Leipzig (KNA) Dass beim Journalistinnenbund (JB) ein feministischer Wind weht, macht das Motto ihrer diesjährigen Jahrestagung sofort klar: "Luxusproblem Gleichberechtigung?", fragt es herausfordernd. Denn den politischen Krisenzeiten falle diese schnell zum Opfer, so die These. Im vierten Stock des Salle du Pologne, mitten in der samstäglich brummenden Leipziger Altstadt, haben sich JB-Mitglieder, Gäste und Rednerinnen eingefunden, standen bei Limo und Bagel-Häppchen zusammen. Von Anfang an war die Stimmung offen, einladend, herzlich; selbstverständlich wurde sich geduzt, niemand stand verloren herum. Das JB organisiert ein Mentoringprogramm, in dessen Rahmen erfahrene Journalistinnen ein Jahr lang weniger erfahrene Mentees in beruflichen Fragen unterstützen. Die Tagung war auch Anlass, dass sie sich zum ersten Mal kennenlernen. Der Ton der Einladung: kämpferisch und ironisch. "Die Lage ist ernst, da kann Mann doch nicht auf Parität vor und hinter der Kamera achten. Reicht doch, wenn mit Frau der Artikel über fehlende Kita-Plätze bebildert wird." Doch gerade wenn die vierte Macht im Staate bröckele und die etablierten Medien der Wucht von Social Media kaum noch etwas entgegensetzen könnten, brauche es Frauen und Diversität. "Wir fragen Frauen, die es wissen müssen", lautet das Ansinnen des Tages. Die erste Rednerin und Frau, die es wissen müsste, war Susanne Baer, Verfassungsrechtlerin und frisch gebackene Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Ihr eindringlich mahnendes Plädoyer war der Bedeutung von Medienarbeit gewidmet, in Zeiten, in denen die Demokratie akut bedroht ist. Baer war zwölf Jahre lang Verfassungsrichterin in Karlsruhe und in dieser Rolle unter anderem beteiligt am Urteil zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, insofern weiß sie, wovon sie spricht. Baers Ausgangspunkt: Laut World Press Freedom Index ist die globale Lage der Pressefreiheit an einem historischen Tiefpunkt. In 90 von 180 Ländern ist die Situation für Journalistinnen und Journalisten demzufolge schwierig oder sehr ernst. Wissenschaft, Gerichte, die engagierte Zivilgesellschaft und eben nicht zuletzt die Medien stehen laut Baer im Visier autokratischer Kräfte. "Und genau das kann man auch in Deutschland gerade beobachten." Als Beispiel griff sie den Fall Frauke Brosius-Gersdorf auf, die von der SPD als Verfassungsrichterin vorgeschlagen worden war und die von interessierten Kreisen als linksradikal diffamiert wurde. Aus Sicht Baers keine zutreffende Analyse. Auch Gleichberechtigung werde immer wieder als Partikular-Interesse denunziert. Baer erzählte eine Anekdote: Jeden Tag radle sie durch das Brandenburger Tor zur Arbeit. Eines Morgens habe dort eine Demonstration für das Grundgesetz stattgefunden, die Menschen hielten eine kleine Ausgabe des Dokuments in der Hand. Ein Demonstrant habe ihr diese gegeben; sie habe sich zunächst gefreut. Aber dann genauer hingeschaut: "Das Vorwort sagte: "Der wahre Verfassungsschutz sind wir" Und eine Unterschrift war die von Tino Chrupalla." Chrupalla ist einer der Bundessprecher der vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften AfD. "Das ist total okay", so Baer. Jeder solle das Grundgesetz in die Hand nehmen und es mit Leben füllen. Beunruhigt habe sie aber, mit welcher Selbstverständlichkeit da signalisiert worden sei: "Das Grundgesetz ist schon meins. Ich definiere, wo es langgeht, und ich verstehe das als exklusiv und nicht mehr inklusiv." Was für Baer aus diesem Erlebnis folgt, betrifft gerade auch die Medien und insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der müsse finanziert werden, so Baer - und das "sagt das Verfassungsgericht immer noch. Und das sagt es übrigens ausdrücklich, weil der Rundfunk, die Medien, eine Vermittlungsfunktion haben, die nicht der ökonomischen Rationalität des Geldes folgen darf." Und weil die Meinungsvielfalt nicht einzeln gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert werden dürfe, sondern alle zu Wort kommen können müssten. Wirklich alle zu Wort kommen lassen? Haben wir als Journalistinnen diese Pflicht? So lautet die Frage einer Frau aus dem Publikum im Anschluss an Baers Auftritt. "Nein", sagt die, es sei vielmehr eine "Denunziationsstrategie", von den Medien zu verlangen, alle gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen. Denn Qualität und Wahrheitsgehalt seien entscheidend. "Pluralität" heiße nicht, dass jede Meinung - egal wie falsch oder extrem - gleichberechtigt neben anderen zu stehen habe. "In der Verfassung steht nicht, dass der Lüge gehuldigt werden sollte", so Baer. Nicht zufällig findet die Tagung in Leipzig statt: Lange sei es her, dass man in Ostdeutschland getagt habe, sagt eine der Organisatorinnen vom JB, die langjährige Medienjournalistin Sissi Pitzer vom Bayerischen Rundfunk, bei einem Getränk zwischendurch. Der Vorstand des JB wollte den Verein nicht nur bekannter machen im Osten, sondern auch die Gelegenheit nutzen, an ostdeutsche Debatten anzuschließen. Das Credo: "Nicht über, sondern mit dem Osten reden." Pitzer hat im Vorfeld gezielt auf der Plattform LinkedIn ostdeutsche Journalistinnen kontaktiert und eingeladen, einige sind auch gekommen. Und auch auf den beiden Podien waren etwa mit den Medienwissenschaftlerinnen Mandy Tröger und Stine Eckert, der Produzentin des Podcasts "Ostwärts", Nine-Christine Müller oder der Journalistin und Gründerin Romina Stawowy ostdeutsche Stimmen stark vertreten. Mandy Tröger legte dann auch den Finger in die Wunde: Der Vertrauensverlust, den die Presse in den ostdeutsche Bundesländern erleidet, sei nichts Neues. Zu tun habe dieser aber auch mit Folgen der Wende und mangelnden Investitionen in die Lokalpresse. "Lokalzeitungen in Ostdeutschland haben jahrzehntelang hohe Profite generiert." Westdeutsche Medienkonzerne wie die WAZ-Gruppe, die heutige Funke-Mediengruppe, hätten aber andere Marktinteressen gehabt und kaum in die Lokalpresse investiert. Und überregionale Zeitungen würden in Ostdeutschland kaum gelesen. "Hier wurde meines Erachtens eine Chance vertan, Menschen an ihre lokalen Zeitungen zu binden und so demokratische Gemeinschaft zu schaffen." Tröger erforscht zurzeit die Rolle der Treuhand in der Privatisierung der DDR-Presse. Die Ostberlinerin forderte zudem mehr gezielte Förderung ostdeutscher Journalistinnen. Besonders Frauen aus der ehemaligen DDR seien in den Medien zu wenig vertreten, ihre Themen würden marginalisiert, kritisierte sie. Als sinnvolle strukturelle Förderung nannte Tröger etwa Mentoringprogramme für journalistischen Nachwuchs, wie das des JB. Nach Problemanalyse und Kontroverse rundet ein Podium mit konstruktivem Ansatz das Tagesprogramm ab. Es will Mut machen und adressiert die Rolle von weiblichen Gründerinnen. Nine-Christine Müller hat - in eigenen Worten - "das Ost-Bashing genervt". Ihr hat es gefehlt, dass es bei "Ostdeutschland" selten über Themen wie AfD und Rechtsradikalismus hinaus geht. Also hat sie selbst einen Podcast gestartet: "Ostwärts: Gespräche über ostdeutsche Identitäten." Mit ihr auf dem Podium sitzt Jeanette Seifert, Referentin bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und dort zuständig für Lokaljournalismus-Förderung. Bemerkenswert, sagt sie, sei immer wieder der Unterschied zwischen Männern und Frauen, wenn es darum gehe, ein neues Projekt zu starten und zu sagen: "Ich mach das jetzt einfach." Männer würden zum Beispiel ganz selbstbewusst eine Online-Seite auf die Beine stellen, obwohl sie gar nicht aus dem Journalismus kämen. "Ich will gar nichts Schlechtes sagen, die sind super engagiert, die sagen vielleicht, bei uns ist die AfD so stark, ich will dem was entgegensetzen." Ihre Qualifikation stellten sie aber nicht groß in Frage - anders als Frauen, die oft unsicherer seien und sich fragten, ob sie wirklich für so ein Projekt qualifiziert seien. Zum Abschluss des langen Tages kommen die Preisverleihungen. Auf einmal sitzen da auch vereinzelt ein paar Männer in den Stuhlreihen und stechen fast heraus - die Begleitungen der Preisträgerinnen. Alle von ihnen sind jung, und alle ihre ausgezeichneten Recherchen treffen auf ihre Weise den Zahn der Zeit: Der "Courage-Preis" für aktuelle, gendersensible Berichterstattung geht an die STR_F-Dokumentation "Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram" von Isabell Beer und Isabel Ströh. Sie adressiert das brutale Maß an sexualisierter Gewalt gegen Frauen, das so nur durch die Mittel einer App wie Telegram möglich ist. Ein Jahr lang haben die beiden verdeckt in dem Netzwerk recherchiert. Auf ihre auch mit einem Grimme-Preis ausgezeichneten Veröffentlichung hin wurden mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet; Der "Marlies-Hesse-Nachwuchspreis" geht an die Journalistinnen Julia Bellen und Franziska Pröll. Mit ihrem Beitrag "Du gehörst mir, also töte ich dich - Femizide vor Gericht", erschienen bei faz.net, haben sie eine Wissenslücke gefüllt: Sie untersuchten, wie unterschiedlich Gerichte in Deutschland mit Tötungsdelikten an Frauen umgehen. Und kamen zu dem Ergebnis, dass Gerichte Femizide immer wieder als Tötungsdelikte einordnen, statt als Mord. Dabei würden die sogenannten "niederen Beweggründe" der Täter nicht anerkannt, sondern ihnen im Gegenteil ein gewisses Verständnis entgegengebracht - und damit nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden der Hinterbliebenen verletzt, sondern auch wichtige Grundsätze des Rechtsstaats. Nach der Verleihung sitzt eine Gruppe junger Journalistinnen auf der Dachterrasse des Tagungshauses, mit Blick aufs erleuchtete Leipzig. Alle sind beschwingt vom Tag und fühlen sich in ihrer Arbeit ermutigt. Einen "Motivationsboost" hätten ihr die Stimmung und Inhalte gegeben, sagt eine von ihnen. Und eine andere meint, es sei so anders gewesen als auf anderen Netzwerk-Veranstaltungen: "Keine Ellbogen, kein Profilieren, sondern eine offene und wohlwollende Atmosphäre".