Desinformation als Waffe - Russland nimmt Einfluss auf die Wahlen in der Republik Moldau

Von Clara Engelien (KNA)

DESINFORMATION - Von angeblichen Nato-Soldaten an der ukrainischen Grenze bis zu gefälschten Stimmzetteln: Vor den anstehenden Parlamentswahlen in der Republik Moldau kennt die pro-russische Manipulation kaum Grenzen.

| KNA Mediendienst

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Wahlen in Moldau

Foto: Veniamin Demidetsky/Imago/KNA

Chisinau (KNA) Mit eindringlichen Worten wandte sich Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau, am 9. September an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments: "Moldau kann sich seiner geografischen Lage nicht entziehen. Wir spüren den langen Arm der russischen Aggression." Das Land hat eine 2.000 Kilometer lange Grenze zur Ukraine, länger und vor allem näher am Kriegsgeschehen als die jedes anderen europäischen Landes. Der Grund, warum heute in ihrem Land noch Frieden herrsche, sei nur, dass die Ukraine noch nicht gefallen ist. "Aber Frieden ist nie garantiert", so Sandu. Deshalb sei Moldaus Weg nach Europa nicht nur eine Frage der Werte. "Er ist eine Frage des Überlebens. Und gerade weil wir auf diesem Weg große Fortschritte gemacht haben, hat Russland sein gesamtes Arsenal an hybriden Angriffen gegen uns eingesetzt. Das Schlachtfeld sind unsere Wahlen." In der Tat ist der kommende Sonntag, wenn die moldauische Bevölkerung ihr Parlament wählt, eine Weichenstellung für das Land. Bleibt es auf dem EU-Kurs, für den sich Sandus sozialliberale PAS-Partei einsetzt? Oder gewinnen pro-russische Parteien so an Einfluss, dass Russland mehr und mehr die Kontrolle übernehmen kann? Seit vergangenem Sommer finden die Beitrittsverhandlungen zwischen der moldauischen Regierung und der EU statt. Sandu ist angewiesen auf eine Mehrheit im Parlament, um diesen Weg weiter zu gehen. Der hybride Krieg, mit dem pro-russische Kräfte dies zu verhindern suchen, findet maßgeblich in den Medien statt. Im Fernsehen, im Radio, aber vor allem auch online - auf Tiktok, Facebook, Telegram. Das Unabhängige Journalismus Zentrum mit Sitz in Chisinau, Moldaus Hauptstadt, fördert unabhängige Medien und prüft, ob sie nach journalistischen Standards arbeiten. Seit 20 Jahren beaufsichtigt das Zentrum die Berichterstattung in Zeiten von Wahlen, durchforstet dafür auch Social Media. "Posts mit anti-europäisches Narrativen haben nochmal extrem zugenommen", sagt Geschäftsführerin Nadine Gogu. So hieße es beispielsweise, LGBTQ-Bildung würde in Schulpläne aufgenommen, wenn Moldau der EU beitrete, oder das Land würde atheistisch werden, so die Journalistin. Auch eine kürzlich veröffentlichte Studie des Zentrums gewährt Einblicke. Demnach werden manipulative, pro-russische Narrative am häufigsten in Form von Video-Kurznachrichten mit KI-generierten Stimmen verbreitet. Täuschend echte Voiceovers imitieren dort Stimmen. Auf der Plattform X kursiert ein KI-generiertes Video einer angeblichen Wahlhelferin. Sie behauptet, gezwungen worden zu sein, in die bevorstehenden Wahlen einzugreifen - auf "direkten Befehl der Regierung und von Maia Sandu." Es folgen Bilder vermeintlich vorgedruckter Stimmzettel, auf denen bereits Sandus PAS-Partei angekreuzt ist. Auch die Kriegsangst in der moldauischen Bevölkerung wird mit Falschnachrichten geschürt und in direkten Zusammenhang mit den Wahlen gesetzt: Auf mehreren Online-Portalen sowie über anonyme Telegram- oder Tiktok-Kanäle wird ein Text verbreitet, in dem es heißt, am Vorabend der Wahlen würden bis zu 800 Nato-Soldaten in der Republik Moldau eintreffen, "um die PAS-Regierung im Falle eines ungünstigen Wahlergebnisses zu unterstützen". Sollte die Opposition die Mehrheit erlangen, heißt es weiter, würde Sandu das Ergebnis nicht anerkennen und Russland die Schuld geben, hier beteiligt zu sein. Mögliche Proteste der Bürger würden dann von Spezialeinheiten der Polizei unter der Leitung ausländischer Kräfte unterdrückt. Das moldauische Verteidigungsministerium wies dieses Szenario gegenüber Faktenprüfern entschieden zurück. Der unabhängige Think Tank WatchDog.md analysiert derweil immer mehr russische Desinformationsversuche. Bis zu hundert wiederkehrende Narrative haben WatchDog-Mitbegründer und Analyst Andrei Curararu und sein Team gezählt. Diese ließe sich in fünf Hauptnarrative zusammenfassen, so Curararu: 1. Die jetzige Regierung sei korrupt und alle EU-Gelder würden verschwendet. 2. Die europäische Integration sei ein Schwindel, die Republik Moldau würde niemals Teil der EU. 3. Moldau verärgere Russland und provoziere es zum Krieg, oder sei ein Stellvertreter der Nato und werde deshalb in den Krieg verwickelt. 4. Die europäische Integration würde Moldaus traditionelle christliche Werte zerstören. 5. Die Exportmöglichkeiten Moldaus nach Russland seien weitaus wichtiger als der europäische Markt. Unter Tausenden von Beiträgen und Videos versuchen Curararu und sein Team diejenigen zu identifizieren, die viral gehen, also innerhalb kürzester Zeit extrem häufig aufgerufen werden und viele Interaktionen erzeugen. "Wir speichern sie und versuchen sicherzustellen, dass sie, sobald sie an die breite Öffentlichkeit gelangen, zumindest mit einem faktenbasierten Kommentar versehen sind", so der Politikwissenschaftler. Doch die Welle an Desinformation sei so massiv, dass sie nur bedingt dagegenhalten könnten. Laut dem Nationalen Sicherheitsrat Moldaus sind bereits geschätzte 90 bis 100 Millionen Dollar aus Russland Richtung Moldau geflossen, um durch Propaganda und Stimmenkauf das Wahlergebnis zu beeinflussen. "Wir haben nur begrenzte Möglichkeiten, auf alles zu reagieren", so Curararu, zumal es ein teures Unterfangen sei. Außerdem habe ein kleines Land wie Moldau gegenüber den Plattformen, deren Budgets oft größer seien als Moldaus Bruttoinlandsprodukt, keine große Verhandlungsmacht. Die konkrete Zusammenarbeit mit den Plattformen ist laut Curararu nicht schlecht, sei aber auch schon besser gewesen. Früher habe WatchDog ein gutes Verhältnis zu Meta und Google gehabt, Rückmeldungen zu Meldungen und Hinweisen erhalten. "Das hat sich jetzt geändert. Seitdem Washington zum Paradigma der 'freien Meinungsäußerung' übergegangen ist, anstatt Desinformationen zu bekämpfen, beantworten sie unsere E-Mails nicht mehr", bilanziert der Experte etwas ernüchtert. Auch mit Tiktok sei die Kommunikation schwierig. "Sie ziehen es vor, mit Strafverfolgungsbehörden zu sprechen, vermutlich aufgrund ihrer Herkunft aus China." Auch Rechercheergebnisse der moldauischen Investigativ-Zeitung "Ziarul de Garda" lassen das Ausmaß erahnen, in dem versucht wird, die Meinungen der Wählerinnen und Wähler zu manipulieren. Eine Anfang September veröffentlichte Youtube-Dokumentation des Mediums zeigt Schritt für Schritt, wie eine direkt aus Moskau koordinierte Trollfabrik entstand und wie sie russische Propaganda auf Tiktok und Facebook verbreitet. Dazu hatte sich eine Journalistin der Zeitung verdeckt in eine geschlossene Telegram-Gruppe eingeschleust, in der mehrere Monate lang Hunderte sogenannte "Kommunikationsaktivisten" von einem Team russischsprachiger Kuratorinnen und Kuratoren online geschult werden, wie sich soziale Netzwerke nutzen und Algorithmen manipulieren lassen, um die Wirkung der Fake-Posts zu maximieren. Die Gruppe gehört dem Bericht zufolge dem "Victory"-Block an, einer pro-russischen politischen Allianz, gegründet vom in Moldau verurteilten, flüchtigen Oligarchen Ilan Shor. Shor, der früher selbst im Parlament des Landes saß, wurde in Moldau rechtskräftig wegen Geldwäsche und Betrugs verurteilt und lebt im Exil. Bei einem Kongress in Moskau im Juli sagte Shor, er glaube, "die einzige Rettung" für Moldau sei "die Union mit der Russischen Föderation". Es habe keinen Sinn, über die Unabhängigkeit des Landes zu sprechen, sagte Shor. Der Desinformationsexperte Curararu betont, wie wichtig diese und andere Enthüllungen für den Erhalt der Demokratie und konkret die Wahlergebnisse seien. Und die EU? Die Präsenz europäischer Spitzenpolitikerinnen und -politiker war zuletzt groß in dem osteuropäischen Land. Als es in diesem Jahr am 27. August den Jahrestag seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 feierte, kamen etwa Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der französische Präsident Emmanuel Macron und der polnische Staatschef Donald Tusk, um Präsidentin Maia Sandu den Rücken zu stärken und für die EU zu werben. "Wir sehen ein starkes Engagement, lokale Initiativen hier zu finanzieren, die gegen Desinformation kämpfen", sagt Curararu. Er ist an der Entwicklung von Sicherheitsstrategien in Zusammenarbeit mit der Regierung Moldaus beteiligt. Die Experten aus der EU würden der Regierung auch bei den Verhandlungen mit den sozialen Netzwerken helfen, um die Welle der Desinformation einzudämmen. Auf Nachfrage bei der EU-Kommission heißt es: Auf Ersuchen Moldaus habe die EU im April 2025 die ersten sogenannten hybriden Krisenreaktionsteams entsandt, um das Land bei der "Gewährleistung der Integrität der Wahlprozesse" zu unterstützen. Die Reaktionsteams leisten demnach vorübergehende Hilfe in Sachen Cybersicherheit, Bekämpfung hybrider Bedrohungen und Desinformation. Fast 200 Millionen Euro hat die EU bisher in die Unterstützung Moldaus investiert, in die Modernisierung der moldauischen Streitkräfte, aber auch in die Cybersicherheit. "Was wir von Russland sehen, ist Geld, das zur Unterstützung der abtrünnigen Region Transnistrien und zum Kauf von Stimmen geschickt wird", bilanziert Curararu trocken. "Ein Partner, die EU, unterstützt uns mit Geldern für den Straßenbau, schafft Arbeitsplätze, hilft Unternehmen zur Steigerung ihrer Exporte in die EU. Während ein anderer Partner, Russland, uns ins Chaos stürzt. So schwarz-weiß ist die Lage."

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