Hannover (KNA) Falls es einen Inbegriff bundesdeutschen Mittelmaßes gibt, dann ist es - bitte nicht missverstehen, liebe Niedersachsen - Hannover. Relevanz und Größenordnung, Bausubstanz und Bevölkerungsdichte, Fußballclub und Kulturangebot: fast alles an der Leine wirkt auf tiefenentspannte Art normal. Mitunter vielleicht ein bisschen zu normal. Findet zumindest der Ministerpräsident und freut sich daher umso mehr über Feiertage wie den gestrigen unweit vom eigenen Amtssitz. "So ein Abend", sagt - nein: frohlockt Olaf Lies (SPD), umringt im Blitzlichtgewitter einer Meute Fotografen, "bringt mal ein bisschen Glamour in unsere schöne Landeshauptstadt". Der Anlass seiner lokalpatriotischen Euphorie steht überlebensgroß auf Plakaten, die den Kuppelsaal des Hannover Congress Centrums, kurz HCC, bis unters prächtige Dach zieren: "Schwarzes Gold", schräg darunter ein Cowgirl mit Gewehr und grimmigem Blick, der so gar nichts mit dem Gesichtsausdruck seiner Darstellerin fünf Meter vom Landesvater entfernt zu tun hat. Kein Wunder: Mit ihrer Hauptrolle in der sechsteiligen ARD-Serie arbeitet sich Harriet Herbig-Matten noch ein Stück weiter empor zur Beletage zugkräftiger Fernsehstars. Wie zum Beweis stiehlt sie einer Riege mindestens ebenso prominenter Kollegen spielend die Show. Tom Wlaschiha und Jessica Schwarz, Aaron Hilmer und Lena Urzendowsky, Slavko Popadic und Paula Kober - die bestens gebuchte, vielfach preisgekrönte A-Klasse der hiesigen Schauspielkunst. Und mittendrin Harriet Herbig-Matten, seit ihrem Welterfolg "Maxton Hall" auf Amazon Prime nicht nur hierzulande in aller Munde: Kein Wunder, dass Ministerpräsident Lies fast so entzückt agiert wie mindestens zwei Dutzend Boulevardjournalisten mit oder ohne Kamera ringsum. Ob der norddeutsche Spätwestern um den ersten (und einzigen) Ölboom in der Lüneburger Heide vor rund 125 Jahren ebenso kollektives Frohlocken rechtfertigt, sei mal dahingestellt. Das Drehbuch von Headautor Justin Koch, der vergleichsweise unerkannt über den roten Teppich spazieren darf, in Kürze: Kurz bevor die bettelarme Bauerstochter Johanna (Herbig-Matten) nach dem mysteriösen Tod ihres Vaters (Peter Schneider) ums Überleben kämpft, stößt der skrupellose Dorfpatriarch Pape (Wlaschiha) unweit ihres kleinen Waldes auf Öl und legt sich daraufhin mit einer jungen Frau an, in die seit Kindestagen auch noch sein gutmütiger Sohn Richard (Hilmer) verliebt ist. Sechsmal 45 Minuten lang entspinnt sich also ein aufwendig kostümiertes Intrigantenstadl an der Grenze von "Let There Be Blood" zu "Romeo und Julia", das praktisch alle Standards geschichtlich grundierter Fiktionen enthält: Hass und Liebe wiederkehrender Archetypen mit Spuren gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, vor allem weiblicher Selbstermächtigung. Ob dieses stereotype Historytainment den Rummel von Hannover rechtfertigt - darüber können sich Interessierte kurz vor Weihnachten ein eigenes Bild in der ARD-Mediathek machen. "Sendestart" ist am 22. Dezember, linear soll "Schwarzes Gold" am 29.12. im Ersten laufen. Unweit der Lüneburger Heide jedoch, wo viele Außenaufnahmen dieser NDR-Serie in US-amerikanischer Koproduktion entstanden sind, herrscht schon jetzt Gewissheit: Es lohnt sich! Deshalb platzt das HCC beim Defilee der Beteiligten auch aus allen Nähten. Deshalb ist Hannovers Hautevolee förmlich bis zum letzten C-Promi Richtung Messegelände gepilgert. Deshalb lacht der glänzend gelaunte Ministerpräsident in nahezu jedes Objektiv. Deshalb kriegt Frank Beckmann über Stunden sein NDR-Programmchefgrinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Und hätte der zwölffach oscarnominierte Soundtrack-Komponist Hans Zimmer nicht krankheitsbedingt abgesagt - der Kuppelsaal wäre vor Stolz vermutlich übergekocht. Für gut vier Stunden "Schwarzes Gold" und eine ähnlich lange Premierenparty bringt die Serie schließlich Glanz ins autogerechte Hannover, der Stadt mit dem größten Stadtwald der Republik im Herzen. Und als Harriet Herbig-Matten dort minutenlang Duckface-Selfies mit herbeigeströmten Fans der Generationen Z bis Alpha macht, zeigt die 22-Jährige obendrein, wie anschlussfähig öffentlich-rechtliche Fiktion ist, falls sie sich personell richtig verjüngt. So gesehen macht die Mittelmaßmetropole Hoffnung darauf, dass ARD und ZDF noch Jüngere erreichen. "Ein bisschen Eigen-PR muss schon erlaubt sein", fügt Ministerpräsident Lies seiner kleinen Heimat-Eloge noch hinzu. Und meint damit gleich alles: Niedersachsen, dessen Kapitale und den neuen Schwung ARD-Historytainment, die beiden für ein paar Herbststunden Glamour verleiht.