Bonn (KNA) Der grassierende Dummheitsstolz unserer Zeit hat ein neues Label. Es lautet "Shamelabrity", zu Deutsch: Schämberühmtheit. Ihre PR-Strategie besteht darin, sich öffentlich so berechenbar lächerlich zu machen, dass daraus geldwerte Alleinstellungsmerkmale in einer ganz eigenen Berufsgruppe entstehen: Shamefluencer. Ihr Habitat ist wiederum die Reality Show, wo praktisch niemandem je irgendwas peinlich genug ist, um nicht geäußert zu werden. Von Tanja Tischewitsch zum Beispiel. Bei Amazon Prime als "36, Reality-Star" etikettiert, läuft sie ab heute durch die Wildnis einer Insel am anderen Ende der Welt und sagt Sätze wie "ich dachte, Neuseeland ist wie Thailand". Also Sonne, Strand, Entspannung unter Palmen. Klingt schon ziemlich schlimm? Nur, bis ihre Berufskollegin Emmy Russ ("26, Model") kurz darauf den Hinweis eines weiteren Shamefluencers, der Horizont sei "immer 16 bis 18 Kilometer entfernt", mit der Gegenfrage kontert: "Was ist denn ein Horizont?" Auf Intellekt und Bildung bezogen muss man dem wohlproportionierten Inventar offiziell ("Köln 50667") oder inoffiziell ("Beauty & The Nerd") gescripteter Realitätssimulationen leider attestieren, dass ihr Horizont unmittelbar vor der eigenen Stirn endet. Unter Schamberühmtheiten wie Emmy, Tanja und den zehn anderen Kandidaten von "The Summit" allerdings ist das nicht nur akzeptabel. Es gilt geradezu als Einstellungskriterium gefilmter Scheinwirklichkeiten. In dem Fall: zwölf C- bis Z-Promis, die bei Wind und Wetter, Zank und Hader ein neuseeländisches Gebirgsmassiv erklimmen. "The Summit" ist also das genaue Gegenteil von Sonne, Strand, und Entspannung unter Palmen. Sechs mehrheitlich hüftsteife Frauen und Männer haben zwei Wochen Zeit, auf dem steinigen Weg zum verschneiten Gipfel "Challenges" genannte Hürden zu meistern. Reißende Flüsse zum Beispiel, steile Bergrücken oder zum Auftakt: löchrige Hängebrücken müssen passiert werden. Und das mit dem Ballast von einer Million Euro in bar, verteilt auf zwölf Rucksäcke, die zwar gemeinsam hochgeschleppt, ganz oben aber nur einem zuteil werden. Weil jeder Ausfall den Gewinn um 83.000 Euro reduziert, müssen die zwölf Einzelkämpfer interagieren - das verkündet ein Spielleiter namens "Mountainkeeper" unaufhörlich aus dem Off. Genretypisch gehässig gesprochen vom Synchron-Urgestein Manfred Lehmann, müssen die Bergsteiger also "an ihre körperlichen und moralischen Grenzen" gehen. Und beide, das zeigt sich schon vor der ersten Herausforderung, sind schnell erreicht. Das ist ihre Kernkompetenz, dafür wurden sie gecastet: Cecilia Asoro, bekannt aus dem "Dschungelcamp" oder "Prominent getrennt", Matthias Mangiapane, bekannt aus "Promiboxen" oder "The 50"; Klaudia Giez, bekannt aus "GNTM" oder "Dancing on Ice"; Serkan Yavuz, bekannt aus "Bachelorette" und "Big Brother". Es sind Archetypen pseudorealen Entertainments, mit denen das australische Original in den USA und den Niederlanden, Finnland und Norwegen, Großbritannien und jetzt Deutschland besetzt wurde. Während der Seifenoperntenor Felix von Jascheroff den identitätspolitischen Macker mimt ("Ich sehe mich schon im oberen Feld, was Intelligenz angeht"), verkörpert das Erotikmodel Emmy feminine Klischees ("oh my god, zu Fuß?!"). Es gibt den faltigen Schweiger (Ansgar Brinkmann), die rauchende Bierzeltlegende (Giulia Siegel) oder das darwinistische Kampfschwein (Flying Uwe). Wie man die Gegensätze in einer Mischung aus Empathie und Häme orchestriert - das weiß niemand besser als Regisseur Johann-Odin Schmekjal. Der "Summit"-Regisseur hat seine Reality-Expertise in Formaten von "Temptation Island" bis "Germany's Next Topmodel" verfeinert oder je nach Perspektive: vergröbert. Jetzt bringt er sie in einer Serie zur Anwendung, die am neuen Reality-Trend andockt: Adventure. Seit Outdoor-Influencer Fritz Meinecke 2021 das radikale Survival-Spektakel "Alone" aus den USA importiert hat, wird dem Stammpersonal privater PR-Kanäle ein wenig mehr zugemutet als im Container. Während die 5. Staffel "7 vs. Wild" demnächst am Amazonas Halt macht, wo es für A-Promis wie Jeannine Michaelsen auch ohne Preisgeld ums Ganze geht, werden die zwölf Wandervögel beim "Summit" allerdings relativ weich gebettet. Im Zentrum ihrer - zugegeben anstrengenden - Tour steht schließlich nicht das Überleben, sondern das Vermarkten. Stets entlang der Frage, ob die Protagonisten echt keine Selbstwahrnehmung haben oder brauchen. Anders ausgedrückt: Wissen die wirklich nicht, was sie tun, oder glauben wir bloß, dass es so ist? Verschwiegenheitsklauseln in den Teilnehmenden-Verträgen nähren entsprechende Restzweifel. Tatsache bleibt jedoch: Auch dieses Format von Banijay Productions im Prime-Auftrag werden Abertausende, wenn nicht Millionen Fremdschamfans einschalten, die sich am Bauerntheater von zwölf Shamefluencern ergötzen. "Ich glaub, ich muss abbrechen", sagt Tanja in der ersten Folge beim ersten Anstieg von vielleicht vier Prozent Steigung. "Boah, du hast so tolle Brüste", entgegnet Emmy und kneift herzhaft hinein, "endlich mal "ne geile Aussicht". Schwer zu glauben, dass Menschen, Frauen zumal, so einen Unfug reden. Noch schwerer zu glauben ist allerdings, dass irgendwem so ein Dialog vorab eingefallen ist. Am schwersten zu glauben ist aber, ob Tanjas Aussage am zweiten Tag nicht als Drohung gemeint ist: "Nächstes Mal werde ich auf jeden Fall keiner Show zusagen, wo ich nicht weiß, worum's geht", sagt sie. "Ab jetzt immer ab der zweiten Staffel."