Wien (KNA) Österreich hat ein neues Onlinemedium. Nach über einem Jahr Kampagne und Mitgliedersuche ist am 4. November das Projekt Jetzt gestartet. Auf der Website sowie in der App soll es einen morgendlichen Nachrichtenüberblick sowie täglich ein bis zwei größere Texte geben. Außerdem werden alle Texte vom jeweiligen Autor selbst als Audio vorgelesen. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten war bis zuletzt jedoch nichts bekannt. Die rund 5.900 "Mitglieder" - so heißen die Abonnenten bei Jetzt - haben die Katze im Sack gekauft. An den Start ging das Projekt mit zwei Texten: Einer Recherche unter Beteiligung des Investigativjournalisten Christo Grozev über einen mutmaßlichen russischen Agenten, der mit gefälschtem Pass Techniken zur Aufbereitung von Trinkwasser ausspioniert haben soll und deswegen vom österreichischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Und einer Abhandlung zur Frage: "Lohnt es sich, Kinder zu kriegen"? Der Text von Michalis Pantelouris, der unter anderem auch für das "SZ-Magazin" schreibt, bietet keine wirklich neuen Perspektiven, ist aber leicht konsumierbare Kost. Dienstagfrüh erschien zudem der erste "Morgenüberblick", der künftig von Montag bis Freitag den Start in den Tag erleichtern soll. In der ersten Ausgabe gibt es Eigenwerbung, gefolgt von News über Schwierigkeiten am österreichischen Arbeitsmarkt bis hin zur Bürgermeisterwahl in New York - keine Überraschungen also. Ob dieses Angebot die derzeit 5.900 zahlenden Mitglieder - Kostenpunkt: 18 Euro pro Monat - dauerhaft überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Österreich gilt als hochkonzentrierter und schwieriger Medienmarkt. Kaum eine Neugründung konnte hier bislang reüssieren. Die Zahlungsbereitschaft für Online-Abos ist obendrein im Vergleich zu anderen Ländern besonders gering, wie der Digital News Report des Reuters Institute der Universität Oxford belegt. Dies liegt unter anderem an der Stärke der altgedienten Medienhäuser, von ORF über Kronen Zeitung bis hin zu den starken Bundesländerzeitungen. Aber auch die im Vergleich zu Deutschland üppigen staatlichen Förderungen spielen eine Rolle. Denn sie bevorzugen klar die etablierten Player im Markt. Chefredakteurin von Jetzt ist Hatice Akyün, die zuvor als freie Journalistin unter anderem für den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben hat und Kolumnistin beim Berliner "Tagesspiegel" ist. Mit dem Projekt Jetzt wolle man "Orientierung bieten und ein sicherer medialer Hafen sein", sagt Akyün. Wichtig sei dabei der Austausch mit der Community - vor allem im Kommentarbereich unter jedem Artikel, wo Klarnamenpflicht herrscht. "Journalistische Haltung, aber Mut zum Persönlichen", beschreibt Geschäftsführer und Gründer Florian Novak das Konzept von Jetzt. Man habe "keine Chronistenpflicht", sondern wolle eigene Schwerpunkte setzen, sagt Novak, der 1997 das Wiener Lokalradio "Radio Energy Vienna" und später den Sender "Lounge FM" gegründet hat. Novak und Akyün betonen die Rolle von Audio für Jetzt - alle Texte sollen neben der schriftlichen Form auch noch "erzählt, nicht nur vorgelesen" werden. Erklärtes Vorbild ist das dänische Online-Magazin Zetland, das schon 2012 nach demselben Konzept gegründet wurde und mittlerweile mehr als 50.000 Mitglieder hat. Als "Technologiepartner" von Zetland bezahlt Jetzt eine Art Franchisegebühr für den Österreich-Ableger der App. Zum Start stehen alle Texte hinter einer Paywall. Von zahlenden Mitgliedern geteilte Artikel sollen jedoch auch von anderen gelesen und angehört werden können. Die zwölfköpfige Jetzt-Redaktion sitzt im Wiener Funkhaus, wo bis vor wenigen Jahren die ORF-Radios Ö1 und FM4 ansässig waren. Sich ausgerechnet hier anzusiedeln, kann als selbstbewusstes Statement verstanden werden. Kämpferisch war auch die Ansage zum Start der Jetzt-Kampagne. "Wir sind überzeugt, dass Österreich dieses Medium braucht, denn seriöser Journalismus ist das Fundament unserer Demokratie. Wenn es diesen seriösen Journalismus nicht mehr gibt, muss man ihn neu erfinden", hieß es zum Anfang der Mitglieder-Werbephase. Die ersten Monate waren allerdings holprig, die Mitgliedersuche verlief zäh - trotz unterstützender Werbung zahlreicher Prominenter. Auch viel Medien haben von Anfang an über die neue Konkurrenz berichtet, und das überwiegend wohlwollend-neugierig. Sogar die auflagenstarke "Kronen Zeitung" - allerdings im Zusammenhang mit dem liberalen Politiker Sepp Schellhorn, der ebenfalls für Jetzt warb. Da begannen viele Sympathisanten zu zweifeln, ob Unabhängigkeit wirklich so groß geschrieben wird wie behauptet. Immerhin: Hunderttausende erfuhren so von der Existenz des neuen Mediums. Trotz der Aufmerksamkeit wäre die monatelange Mitgliederkampagne beinahe gescheitert und musste verlängert werden, um das selbstgesteckte Ziel von 5.000 Abonnenten zu erreichen. Als diese Marke zunächst verfehlt wurde, ließ man die schon akquirierten Mitglieder abstimmen, ob die Kampagne sich noch mehr Zeit nehmen solle. Die Mehrheit votierte dafür, die Kampagne wurde verlängert und das Ziel nach einigen zusätzlichen Werbe-Wochen doch noch erreicht. Bei der lautstarken Eigenwerbung verstieg sich Jetzt allerdings auch zu fragwürdigen Methoden: Geworben wurde mit einem Handyscreen-Sujet, das einen Text von Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum, auf Deutsch übersetzt, als eigenen ausgab - versehen aber nicht mit ihrem Namen, sondern dem eines "Lukas Hofer". Als "Profil"-Chefredakteurin Anna Thalhammer dies aufdeckte, reagierte das neue Medium patzig: "Hätte uns auffallen sollen. Bitte tun Sie aber nicht so, als hätte Jetzt ein Plagiat publiziert." Schwierig gestaltete sich auch die Suche nach einer Chefredakteurin. Im Januar 2025 hieß es zunächst, dass Elisalex Henckel-Donnersmarck die Redaktion anführen werde. Sie war, nach Stationen bei "Welt" und "NZZ", jahrelang Chefredakteurin des kleinen, aber anerkannten Wiener Monatsmagazins "Datum". Innerhalb der Medienbubble galt die Personalie als Coup. Im Juli wurde dann aber bekannt, dass sich Henckel-Donnersmarck aufgrund "unterschiedlicher Einschätzungen" mit den Machern vom Projekt zurückgezogen hat. Erneut wurde monatelang nach einer Chefredaktion gesucht, bevor Ende September Akyün präsentiert wurde, die für den Job eigens von Deutschland nach Wien zog. Laut eigenen Angaben erhält Jetzt zwar keine klassische Presseförderung, aber eine Förderung der Stadt Wien. Auch anderen Förderungen zeigte sich Geschäftsführer Novak aufgeschlossen. Langfristig will sich das neue Medium aber rein über zahlende Mitglieder finanzieren. "Die Redaktion muss wachsen, um den Workload zu stemmen", sagt Novak. Die 5.000 Mitglieder zum Start seien dabei bloß das Fundament. Ob Jetzt langfristig bestehen kann, werden wohl schon die kommenden Wochen und Monate zeigen.