Berlin (KNA) Till Kleinert, 1980 geboren in Ostberlin, macht schon als Jugendlicher Animationsfilme mit Knete. Nach dem Abitur absolvierte er ein Praktikum an der Berliner Volksbühne und begann 2004 sein Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Für seinen Kurzfilm "Kokon" erhielt er 2009 die Goldene Lola. Seiner erster abendfüllender Horrorfilm "Der Samurai" erhält 2014 in Brüssel den Méliès d'Argent als bester europäischer fantastischer Film. Seitdem ist er in diesem Genre zuhause - etwa mit der deutschen Horror-Mystery-Serie "Hausen" beim Pay-TV-Sender Sky. Der KNA-Mediendienst hat Kleinert in Berlin bei der Serien-Messe "Seriesly" getroffen, wo der Autor und Regisseur zum Thema "Wie man Angst aufbaut, die bleibt" sprach. KNA-Mediendienst: Herr Kleinert, Sie gelten in Deutschland als DER Regisseur mit dem Fachgebiet Horror. Was unterscheidet Horror eigentlich von Genres wie Mystery oder Psychothriller? Till Kleinert: In der Praxis als Filmemacher bereitet mir der Versuch, das trennscharf voneinander abzugrenzen, eher Probleme, als weiterzuhelfen. Es gibt dazu zwar tolle wissenschaftliche Arbeiten, aber in der Kommunikation mit Redaktionen oder anderen potenziellen Mitstreiter*innen merkt man schnell, dass jeder etwas anderes unter den Begriffen versteht. MD: Ein Unterschied könnte darin bestehen, dass Horror gern mit Jumpscares und Monstern arbeitet, Mystery eher mit dem Unerklärlichen und Suspense. Kleinert: Für mich steht bei der Einordnung vor allem die Wirkung im Vordergrund. Wenn ich etwas als Horror empfinde, dann weil es bei mir ein diffuses, beinahe körperliches Gefühl der Beunruhigung und der Furcht erzeugt. Dahinter können, müssen aber keine übernatürlichen, unerklärlichen Phänomene in der Erzählung stehen. Wichtiger ist das, was sich im Kopf des Betrachters abspielt. MD: Horror ist also keine Frage des Senders, sondern Empfängers? Kleinert: Nicht nur, aber auch. Als Autor suche ich gezielt danach, was das Publikum als furchteinflößend empfinden könnte - das allerdings selbst im Horrorfilm nicht unbedingt fantastischen Ursprungs sein muss. Die Wirklichkeit ist mitunter erschreckender als die Fantasie. Und der wahre Horror besteht oftmals eher in seiner Andeutung als in der Ausübung. MD: Jemand, der sein Opfer mit einer Kettensäge in den Keller jagt, ist also nicht unbedingt gruseliger als das Wissen, es könnte jemand tun? Kleinert: Genau. Die ungute Ahnung, dass der irre Killer irgendwo lauert, ist für mich Horror, wenn er dann rauskommt, wird es zu Terror, der sich im visuellen Exzess entlädt. Wenn Jason am Freitag, den 13. aus der Ecke springt und sein Opfer zerhackt, ist man als Zuschauer so schnell wieder raus aus diesem Schreckensmoment wie man hineingeworfen wurde. MD: Auf dem Podium der Programm-Messe Seriesly Berlin erzählten Sie, wie diese Art Horror oder Terror Ihr Publikum übers Filmende hinaus, womöglich gar bis in den Schlaf verfolgt. Kleinert: In einer Serie greifen dafür andere Mechanismen als in einem Spielfilm, wo uns die Angst um Leib und Leben der Protagonisten mehr oder weniger ungebrochen über die gesamte Laufzeit tragen kann. Seriell lässt sich das nicht durchhalten, da die Logik des über mehrere Episoden oder sogar Staffeln gespannten Erzählens gebietet, dass zunächst nur unwichtigere Nebenfiguren in echter Gefahr schweben, während wir den Hauptfiguren bis ins Finale folgen. MD: Ausnahmen wie "The Walking Dead" oder "Game of Thrones" bestätigen die Regel... Kleinert: Die gönnen sich in der Tat das Privileg, Sympathieträger jederzeit ohne Vorwarnung blutig aus dem Spiel zu nehmen. Normalerweise gilt aber auch im Horror-Genre, dass man primär über die Verbindung mit den Figuren in die Welt einer Serie einsteigt. Man gewinnt sie lieb, begleitet sie durch komplexe persönliche Konflikte - und fürchtet dann um sie, wenn es ernst wird. Das ist wichtiger als oberflächliche Gruseleffekte. Deshalb stört mich als Zuschauer in Horror-Formaten auch, wenn uns das Grauen ohne jede Pause und Modulation durchgehend unter die Nase gerieben wird. MD: Wobei einer der Kritikpunkte an Ihrer Haunted-House-Serie "Hausen" darin bestand, dass nie die Sonne scheint. Dabei ist das Dunkel erst dann wirklich furchteinflößend, wenn es auf den Tag folgt. Kleinert: Das ist richtig. Normalerweise entwickle ich deshalb beunruhigende Situationen eher schleichend, aus zunächst alltäglich erscheinenden Umständen - bis irgendwann genug Irritationen aufgetreten sind, dass ein Kipppunkt in der Wahrnehmung entsteht. Wie ein Vexierbild, auf dessen dunkler Seite das Monströse lauert. Einer meiner Lieblingsfilme ist Bernhard Roses "Candyman's Fluch". Dessen Grusel entsteht nicht durch Gespenster, sondern in einem ganz realen, heruntergekommenen Neubauviertel, durch dessen labyrinthische Hausflure plötzlich ein allumfassender Schrecken weht. Wenn es gut komponiert ist, können sich die realen Ängste, die wir mit solchen Orten verbinden, peu à peu zur Ahnung eines größeren Horrors auftürmen. MD: Klingt, als hätten Sie persönlich Bezüge zu dieser Art ortsgebundenem Horror. Kleinert: "Hausen" ist in der Tat biografisch geprägt. Als Fünfjähriger bin ich mit meiner Mutter in einen 11-stöckigen Neubau in Hohenschönhausen gezogen, wo es damals noch nicht mal Bürgersteige gab. Die Wände waren ebenso dünn wie bei "Hausen". Ständig hat man Leute reden gehört, die man nie gesehen hat. Der Müllschlucker war wie ein Maul, durch das man dem Haus seine Abfälle zu fressen gegeben hat. Hinzu kommt, dass meine Mutter alleinerziehend und abends öfter auf Fortbildungen war. MD: Sie waren also allein in diesem Spukhaus? Kleinert: Ja, das war damals nicht unüblich. Und allein in diesem Neubaublock darauf zu warten, dass der Fahrstuhl anhält und Mama endlich aussteigt - von dieser Unruhe steckt einiges in "Hausen". Dieses Haus war wie ein Organismus, der als Kind ungeheuren Eindruck auf mich gemacht hat. Das spüre ich heute noch, wenn ich solche Häuser betrete. MD: Kommt man da als Filmemacher irgendwann auch wieder raus, oder werden Ihnen jetzt nur noch Gruselstoffe angeboten? Kleinert: Bislang hatte ich das Glück, meine Stoffe aus eigener Initiative entwickeln zu können. Wenn sie also zum Horror neigen, ist das ein selbst gewähltes Gefängnis. Dabei habe ich als Jugendlicher nicht mal gern Horrorfilme geguckt, im Gegenteil. Meine Mutter war nach der Wende in so einem Buchclub. Und immer wenn der Katalog kam, hatte ich Angst vor der Seite mit den VHS-Kassetten mit Freddy Kruegers Pizzagesicht. Schon damals habe ich mir das Schlimmstmögliche vorgestellt, was die Figur mit mir anstellen könnte. MD: Arbeitet der Horror-Regisseur in Ihnen womöglich kindliche Traumata auf? Kleinert: Ein Stück weit bestimmt. Sich mit Horror zu befassen, hat ja oft damit zu tun, sich seinen eigenen Ängsten zu stellen - und seien es rein hypothetische, fiktionale. Es heißt, wer seine Dämonen besiegen will, muss ihnen Namen und Gestalt geben. So ähnlich ist das für mich, wenn ich die teilweise beunruhigende Wirklichkeit um mich herum in Horror- oder Mystery-Stoffe umwandele. Das ist ein Weg, konstruktiv und lustvoll mit meinen Ängsten umzugehen.