"Wir leben in einer trinkfröhlichen Gesellschaft" - Schauspielerin Becht über Alkoholismus und Umarmungen statt Bier

Von Paula Konersmann (KNA)

FILM - Ihre Figur Katrin rutscht im Film "Im Rausch" in die Alkoholsucht. Schauspielerin Friederike Becht beobachtet, dass das Thema auch im Alltag oft näher ist als gedacht - und schlägt neue Wege der Geselligkeit vor.

| KNA Mediendienst

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"Im Rausch"

Foto: Oliver Vaccaro/ZDF/KNA

Mainz (KNA) Zuletzt "Der Rausch" im Kino oder "One for the Road" auf Netflix: Ein neuer ZDF-Film bringt das Problem Alkoholismus nur auf die Fernsehbildschirme. Dass es sich nicht um ein Randphänomen handelt, betont Hauptdarstellerin Friederike Becht im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Schauspielerin spricht auch über ihre allererste Erfahrung mit Alkohol, über ihre Figur Katrin und über mögliche Wege aus der Sucht. KNA-Mediendienst: Gab es in der Vorbereitung auf den Film "im Rausch" für Sie Aha-Erlebnisse? Friederike Becht: Es ist vor allem interessant, dass es sich bei Alkoholabhängigkeit nicht um ein Einzelphänomen handelt. Studien zeigen, dass momentan jeder fünfte Erwachsene in Deutschland ein problematisches Verhältnis zu Alkohol hat. Das sind ziemlich viele. Und das liegt nicht an Einzelnen, die es nicht auf die Kette kriegen, sondern vor allem an unserer Umgebung und unserer Sozialisierung. MD: Wie meinen Sie das? Becht: Viele reagieren eher ungläubig, wenn man sagt, dass man beim Ausgehen nicht trinken möchte. Wir leben in einer trinkfröhlichen Gesellschaft. Wer mit dem Rauchen aufhört, wird beglückwünscht - beim Trinken gilt das weniger. Mir ist noch einmal sehr deutlich geworden, dass dieses Thema viele Menschen betrifft. Meine Filmfigur Katja ist ein Extremfall. Aber es gibt sehr viele Menschen im Graubereich: Sie freuen sich, wenn die Kinder schlafen, dass sie endlich einen Schluck Alkohol trinken können, sie gehen lieber auf Veranstaltungen, wo Alkohol fließt, oder sie werden sauer, wenn der Kellner der Freundin mehr Alkohol eingießt als einem selbst. All das sind Warnsignale. MD: Ihre Figur Katja droht sich durch beruflichen Stress im Rausch zu verlieren. Verlangt die Leistungsgesellschaft zu viel? Becht: Ich glaube, in unserer Leistungsgesellschaft greifen viele Menschen zu Alkohol, weil er kurzfristig entspannen kann. Ich glaube, dass viele Alkohol dafür missbrauchen. Das habe ich durchaus selbst schon getan, um gesellig und entspannt unterwegs zu sein, mich länger fit zu fühlen. Für eine kurze Zeit kann das sogar funktionieren. Allerdings sollte und dürfte die Frage, was hinter dem Trinken steht, in uns allen lauter werden - und diese Frage sollten wir nicht nur individuell stellen, sondern auch in der Gesellschaft stärker thematisieren. MD: Wie könnte das gelingen? Becht: Jede und jeder Einzelne kann sich selbst fragen: Ist dieses Bier, dieser Sekt, dieser Cocktail das, was ich jetzt brauche? Oder steht vielleicht dahinter, dass ich müde bin, mich aber aufrecht halten möchte? Oder bin ich unsicher, fehlt mir eine Umarmung? Das ist die entscheidende Frage. Wer die Antwort kennt, könnte andere Wege finden, dieses Bedürfnis zu stillen, anstatt etwas zu trinken. Und wir könnten uns gegenseitig auch andere Vorschläge machen,gemeinsam etwas zu erleben, statt immer gleich ans Trinken zu denken - zum Beispiel: Lass uns spazieren gehen, lass uns zusammen Musik machen. Das können wir im Kleinen tun - aber wie gesagt: Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr stark pro Alkohol geprägt ist- und genau das sollten wir auch kritischer betrachten. MD: Alkohol wird auch medial oft in geselligen, fröhlichen Szenen gezeigt. Wie war es, die Schattenseiten so direkt zu spielen? Becht: Spannend. Ich kenne Suchtverhalten selbst - nicht mit Alkohol, aber mit Zigaretten. Oft hat man das Gefühl, das Thema sei weit weg von der eigenen Realität, aber das stimmt nicht. Wenn ich auf die Straße gehe, sehe ich sehr wahrscheinlich jemanden, der ein Alkoholproblem hat. Wenn ich bei einer Familienfeier bin, fällt mir vielleicht jemand auf, der sehr schnell drei, vier Bier trinkt. Und so gut wie jeder hat sowohl die positiven als auch negativen Auswirkungen von Alkohol - in einem ggewissen Maße - bereits selbst erlebt. MD: Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen? Becht: Das erste Mal angetrunken war ich etwa mit 15 Jahren. Das war auf einer Hausparty, die wir geschmissen haben, als die Eltern im Urlaub waren - natürlich heimlich. Das erste Glas Wein hat Leichtigkeit gebracht. Ich weiß aber auch noch, wie ich mich ein anderes Mal von Tequila übergeben musste - ohne dass ich jemals besonders viel getrunken hätte oder gar suchtgefährdet gewesen wäre, habe ich schon ansatzweise gespürt, in welche Extreme Alkohol einen treiben kann. Und: Es gibt keinen gesunden Alkoholkonsum. De facto ist es Gift für den Körper. Ich finde es spannend, wie unterschiedlich unsere Gesellschaft mit Drogen umgeht, welche erlaubt sind und welche verboten. MD: Es gibt auch einen Trend zu Mocktails, also alkoholfreiem Genuss. Becht: Ob das ein breiter Trend ist, kann ich nicht beurteilen. Aber Süchte sind mannigfaltig, Alkohol ist nur eine davon. Es gibt noch viel mehr, auch neuere Substanzen, die Menschen ausprobieren. Und die Haltung "kein Fest ohne Bier" ist weiterhin verbreitet, alleine schon, wenn man gemeinsam Fußball schaut. MD: "Der Rausch" mit Mads Mikkelsen dürfte einer der bekanntesten neueren Filme über problematisches Trinkverhalten sein - erzählt aber eher aus männlicher Perspektive. Trinken Männer und Frauen unterschiedlich? Becht: Ich glaube, Sucht hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Sicherlich gibt es den Fußballclub, wo Trinken angesagt ist. Aber wenn ich im Zug sitze und ein Frauengrüppchen zum 60. Geburtstag von Ulrike nach Berlin fährt, dann sehe ich auch dort viele Piccolöchen. MD: Sie haben gesagt, dass Ihnen durch den Film klargeworden sei, dass Sie sich beim Thema Rauchen belügen. Und jetzt? Becht: Auch heute bin ich wohl noch gefährdet, zum Kiosk zu laufen und mir eine Zigarettenschachtel zu kaufen. Aber ich hoffe, dass ich einen Status erreiche, in dem diese Idee vielleicht noch aufkommt, aber der Weg dahin so weit wäre, dass ich es doch nie tun würde. Ich glaube, es ist möglich, sich da herauszuholen. In der Vorbereitung auf die Rolle habe ich mit Coachinnen über Alkoholkonsum gesprochen und über die eigene Sucht, die sie überwunden haben. Es hat mich sehr berührt, dass sie so offen darüber gesprochen haben. Zur Offenheit ist man vielleicht sogar angehalten, wenn man bei sich oder anderen ein problematisches Trinkverhalten wahrnimmt. MD: Wäre das ein Wunsch an das Publikum des Films? Becht: Ja. Man kann einfach mal nicht mittrinken, wenn man sich bereits Sorgen um jemanden macht - oder das Thema behutsam und in einem geeigneten Moment ansprechen. Für viele Betroffene ist Scham ein großes Thema, und ich finde es wichtig, niemanden für ein Suchtverhalten zu verurteilen. MD: In einem Buch haben Sie sich zuletzt auch mit Gott auseinandergesetzt. Welche Rolle spielt das Thema sonst in ihrem Leben? Becht: Keine große (lacht). Ich finde, jeder Mensch darf glauben, was er oder sie für richtig hält - solange es niemanden verletzt und solange man respektiert, was andere glauben. Ich glaube, was keiner all der in Frage kommenden Götter möchte, ist Krieg. Persönlich mag ich den christlichen Grundgedanken der Nächstenliebe; ich bin evangelisch aufgewachsen und habe heute viel mit dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat zu tun. Ich finde es toll, dass die Kirche solche Projekte fördert und sich für benachteiligte Menschen stark macht.

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