Schnittstellen zu erkennen und Vertrauen zurückzugewinnen". Besonders wichtig sei dabei: "Wir müssen die Jüngeren mitnehmen, gerade im digitalen Raum." Ja - und wie? Hier riet Raab dazu, in Zukunft auch Kooperationen mit privaten Anbietern nicht zu scheuen: "Im Auftrag steht drin, dass der ÖRR alle erreichen soll. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Niemand lädt sich ausgerechnet die Apps der öffentlich-rechtlichen Sender freiwillig herunter. Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie sind", so Raab. Von den anwesenden Intendanten kam kein Widerspruch. Die kritischsten Anmerkungen kamen so mal wieder vom Moderator: "Wir agieren oft ängstlich, passiv und nicht selbstbewusst genug", meinte "Hart, aber fair"-Moderator Louis Klamroth vom WDR. Aber danach wurde in der Studie vermutlich nicht gefragt.

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