Sîgfrid, der wackêre recke - RTL+ schickt den deutschesten aller Helden ins Drachenblutbad

Von Jan Freitag (KNA)

SERIE - Die Nibelungen - oft verfilmt, noch öfter missbraucht. Als RTL+ eine Neuinterpretation angekündigte, war also Skepsis geboten. Doch der Sechsteiler ist besser als erwartet gelungen undbalanciert Sage und Moderne gekonnt aus.

| KNA Mediendienst

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"Die Nibelungen"

Foto: Constantin Film/RTL/KNA

Bonn (KNA) Und als Siegfried den Drachen getötet hatte, da badete der blonde Krieger im Blute des erlegten Untiers, worauf die Haut undurchdringlich wurde, sein Geist unbesiegbar, und als er sich dessen gewahr wurde, reckte Siegried die Arme und ließ den Odenwald mit einem Schrei erzittern, auf dass Freund oder Feind, Burgunder wie Hunnen vor Schreck erzitterten - so geht die Sage des Nibelungenliedes, so interpretiert es tausend Jahre später RTL+, so ist es also, mal wieder, nun ja, heillos aufgeblasen. Im Originaltext nämlich steht, "Sîgfrid hiez der wackêre recke, dô er den drac getôtet hât, dô bas in blôde sich den liut, daz sîn rehte hürne wurde". Und wem das Mittelhochdeutsche vormoderner Zeiten gerade kurz entfallen ist: Siegfried tötet Drache. Siegfried taucht ins Blut. Siegfried wird gepanzert. Fertig ist der größte aller Mythen auf acht Zeilen, die nun auch RTL+ mit einer Fiktion verfüllt wie einst Fritz Lang, Harald Reinl, Uli Edel, um nur die bekanntesten zu nennen. Jetzt also schicken Cyrill Boss und Philipp Stennert den deutschesten aller Helden ins Drachenblutbad. Wenn Jannis Niewöhner seinen Astralleib daraus erhebt, die Schwingen weitet wie ein Phönix aus der Asche und von dort aus in den Kampf um Königstöchter, Königreiche, und Königsmörder zieht, ist also alles wie immer: Folkloristisches Pathos, verteilt auf 89 Minuten "Sigfrido" aus italienischer Produktion aus dem Jahr 1958 bis rauf auf satte 15 Stunden "Ring der Nibelungen" rund 100 Jahre zuvor. RTL goes Richard Wagner also. Klischeekiste auf, Vorurteile rein. Wenn es mal so einfach wäre. Bevor die beiden Regisseure den germanischen Initiationsritus schlechthin zum Leben erweckt haben, waren sie nämlich auch für die ersten zwei Staffeln "Der Pass" verantwortlich. Abgründige Mystery-Thriller von so imposanter Bild- und Tonsprache, dass es Fernsehpreise, Einschaltquoten, Kritikerlob regnete wie sonst selten aus deutscher Herstellung. Ihr Erfolgsgeheimnis: eine kunstvolle Form melodramatischer Bodenständigkeit, die auch den "Kampf der Königreiche" prägt, wie ihre Nibelungen ortsüblich bevormundend untertitelt werden. Als der Burgunderkönig Dankrat (Jörg Hartmann) im ersten von sechs Teilen à 45 Minuten stirbt, hinterlässt er seinem Stammhalter Gunter (Dominic Marcus Singer) ein schwieriges Erbe. Von außen wie innen bedroht, muss der Thronfolger Bündnisse schmieden, ist dafür allerdings zu blutleer, linkisch und unerfahren. Nur gut, dass er Dankrats Ziehsohn, den schweigsamen Waffenmeister Hagen von Tronje (Gijs Naber), an seiner Seite weiß. Gemeinsam trotzen sie Römern und Hunnen, Verrätern und Verbündeten - bis einer, der von all dem etwas in sich trägt, vor den Wormser Stadtmauern kampiert: Siegfried von Xanthen. Bei Wagner, Reinl, Lang und Edel ist dieser Siegfried ein Bilderbuchgermane mit moralisch tadelloser Gesinnung als Gegenpol zum grobschlächtigen Strippenzieher Hagen. Boss und Stennert nehmen hier nun einen Rollentausch vor. Bei ihnen ist Siegfried ein versoffener Hurenbock ohne Ethos, Manieren und Impulskontrolle, den einzig der seelisch und körperlich vernarbte Hagen von Tronje zur Raison bringen kann. Ausgedacht hatte sich diesen Mentalitätswechsel der Fantasy-Fabrikant Wolfgang Holbein. Als das Regie-Duo seinen Roman "Hagen von Tronje" voriges Jahr zum Kinofilm machte, blieb allerdings nicht genug Zeit, ihn glaubhaft zu machen. Auf doppelter Serienlänge allerdings gelingt "Kampf der Königreiche" am Bildschirm nun das, was bei "Hagen von Tronje" auf der Kinoleinwand irgendwie halbherzig blieb: Ein Sittengemälde spätantiker Intrigen zu Zeiten der Völkerwanderung, das zugleich von einer hinreißenden Dreiecksbeziehung handelt. Die zwei Hauptfiguren ringen nämlich nicht nur gemeinsam um die Macht im Burgunderland, sondern gegeneinander um Gunters Schwester Kriemhild. Und wie die Berliner Theaterschauspielerin Lilja van der Zwaag deren standesgemäße Selbstermächtigung verkörpert - das ist nicht nur wegen ihrer unprätentiösen Optik sehenswert. Bis auf den gereiften Teenie-Star Jannis Niewöhner wurden ohnehin fast alle Protagonisten ein Stück abseits äußerlicher Kriterien gecastet. Und auch er muss zwar ein bisschen zu bildgewaltig im Drachenblut baden; wie aber Siegfried das mittelalterliche Epos zwischen Überlieferung und Moderne ausbalanciert, ist ein gelungener Ritt auf der Rasierklinge namens Historytainment. Vor 1500 Jahren hat zwar niemand "durchgedreht" oder "schade" gesagt. Und ob siegreiche Feldherren damals schon Bäder auf Händen wogender Massen - 2025 als Stagediving bekannt - genommen haben, dürfte zumindest fraglich sein. Davon abgesehen aber schafft es vor allem Jannis Niewöhner spielend, längst vergangene Epochen zeitgemäß zu machen, ohne sich komplett an der geschichtlichen Wirklichkeit zu vergehen wie die Wanderhuren und Pilgerinnen zuvor. Natürlich machen auch seine "Nibelungen" Kompromisse. Gefochten wird oft für die Galerie, gehurt mit telegenem Sex-Appeal - und Kriegerinnen wie Damira (Emma Preisendanz) dienen eher der Publikumsakquise als dramaturgischer Notwendigkeit. Darüber hinaus aber gelingt RTL+ etwas Unerwartetes: Vorurteile, die man gegenüber dem Sender und seinem Sagenstoff haben könnte, in einer Mischung aus "Game of Thrones" und "Jenseits von Eden" unterhaltsam zu umschiffen. Darauf ein Drachenblutbad.

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