Gefräßige Fernsehrevolution - Das traurige Ende des Stefan Raab

Von Jan Freitag (KNA)

SHOW - Einst hatte Stefan Raab frischen Wind durchs Leitmedium linearer Tage geblasen. Sein Primetime-Comeback bei RTL zeigte am Mittwochabend aber, wie lange das her ist. Ein Appell, endlich abzutreten.

| KNA Mediendienst

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"Die Stefan Raab Show"

Foto: Willi Weber/Raab Entertainment/RTL/KNA

Köln (KNA) Im weit verzweigten Flussdelta der Niedertracht dümpelt eine weithin unterschätzte Diffamierung durchs Wasser. Sie nennt sich "Ageism" und bezeichnet abwertende Haltungen aufgrund unvermeidbarer Alterungsprozesse. Normalerweise verbietet es sich da von selbst, Menschen aufgrund der Zahl ihrer Falten und Jahre herabzuwürdigen. Bei einem allerdings machen wir an dieser Stelle schon deshalb kurz die Ausnahme, weil er sein humoristisches Arsenal eigentlich nur noch mit Diffamierungen von variierender Niedertracht munitioniert. Die Rede ist von Stefan Raab. Stefan wer, fragen die Generationen Z bis Alpha da womöglich. Raab, kurz zur Aufklärung, ist der, der 1993 das deutsche Musikfernsehen und sechs Jahre später die Mainstream-Comedy revolutionieren half. Wobei die Zeitspannen allein bereits andeuten, dass diese Revolution ihr frechstes Kind längst gefressen hat. Dem darauffolgenden, anhaltenden Verdauungsprozess wohnen wir zurzeit auf RTL bei, wo der begnadete Entertainer nach drei Jahrzehnten bei ProSieben gerade sein Lebenswerk verfüttert. Ein paar Appetithäppchen gab es schon in der vorigen Woche, als "Die Stefan Raab Show" fünfmal 15 Minuten lang zur immer noch besten Sendezeit um 20.15 Uhr lief. Das Konzept? Tja... Grob erinnerte es an seine Comedy-Legende "TV total", wo er bis 2012 das zeitgenössische Fernsehprogramm kommentierte. Gröber formuliert war es bereits zum Auftakt vor zehn Tagen eine Dauerwerbesendung für RTL-Formate oder Bully Herbigs neuen Film "Das Kanu des Manitu". Am gröbsten war jedoch Raabs Rap-Variante der deutschen Nationalhymne zwischendurch, bei der man sich vor Fremdscham gern in Sarah Connors Sickergrube verkrochen hätte. Schwer zu glauben, dass die gestrige Langversion dieser Live-Zumutung noch schlimmer werden könnte als ihre viertelstündigen Teaser zuvor. Aber es wurde schlimmer. Sehr viel schlimmer. So schlimm, dass er zum Premierenthema "Bodybuilding" fünf Muskelpakete plus Horst Lichter eingeladen hat. Aber keinen Kritiker der umstrittenen Anabolika-Cocktailparty, geschweige denn einen Mediziner. Inga Lescheks PR im Vorfeld für "bestes Entertainment, Humor, Neugier und die scharfzüngige Einordnung der Woche", kam also nicht zufällig ohne Begriffe wie "Relevanz" oder "Niveau" aus. Leschek ist "Chief Content Officer" bei RTL, also die Haupt-Inhaltsverantwortliche, und warum sie bei ihrer Aufzählung Begriffe wie "Fremdscham" und "Inkompetenz" vergessen hatte, lässt sich da nur mit dem Zeugnisverweigerungsrecht aller Angeklagten erklären. Umrahmt von handgezählten 750 "Ähs" unterschiedlicher Länge, eröffnet Raab die Show mit einer 7,5-minütigen Sketch-Attrappe darüber, wie sein Langhaarschneider bei der morgendlichen Kopfrasur versagt hat. Mangels Pointen versagte dann selbst das handverlesene Saalpublikum dem Studio-Einpeitscher die Gefolgschaft. Dabei sind geschätzt zwei Drittel der Besucher unübersehbar selbst Bodybuilder. Der Staffelstart lässt sich deshalb nur als Verbeugung vor einer Mannosphäre genannten Klientel traditionsbewusster Pfundskerle deuten, die nun vom traditionsbewussten Pfundsmoderator immer mittwochs mit patriarchal geprägter Folklore versorgt werden. Dad-Jokes wie "Louis Armstrong, der erste Trompeter auf dem Mond" stammen schließlich noch aus Raabs Köln-Sülzer Kindheit. Kalauer über Gartenzaunstreitereien, den "ZDF-Fernsehgarten" oder das Oktoberfest haben ebenso grauen Bartwuchs. Und wenn der Gastkomiker Robert Geiss in drei Minuten Trash-TV humoristisches Fatshaming plus Homophobie und Ageism betreibt, hat "Die Stefan Raab Show" auch noch gleich erfolgreich um Applaus von Rechtsaußen gebettelt. Nach furchtbar zähen 75 Minuten, in denen der Moderator keinerlei erkennbares Interesse an Thema, Gästen, der Realität, aber umso mehr an sich selber zeigte, hinterlässt Stefan Raabs soundsovielte TV-Rückkehr also zwei grundsätzliche Fragen. Worum genau ging es da gestern zwischen "GZSZ" und "Stern TV" eigentlich noch mal? Und wann tritt dieser hochverdiente Bilderstürmer linearer Fernsehtage eigentlich ab? Ungeachtet der Diffamierungen Schwächerer, waren Formate wie "TV total" oder die "Wok-WM" ja doch Meilensteine des dualen Systems. Stefan Raabs Liebe zur Musik stach angenehm aus dem Konservenprogramm anderer Kanäle hervor. Außer ihm konnte 1998 folglich niemand so glaubhaft den dahinsiechenden ESC retten, weshalb hier Öffentlich-Rechtliche, Privatsender und Raab immer mal wieder gemeinsame Sache machten. Dass der NDR den Gesangswettbewerb künftig wieder ohne den Heilsbringer Raab organisieren will, sollte ihm hier allerdings zu denken geben. Die sang- und klanglose Beerdigung seiner RTL-Show "Du gewinnst hier nicht die Million" sowieso. Nur Monate nach ihrer Premiere hatte der Marktführer im deutschen Privatfernsehen die notorisch quotenschwache "Entertainment-Quiz-Competition-Show" noch vor der Sommerpause im Juni abgesägt. Der Hauptgrund liegt auf der Hand: Stefan Raab hat seinen Instinkt verloren, für das früher so sicher getroffene, herkunftsunabhängige Maß an Respektlosigkeit. Und für schlagfertigen Humor. Letztlich also: für gute Unterhaltung. Raab ist von vorgestern. Ein Grund mehr, keine weitere Sende- und Lebenszeit mehr mit ihm zu vergeuden. Irgendwann war es wirklich mal lustig mit dir, lieber Stefan. Aber jetzt genieß doch bitte endlich deinen wohlverdienten Ruhestand. Das ist kein Ageism, sondern einfach höchste Zeit.

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