Thrilling Content und Florence Kasumba - "Seriesly Berlin" macht Lust auf mehr

Von Jan Freitag (KNA)

SERIE - Die zweite Ausgabe des Fernseh- und Streamingfestivals "Seriesly Berlin" wirkte mitunter zukunftsängstlich. Fast 500 Referenten und Besucher machen der disruptiven Branche aber auch Mut. Ein Festivalbericht.

| KNA Mediendienst

alt

Igor Simic bei "Seriesly Berlin"

Foto: Pascal Rohé/Seriesly Berlin/KNA

Berlin (KNA) Unsere Hauptstadt, bekanntlich das östlichste Babel der westlichen Hemisphäre, hat die Landessprache längst gegen ein lokales Idiom getauscht. Es nennt sich Berlin German und besteht im Wesentlichen aus Worten wie "thrilling", "amazing" oder "awesome" mit langem aaa. Das ist zwar weder Deutsch noch Schnauze, bringt aber zum Ausdruck, wie beides zu kultureller Standorteuphorie verschmilzt. Etwa in einer hippen Galerie an der Oranienburger Straße, wo kaum jemand die Sprache von Goethe, Juhnke, oder Wowereit spricht. Hier wirft Moderatorin Yolanda Rother, der Host des Fernseh- und Streamingfestivals Seriesly Berlin schon zur Begrüßung reihenweise Vokabeln um sich, die Alteingesessene mit "aufregend", "erstaunlich" oder "toll" übersetzen. Aus Rothers Sicht ist es also absolut thrilling/aufregend, was das Serienfestival zum zweiten Mal in der tollen/awesome Metropole auffährt. Nämlich nicht nur 60 amazing/erstaunliche Referenten fürs Podium, sondern das, worüber sie dort reden: Inhalte. Die nicht nur hier längst nur noch "Content" heißen. Und der, das lehrt uns die Eröffnungsrede des Konferenzleiters Dennis Ruh am Mittwochmorgen bis zum finalen Panel "Queerness im Mainstream-TV" am Donnerstagabend, bestimmt alles. Um zu erörtern, wie Content entweder gehaltvoll oder erfolgreich, idealerweise beides wird, ist ein Drittel mehr Gäste als zur Seriesly-Premiere 2024 gekommen. Rund 400 Besucher aus aller Welt erleben folglich einen Mix aus Leistungsschau und Get-together, Verkaufsmesse und Workshops. Per Handzeichen stellt Moderatorin Rother in der Festivalsprache Berlin German fest, dass jeweils knapp die Hälfte der 180 Stühle im Ballsaal mit Kreativen und Produzierenden besetzt sind. Der Rest verteilt sich auf Sender, Plattformen, Marketing, Presse, Forschung und den deutschen Weltstar Florence Kasumba, dessen spektakuläre Erscheinung alle(s) in den Schatten stellt. Bis auf den Content, versteht sich. Vom Hühnerei bis Lionel Messi, die sich aktuell den Rang als meistgeklickte Instagram-Posts teilen, könnte das aus Sicht des amerikanisch-serbischen Eröffnungsredners Igor Simic zwar alles sein. Berlin-Mitte stellt dann aber doch Serien ins Zentrum. Gehaltvolle wie das sensorische Wein-Drama "Gods of God", dessen interkulturelles Konzept sein Produzent Klaus Zimmermann im Sofa-Gespräch erklärt. Erfolgreiche wie die saftige College-Romanze "Maxton Hall", dessen weibliche Crew ihre Hauptautorin Marlene Melchior im Live-Podcast erklärt. Dazwischen: 16 Projekte, die nach Masse mit Klasse streben und je fünf Minuten Zeit haben, um auf großer Bühne Partner zu pitchen. Das Spektrum reicht vom slowakischen KuK-Historytainment "The Last Baroness" bis zur österreichischen Polit-Komödie "Die Staatsoperette", vom nigerianischen Kolonialismus-Drama Birthright" bis zur Berliner Culture-Clash-Groteske "Zebras", vom deutschen Endzeit-Anime "The Last Family on Earth" bis zur finnischen Hotel-Romanze "Villa Hilda". Allein die Hingabe, mit der alle dahinter stehenden Kreativen ihre Vision dem Auditorium vermitteln, ist den Besuch wert. Ihr Drang, mit einer PR-tauglichen Performance Finanziers zu finden, zeigt aber auch, wie schwer es Innovationen mittlerweile haben. Ein großer Teil der Seriesly dreht sich daher auch diesmal um Koproduktionen, Synergien, Partnerschaften. Geteiltes Risiko ist halbes Risiko, an der Leitwährung zu scheitern: Aufmerksamkeit. "Dass sei die schönste Form der Freigiebigkeit", zitiert der Filmemacher Igor Simic die Philosophin Simone Weil zur Einstimmung. So viel intellektuelle Tiefe bereits zum Auftakt! Beim prominentesten Panel "Storytelling 2030" debattiert Ufa-Geschäftsführerin Nataly Kudiabor mit Sebastian Krekeler (ZDF Studios), Henning Kamm (Real Film) und Lasse Scharpen (Studio Zentral), was Serien "unwiderstehlich" macht. Doch weil die Diskutanten trotz zugkräftiger Fiktionen wie "Call My Agent Berlin" oder "Angemessen Angry", "Unorthodox" und "Marzahn mon Amour" 60 Minuten lang Probleme wälzen, manifestiert sich da nur das steigende Stresslevel der Branche. Produzent Scharpen hat aber auch Lösungsvorschläge: "Listen to the people, besonders die jungen". Oder: "Studiert nebenbei Jura, am besten auch BWL". Öhm. Eine Kombination, die der Bildundtonfabrik (btf) zur Kooperation mit Netflix verholfen hat - was hier vom btf-Chef Matthias Murmann und seinem Partner Philipp Käßbohrer endlich mal grundlegend zuversichtlich besprochen wird. Dank der zielgruppengerecht durchkalkulierten Dealer-Komödie "How to Sell Drugs Online (Fast)" haben sie sich aus ihrem Kölner "Hinterhof-Office" also "in einem sehr kompetitiven Markt" durchgesetzt. Einem Markt, der natürlich weiterhin unter Beschuss steht. Vom Kreativitätskiller KI, der hier gewohnt häufig zur Sprache kommt. Vom Aufmerksamkeitsstaubsauger Gaming, das hier ungewohnt selten zur Sprache kommt. Besonders aber droht Gefahr von der unmittelbarsten Konkurrenz: Von den Sozialen Medien, die bei "Seriesly" relativ spät ihre Festivaldebüt haben. Erst kurz vor Schluss sind mit dem Youtuber Kaan und seiner Tiktok-Kollegin Darina Su endlich zwei junge Content-Creator mit mehr Clicks als Quote auf dem Podium. Als der 20 Jahre alte Influencer von seiner Einladung erzählt, wird das Dilemma deutlich: "Ich wusste zuerst gar nicht, was die mit TV meinen", sagt Kaan mitten ins Gelächter, das dem Saal dann auch ein bisschen im Halse stecken bleibt. Dass er hier immerhin Lacher hervorruft, belegt aber auch das Bedürfnis, sich gegenseitig zu inspirieren. Und zumindest bei diesem Event wirkt die Atmosphäre ohnehin eher inspirierend als verzagt. Angst, sagt Horror-Experte Till Kleinert beim vorletzten Panel übers Geheimnis nachhaltiger Gruseleffekte, entstehe ohnehin schließlich in erster Linie "im Kopf des Betrachters". Das gilt auch und erst Recht für Weltuntergangsstimmungen hipper Branchen. Regisseure wie er lieferten nur die "nötige Technik", meinte Kleinert. Und über die kann man bei "Seriesly Berlin" durchaus was lernen. Und wer schon alles weiß, nimmt wenigstens an einer Fachkonferenz mit acht (Welt-)Premieren internationaler Serien teil, die das Zeug zum Familientreffen einer fragmentierten Branche hat. Die Podien dürften dafür gerne noch ein bisschen weiblicher sein. Und so richtig große Prominenz beiderlei Geschlechts lässt sich auch noch nicht blicken. Aber wenn der laotische Stardesigner Be Inthavong zum Abschluss des ersten Konferenztages sein crossmediales Kostümkonzept des Welterfolgs "The White Lotus" vorstellt und Florence Kasumba vor dem allerletzten Panel durch den vollbesetzten Ballsaal walkt, als würde es die strenge Heidi Klum und nicht der nette Jochen Schropp moderieren, weht ein Hauch von Hollywood durch Berlin-Mitte. Nicht zum letzten Mal, das machen die Veranstalter klar. Oder um es in Berlin German zu sagen: See you next year.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de