Bonn (KNA) Es gibt selbst in den ideologisch Grand-Canyon-tief gespaltenen USA eine Art zivilisatorischen Konsens darüber, welche Straftaten intolerabel sind. Sexuellen Missbrauch zum Beispiel finden Republikaner normalerweise ebenso verwerflich wie Demokraten. Gleiches betraf lange Zeit auch Delikte wie Schweigegeldzahlungen oder Umsturzaufrufe. Bis Donald Trump alle drei Straftaten für tolerabel erklärte. Zumindest dann, wenn er sie verübt. Vergleichbare Straftaten seiner politischen Gegner gelten indes sogar dann als intolerabel, wenn es fiktionale sind. Das zeigt gerade ein neuer Fall von Selbstzensur. Kurz nachdem ABC auf Geheiß von Disney-Chef Bob Iger den Talkshowstar Jimmy Kimmel wegen angeblich unzulässiger Kommentare zum Tod des völkischen Hasspredigers Charlie Kirk kurzzeitig suspendiert hatte, stoppte Apple die Ausstrahlung einer hochpolitischen Drama-Serie. Statt stichhaltiger Gründe ließ Apple-CEO Tim Cook zwar nur verlauten, sein Streamingportal habe sich die Entscheidung "reiflich überlegt" und freue sich, den Achtteiler "zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen". Weil der Zusammenhang mit dem Anschlag auf Charlie Kirk aber offenkundig ist, wird dieser Fall zum nächsten Tabubruch im Tagebau von Donald Trumps MAGA-Bewegung. Das zeigt ein Blick auf den Plot: Die brillante Hackerin Jodi (Jessica Chastain) surft darin so virtuos durchs Darknet, dass ihr eine "Anti Hate Alliance" genannte Geheimorganisation im FBI-Auftrag den Titel "The Savant" verleiht, zu Deutsch: die Gelehrte. Deren Digital-Avatare infiltrierten vor allem rechtsextreme Netzwerke. Hier: eine Terrorzelle des Frauenarztes Ken Larson (David Wilson Barnes). Unter dem Deckmantel seiner bürgerlich-konservativen Existenz beauftragt der den alleinstehenden Hillbilly Jason (Pablo Schreiber) und dessen glücklich verheirateten Partner Steve (Cole Doman) damit, ein drittes Kommandomitglied zu rekrutieren - Jodis Avatar Fleshy MF, der augenscheinlich alle Kriterien völkischer Revolutionäre erfüllt. Und wie ihm Regisseur Matthew Heinemann nach Drehbüchern von Showrunnerin Melissa James Gibson ("House of Cards") Leben einhaucht - das ist vielschichtiges Politainment der absoluten Extraklasse. Jodi muss ihre Doppelidentität ja nicht nur vor den White Supremacists geheim halten; auch ihre zwei minderjährigen Kinder bleiben über Mamas Arbeit im Dunkeln. Was dadurch erschwert wird, dass sie zu Migräne-Attacken inklusive Wahnvorstellungen neigt. Das ist nur eine von mehreren Parallelen zur Showtime-Serie "Homeland" um die bipolare CIA-Agentin Carrie Mathison. In beiden Serien bleibt offen, wer genau eigentlich wen jagt. Und wie Oscar-Preisträgerin Jessica Chastain dieser multiplen Persönlichkeit Substanz verleiht, hätte 2026 sicher Emmys abgeräumt - besäße Apple-Chef Tim Cook denn so etwas wie Rückgrat. Im Gleichschritt nahezu aller Tech-Milliardäre hat er dieses jedoch offenbar an der Tür zum Weißen Haus abgeben und die Serie in vorauseilendem Gehorsam gleich mit. Dabei äußert sich deren Hauptdarstellerin - wie mittlerweile üblich auch Koproduzentin ihrer eigenen Rolle - öffentlich entsetzt darüber. Und zwar zu Recht - nährt die Absetzung doch den Verdacht, Chastains Auftraggeber traue sich aus Furcht vorm Choleriker im Oval Office nicht mal mehr, rechtsextremen Terrorismus anzuprangern. Und nicht nur er. Während der selbsterklärte Free-Speech-Verteidiger Trump die rechte Cancel-Culture erwartungsgemäß lobte, halten Chastains Kolleginnen und Kollegen irritierend still. Michael Keaton appellierte zwar offenbar auch im Zusammenhang mit "The Savant" an seine Nation, "endlich aufzustehen". Aber das war's auch schon. Von Emma Stone über Joaquin Phoenix bis Tilda Swinton mögen also 4.500 Filmschaffende gerade lautstark zum Boykott - selbst regierungskritischer - Filme aus Israel aufrufen; Hollywoods Aufschrei gegen Cooks Panikattacke bleibt bestenfalls ein leises Wimmern. Und das geht im Getöse milliardenschwerer Fusionen pragmatischer - um nicht zu sagen: opportunistischer - Medienunternehmer, leicht unter. Wenn Disney für geplante Sportrechtedeals mit NFL oder ESPN die Billigung von Donald Trumps Medienaufseher Brendan Carr benötigt, opfert Bob Iger eben (kurzfristig) den regierungskritischen Jimmy Kimmel. Wenn Apple am selben Bieterstreit teilnehmen will, opfert Tim Cook halt (mittelfristig) regierungskritische TV-Serien. Und wenn Paramount Carrs Genehmigung der Fusion mit Skydance braucht, opfert Brian Robbins halt (langfristig) Kimmels Kollegen Stephen Colbert. Wohin der von Trump viel geschmähte liberale Nachrichtensender CNN politisch steuert, wenn Paramount-Skydance nun wie geplant dessen Mutterkonzern Warner Bros. Discovery kaufen darf, erfordert also wenig Fantasie. Tim Cooks Biegsamkeit in Sachen "The Savant" ist Teil einer Partie Medienmonopoly um Marktanteile und Lizenzen, bei dem das liberale, plurale, demokratische Amerika gerade noch zwei, drei Straßen im ersten Viertel und kaum noch Bargeld besitzt. "Sie gewinnen", sagt Jessica Chastains IT-Expertin einmal beim aufopferungsvollen Versuch, die rechte Revolution zu stoppen. Kurzfristig meint Jodi damit zwar das Terrornetzwerk auf ihrem Bildschirm. Falls ihr Land und deren Medien nicht resilienter werden, könnte es langfristig aber auch für Donald Trump und Brendan Carr gelten.