Straßburg (KNA) Mit der Veröffentlichung sensibler amerikanischer Staatsgeheimnisse avancierte Julian Assange 2010 zu einem Popstar des anbrechenden Informationszeitalters. Doch schon bald wendete sich das Blatt. Um einem internationalen Haftbefehl wegen mutmaßlichen sexuellen Fehlverhaltens gegenüber zweier Frauen zu entgehen - den die US-Behörden nutzten, um ihn wegen Spionage anzuklagen -, verschanzte sich der Wikileaks-Gründer sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London. Ein Jahr nach seiner Freilassung aus einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, in dem er weitere fünf Jahre verbrachte, zieht nun eine Arte-Dokumentation Bilanz: Was ist von Assanges radikaler Verfechtung von Informationsfreiheit geblieben? In seiner 90-minütigen Dokumentation schlägt der französische Journalist und Filmemacher Etienne Huver einen weiten Bogen von Assanges Anfängen in Australien über seine ersten Erfolge als investigativer Journalist in Island und seinen großen Coup als Whistleblower bis hin zum quälend langen Exil in einem winzigen Büro in London. Zu Wort kommen neben der italienischen Journalistin Stefania Maurizi, die viele Jahre über Assange recherchierte, zahlreiche Experten und Zeitzeugen, die den Fall einordnen. Der Film konzentriert sich auf die Zeit in der ecuadorianischen Botschaft. Ein dort angestellter Diplomat, der tagtäglich Rücken an Rücken mit Assange am Schreibtisch saß, vermittelt neue Eindrücke aus dem Alltag in dieser klaustrophobischen Situation. Ein ecuadorianischer Agent, der für die US-Amerikaner arbeitete, gibt unterdessen Einblicke in sein schmutziges Handwerk. Wie er beispielsweise in jedem Winkel der Botschaft Kameras anbrachte, um jede noch so private Regung von Assange zu registrieren. Ja, er habe sogar Assanges Frau Stella Moris persönlich kontaktiert, um so herauszufinden, ob Assange der leibliche Vater jener beiden Kinder ist, die während des Exils in der Botschaft gezeugt wurden. Einige Präzisierungen vermittelt der Film über die politisch motivierte Rolle der ecuadorianischen Regierung in dieser geopolitischen Scharade. "WikiLeaks hatte noch mehr Enthüllungen auf Lager", so Fidel Narvaez, der als damaliger Konsul in der Londoner Botschaft maßgeblich beteiligt waren, dass Assange politisches Asyl gewährt wurde. Und zwar aus einem triftigen Grund: "Ecuador wollte die gesamten Informationen haben. Ich konnte Julian Assange kontaktieren, der mir grünes Licht gab. So hat alles angefangen". Wie im biblischen Kampf David gegen Goliath wurde die winzige Botschaft von Ecuador "zum Symbol des weltweiten Widerstands" gegen die böse US-Hegemonie. Assange, so die Kernbotschaft der Dokumentation, "führte die Welt hinter die dunklen Kulissen der Macht". Allerdings offenbart der Film hier auch Defizite. So ist beispielsweise bekannt, dass die WikiLeaks-Enthüllungen unter anderem sensible Erkenntnisse über Verhörmethoden der Guantanamo-Häftlinge sowie Überwachungs- und Cyber-Operationen der CIA lieferten. Fakt ist jedoch, dass die geleakten "Collateral Murder"-Videos aufgrund ihrer visuellen Beweiskraft in der Darstellung schockierender Kriegsverbrechen in der Weltöffentlichkeit eine ungleich intensivere politische Sprengkraft entfalteten. Insofern ist es problematisch, dass der Film diese Videos nur beiläufig erwähnt. Im Gegensatz zur Dokumentation "Julian Assange und die dunklen Geheimnisse des Krieges" von Can Dündar und Sarah Mabrouk wird die komplexe Gesamtsituation, unter der diese Videos entstanden, nur vage eingeordnet. Das im Film zugespitzte Bild eines Hackers, "der das makellose Storytelling der größten Weltmacht entlarvte", zeigt somit einige Unschärfen. In der Perspektive, die die Doku bevorzugt, ist Assange ein Held, der die Welt ins Informationszeitalter führte. Zumindest ansatzweise beleuchtet Etienne Huver aber auch andere Seiten des Whistleblowers. So betont der - inzwischen zu acht Jahren Haft wegen Bestechlichkeit verurteilte - Ex-Präsident von Ecuador, Rafael Correa, ausdrücklich: "Wir stellten ihm das Internet ab", denn Assange "war eindeutiger Trump-Befürworter". Streiflichter auf die Anfänge des späteren Whistleblowers in der Computerszene von Melbourne vervollständigen den Blick auf die labile Persönlichkeit des Hackers. So weist seine frühere Mitstreiterin Birgitta Jónsdóttir darauf hin, dass in diesen Communitys der Anteil "neurodivergenter Menschen" sehr hoch sei. Ihrer Ansicht nach trifft die Diagnose "Asperger Autismus" auch auf Assange zu: Dies würde seinen "Tunnelblick" erklären. Auch an der Schuld des Whistleblowers - dem sexuelles Fehlverhalten gegenüber den beiden Schwedinnen Anna Ardi und Sofia Wilén vorgeworfen wurde - lässt die Aktivistin keinen Zweifel aufkommen. Natürlich habe man, so ein amerikanischer Diplomat, das alles benutzt, "aber erfunden hat man nichts". Zu guter Letzt habe Assange, so Jónsdóttirs Fazit, auch dem Projekt WikiLeaks geschadet, indem er sich selbst zu sehr in den Vordergrund drängte. Unter dem Strich erweist sich Julian Assange als ziemlich unbequemer Held. Dies zeigt Huvers vielschichtiger, informativer Film, der trotz einiger Schwächen indirekt verdeutlicht, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch lange nicht gesprochen ist.