"Die Leute müssen sich einfach mal ausprobieren" - Studierende gestalten Kongress zu positiven Seiten von Social Media

Von Jana Ballweber (KNA)

SOCIAL MEDIA - Das Ansehen von Social Media hat zuletzt sehr gelitten. Studierende in Stuttgart wollen dieses Image aufpolieren - mit einem etwas anderen Kongress. Ein Interview über junge Zielgruppen, gesellschaftlichen Impact und den Berufswunsch "Influencer".

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Social Media

Foto: Julia Steinbrecht/KNA

Stuttgart (KNA) Manipulation, Sucht, fadenscheinige Geschäftsmodelle: Soziale Medien sind in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit in ein immer schlechteres Licht geraten. Politiker fordern regelmäßig, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Online-Plattformen zu verbieten oder ihn zumindest drastisch einzuschränken. Dabei gerät aus dem Blick, welche positiven Auswirkungen Social Media auf die Gesellschaft haben kann, sagen Sarah Spitzer und Marvin Herzog. Spitzer ist Professorin für Online-Medien-Management an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Herzog ist einer ihrer Studenten und kam mit einem Kommilitonen vor einiger Zeit auf Spitzer zu, mit dem Wunsch einen Kongress zum Thema Social Media zu veranstalten. Im vergangenen Jahr ging die Veranstaltung an den Start, am 30. Oktober gibt es nun die zweite Ausgabe von "The Future Social". Im Interview mit dem KNA-Mediendienst berichten Spitzer und Herzog über junge Zielgruppen, aktuelle Trends und was ihren Kongress von anderen unterscheidet. KNA-Mediendienst: Frau Spitzer, Herr Herzog, Medienkongresse und Konferenzen gibt es wie Sand am Meer. Wie kamen Sie darauf, eine eigene Veranstaltung ins Leben zu rufen und worum geht es bei "The Future Social"? Sarah Spitzer: Social Media wird ja im Moment - mit Recht - sehr kritisch betrachten. Im Wintersemester 2023 sind deshalb zwei Studierende mit dem Wunsch auf mich zugekommen, eine Veranstaltung zu organisieren, die einen anderen Schwerpunkt setzt und sich auf die positiven Auswirkungen von Social Media auf die Gesellschaft konzentriert. Das haben wir dann im Sommersemester 2024 erstmals als studentisches Projekt der Hochschule auf dem Gelände der HdM (Hochschule der Medien) konzipiert und umgesetzt. In diesem Jahr findet der Kongress unabhängig von der Hochschule statt, vollständig in Eigenverantwortung der jungen Menschen, die so hoffen, ein noch größeres Publikum zu erreichen. MD: Was unterscheidet Ihren Kongress denn von anderen Konferenzen? Spitzer: Die Integration derer, über die gesprochen wird. Bei vielen Konferenzen, die sich vor allem an Unternehmen richten, werden Content Creator eingeladen, die dann über junge Leute als Zielgruppe sprechen. Hier laden die jungen Menschen selbst ein, um in den Austausch zu treten. Marvin Herzog: Am Anfang wollten wir so sein wie alle anderen. Wir haben selbst Veranstaltungen wie zum Beispiel die OMR in Hamburg besucht. Wir haben aber schnell gemerkt, dass das nicht zu uns passt, mit dieser Art von kommerzieller Veranstaltung sind wir nicht warm geworden. Dort geht es oft darum, Business zu machen, die Einstiegshürden und vor allem auch die Eintrittspreise sind sehr hoch, der größte Mehrwert ist, gesehen zu werden. Das hat uns alles sehr enttäuscht. Spitzer: Das führt ja auch das Grundprinzip von Social Media ad absurdum. Dort kann jeder jeden erreichen und das wird bei solchen Konferenzen als Konzept kaputt gemacht, wenn die Tickets hunderte Euro kosten. MD: Und wie wollen Sie es besser machen? Herzog: Ein Ticket kostet bei uns 12 Euro. Das macht die Organisation natürlich auch schwieriger, weil wir so nur ein kleines Budget für Speaker haben und uns die großen Namen oft nicht leisten können. Aber uns geht es um einen anderen Mehrwert. Wir wollen zeigen, wie man mithilfe von Social Media die zukünftige Gesellschaft verändern und gestalten kann und hierfür die Motivation transportieren. Das ist eher ein Gefühl. MD: Welche inhaltlichen Schwerpunkte wollen Sie setzen? Herzog: Wir versuchen, eine Mischung hinzubekommen. Wir haben uns gefragt, was uns dazu bringen würde, eine solche Veranstaltung zu besuchen. Deshalb soll es nicht nur um Business-Facts gehen. Das gehört natürlich zur Content Economy auch dazu, es ist nun mal ein Geschäft, ein Beruf. Wir fragen uns aber auch, welche Art von Inhalten die Gesellschaft am meisten beeinflussen könnte. Hier geht es um Fragen von Social Impact, also etwa Nachhaltigkeit oder soziale Themen. In diesem Bereich versuchen wir, Speaker zu bekommen, die etwas Einzigartiges machen. Das müssen nicht unbedingt soziale oder politische Aktivisten sein, das geht auch im Bereich Unterhaltung. MD: Wo sehen Sie denn im Moment Trends bei der Content Creation? Welche Plattform ist besonders angesagt? Herzog: Das kann man so nicht sagen. Die Personen, die bei uns auftreten, sollen präsentieren, was sie selbst gut finden. Daraus kann man keine klaren Trends ableiten, aber es sind alles konkrete Beispiele aus der Praxis, die funktionieren. Was sie vereint, ist die Tatsache, dass alle dort erfolgreich sind, wo sie Begeisterung spüren. Und was online als Erfolg bezeichnet wird, ist je nach Thema, Format und Plattform ohnehin unterschiedlich. MD: Das Revolutionäre am Netz und an Plattformen war ja, dass alle Menschen sich theoretisch mit eigenen Beiträgen beteiligen können. Untersuchungen zeigen aber immer wieder, dass ein Großteil des Contents von verhältnismäßig wenigen Nutzern kommt und ein Großteil der Nutzer nur still mitlesen. Warum ist das Ihrer Ansicht nach so? Liegt das an der Professionalisierung? Spitzer: Ich glaube, das war am Anfang von Social Media gar nicht so signifikant anders als jetzt. Auch am Anfang war es so, dass viele Menschen sich maximal mit Likes oder mal mit einem Kommentar beteiligt haben. Nicht jeder will sichtbar sein. Es wird deshalb nicht das eine Medium geben, mit dem wir alle berühmt sein werden. Dafür gibt es ja auch überhaupt nicht genug Aufmerksamkeit. Meiner Ansicht nach sind die Hürden eher niedriger geworden, selbst zum Content Creator zu werden. Neue Plattformen, beispielsweise Tiktok, werben mit genau dieser Niedrigschwelligkeit. Die Voraussetzungen für eine Demokratisierung wären gegeben, im Grunde gibt es keine Hemmschwelle, um aktiv zu werden. Herzog: Ich denke auch, dass die Hemmschwelle, Content zu erstellen, so niedrig ist wie nie zuvor. Heute kann jedes Smartphone alles, was man für eine erfolgreiche Arbeit braucht. Das Storytelling ist wichtiger geworden, viel wichtiger als der technische Standard. Instagram straft höherwertigen Content in der Reichweite sogar ab, weil es nicht die Inhalte sind, die dort gewünscht sind. MD: Und dennoch werden viele nicht aktiv... Spitzer: Die Demokratisierung im Netz ist in der Tat in Gefahr, durch Shitstorms, Hasswellen, Emotionalisierung. Und durch die fehlende Moderation von Kommentaren auf vielen Plattformen. Herzog: Wenn ich online Inhalte konsumiere, kann ich anonym bleiben. Wenn ich selbst Content aufnehme, kann ich komische Reaktionen bekommen. Wenn ich durch die Stuttgarter Innenstadt laufe und in eine Kamera quatsche, schauen mich die Leute drum herum schräg an. Dabei konsumiert ein Großteil von denen selbst die Inhalte von Content Creators, die genau das machen - sie haben es nur noch nie in freier Wildbahn beobachtet. Dass viele Angst vor genau diesen Reaktionen haben, kann auch keine Plattform auffangen. Da müssen Leute, die den Willen haben, etwas mitzugestalten. Sie müssen sich einfach mal ausprobieren. MD: Ist das ein Plädoyer an Eltern und Lehrer, jungen Menschen nicht mehr zu belächeln, wenn sie sagen, dass sie Influencer werden wollen? Spitzer: Man kann auf einen solchen Berufswunsch auf ganz unterschiedliche Weise reagieren. Influencer oder Content Creator zu sein, sagt ja erstmal nur etwas über das Medium aus. Das ist, als würde jemand sagen, dass er gerne ins Fernsehen will. Viel wichtiger ist die Frage: Was willst du denn da machen? Mit was will ich Content Creator werden? Wenn es ein inhaltliches Thema ist, dann zeigt das, dass ich hinter etwas stehe, für das ich mich einsetzen will. Die gesündere Reaktion wäre es also, diesen Weg zu begleiten und nicht gleich zu sagen: "Das ist Mist." MD: Bei aller positiven Sicht auf Social Media, die Probleme lassen sich ja gerade mit Blick auf die Eigentümer in den USA nicht wegdiskutieren. Wie schauen Sie auf diese Debatten und werden sie beim Kongress auch diskutiert? Herzog: Ich habe dazu eine zwiespältige Meinung. So gut wie alle Player stammen aus dem US-Markt und sind kritisch zu bewerten, gerade die Strukturen im Hintergrund und die Nähe der Unternehmer zu Donald Trump. Aber Social Media sehe ich als Thema unabhängig von den konkreten Plattformen. Es geht um die Eins-zu-Eins-Beziehung zum Publikum. Das Umfeld ist von uns als Veranstalter eines kleinen Kongresses nicht veränderbar. Agenturen und Unternehmen müssen mit den Plattformen arbeiten, die da sind. MD: Wir haben in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass Plattformen wie beispielsweise Instagram die Reichweite von politischen Inhalten gedrosselt haben. Wenn Sie einen Schwerpunkt bei Social-Impact-Themen haben, betrifft Sie das doch aber auch ganz direkt. Herzog: Wahlwerbung einzuschränken, fand ich einen guten Schritt von den Plattformen. Wir haben gesehen, dass Content von extremen Rändern auf Social Media - wie in allen anderen Medien auch - deutlich stärker ist. Das Reißerische ist erfolgreich, weil Menschen eben so sind, dass sie darauf stärker reagieren. Das hat nicht direkt etwas mit Social Media zu tun. Das ist nun wirklich kein Problem, das Online-Plattformen exklusiv haben - und kein Argument gegen Social Media.

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