Straßburg (KNA) Frauen wurden gesellschaftlich geächtet und unter Folterqualen gezwungen, Verbrechen zu gestehen, die aus heutiger Sicht absurd erscheinen. Ihre Verfolgung als Hexen ereignete sich nicht im "finsteren" Mittelalter, sondern vor 400 Jahren, also kurz vor der Aufklärung. Das Thema wurde umfassend erforscht; auch an Dokumentationen zu diesem düsteren Kapitel der Zeitgeschichte besteht kein Mangel. Und so verwundert es nicht, dass Marie Thiery, bekannt für ihre Historiendokumentationen, keine grundsätzlich neue Perspektive zur Hexenverfolgung eröffnet. Ihre Fokussierung auf den französischen Inquisitor Pierre de Lancre, dessen Gräueltaten bereits in dem spanischen Netflix-Spielfilm "Tanz der Unschuldigen" von 2020 thematisiert wurden, hat jedoch den Vorzug, das ausufernde Thema anschaulich zu bündeln. Anlass für die Niederschrift von de Lancres "Beschreibung der Unbeständigkeit der bösen Engel und Dämonen" waren lokale Streitigkeiten im französisch-spanischen Grenzgebiet. Da die Kontrahenten sich gegenseitig der Zauberei beschuldigten, wurde der Inquisitionsrichter vom damaligen französischen König Heinrich IV. im Jahr 1609 in die entlegene Gegend entsandt, um der "Hexenplage" Einhalt zu gebieten. Binnen vier Monaten verhaftete, folterte und verbrannte sein Wandergericht etwa 80 Frauen. Sie alle waren dem Inquisitor schutzlos ausgeliefert, weil ihre Ehemänner, allesamt Fischer, sich zu dieser Zeit auf See befanden. Die Dokumentation erinnert daran, dass der europaweit wütende Hexenglaube nicht nur ein Symptom der Glaubenskämpfe zwischen Protestanten und Katholiken im 16. und 17. Jahrhundert war. Darüber hinaus macht der Film auch transparent, welche Obsessionen die Dämonologie befeuerte. de Lancres detaillierte Schilderungen, die von Historikern kommentiert werden, verdeutlichen, was man über die unterschwelligen Motive der Hexenverfolgung längst ahnte. So missverstand der eifrige Inquisitor nicht nur heidnische Bräuche und Rituale im provinziellen Süden, die er als frevelhaft auffasste. Angetan hatte es ihm insbesondere die unbekümmerte Sinnlichkeit jener baskischen Frauen, die während der halbjährlichen Abwesenheit ihrer Männer eine weitgehende Selbstbestimmtheit genossen. Beinahe poetisch mutet deren Beschreibung an: "Ihr wallendes Haar gereicht ihnen zur Zierde. Vor allem, wenn die Sonnenstrahlen darauf fallen, glänzt es unvergleichlich". Diese Anziehungskraft wertet der Jurist de Lancre als untrüglichen Indizienbeweis. In seinen Augen verkörperten baskische Frauen "Fallen des Teufels". Unter der Folter mussten sie den Pakt mit dem Leibhaftigen gestehen. Wie diese Quälerei im Detail vor sich ging, wurde bereits im sogenannten Hexenhammer von 1486 präzise dargelegt. All das ist mehr oder weniger bekannt. So rekapituliert die Dokumentation ebenso, dass die vermeintlichen Hexen auch deswegen dämonisiert wurden, weil ihr Wissen über Geburtenkontrolle als magisch eingeschätzt wurde. Nach der Pest, die etwa ein Drittel der Bevölkerung Europas dahingerafft hatte, widersprach eine Geburtenkontrolle den Interessen der Kirche. Darüber hinaus konzentriert sich Thierys Dokumentation auf ein offenes Geheimnis. So arbeitet ihr Film heraus, dass de Lancres Hauptinteresse den verschiedenen Spielarten galt, in denen die vermeintlichen Hexen sich dem Teufel hingaben. Akribisch notierte er, welche Formen der Wollust sie dabei überkam. Hexenverfolgung wird so lesbar gemacht als Pornografie avant la lettre. Da dies alles nicht neu ist, legt Marie Thiery den Akzent auf die aufwendige Visualisierung. Dabei werden nicht nur spätmittelalterliche Illustrationen animiert. Um die Schilderungen von Zeitzeugen filmisch zu illustrieren, greift der Film zudem auf Cartoons zurück. Ins Auge springen vor allem viele Szenen, die wie Nachinszenierungen anmuten. Tatsächlich stammen sie aus dem - nicht mit Inserts kenntlich gemachten - Spielfilm "Tanz der Unschuldigen", in dem der spanisch-deutsche Darsteller Alex Brendemühl eine deutlich an de Lancre angelehnte Figur verkörpert. Bewegend ist die Schlusssequenz der Dokumentation, in der baskische Mädchen jenen Tanz aufführen, der den Inquisitor vor 400 Jahren so sehr aufwühlte. Geschätzte 60.000 Frauen kamen im Zuge der Hexenverfolgung qualvoll zu Tode. Da die meisten von ihnen unbekannt sind, geht jener Moment unter die Haut, in dem wenigstens einige dokumentierte Namen jener Frauen genannt werden, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Am Rande geht der Film auch auf jenen diffamierenden Begriff ein, mit dem das imaginierte nächtliche Treffen der Hexen mit dem Teufel bezeichnet wird. So leitet sich die Bezeichnung "Hexensabbat" vom jüdischen "Schabbat" (dem wöchentlichen Ruhetag) ab. Diese Bezeichnung wurde offenbar bewusst verwendet, um eine perverse Parodie auf jüdische Rituale darzustellen. Dass Historiker in dieser Verunglimpfung eine antisemitische Stereotype sehen, durch die Juden als Verbündete des Teufels diffamiert wurden, hätte der Film etwas expliziter machen können. Davon abgesehen gelingt Marie Thiery eine kurzweilige Historiendokumentation.