Berlin (KNA) Die Hubert Burda Media ist ohne Hubert Burda nicht denkbar - aber genau so wenig ohne Philipp Welte. Seit über 30 Jahren ist der gelernte Zeitungsjournalist und Verlagsmanager - nur unterbrochen durch ein kurzes Intermezzo bei Springer von 2006 bis 2008 - für den Medienkonzern tätig. Seit Ende 2008 sitzt er im Burda-Vorstand, 2022 übernahm er auch den Vorsitz des Medienverbands der Freien Presse (MVFP), in dem vor allem Zeitschriftenverlage organisiert sind. Auch das hat Tradition - von 1997 bis 2016 führte Hubert Burda die Vorgänger-Organisation Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst spricht Welte über die schwierige Lage der Presse in Deutschland, das Verhältnis zu den Öffentlich-Rechtlichen und Googles Herrschaft über das Internet. KNA-Mediendienst: Herr Welte, Sie gelten als Mahner und Warner im Mediensystem. Worin bestehen für Sie aktuell die größten Herausforderungen? Philipp Welte: Wir erleben unser Land in einer bedrohlich werdenden Schieflage. Zwei Drittel der Menschen sind unzufrieden mit der Arbeit der in Berlin Regierenden, fast jeder fünfte Deutsche glaubt, dass wir das Land gegen die Wand fahren, und stärkste politische Kraft ist eine rechtsextreme Partei, die in den sozialen Netzwerken massiv agitiert. Das sollte uns als Gesellschaft alarmieren. MD: Woher kommt denn diese Haltung, dieses Gefühl? Beim "Experience Day" Ihres Verbands wurde in einem der Vorträge eine interessante Rechnung aufgemacht. Danach sagen 85 Prozent der Menschen bei Umfragen, ihnen und ihren Familien gehe es gut. Gleichzeitig sehen sie Deutschland an sich in fast gleicher Größenordnung am Abgrund. Welte: Eine wesentliche Quelle der Verunsicherung der Menschen ist die Überflutung unserer Gesellschaft mit manipulierender Desinformation in den sozialen Massenmedien der großen Tech-Monopolisten. Und deren Eigentümer haben sich unmittelbar nach der Wahl von Donald Trump endgültig vom Grundprinzip des Journalismus verabschiedet, von der Überprüfbarkeit der Fakten. Dass ungeachtet dieser offensiv proklamierten Abkehr von der Verlässlichkeit der publizierten Inhalte über die Hälfte der Werbeinvestitionen in Deutschland genau dort landet, ist beunruhigend. MD: Haben klassische Medien hier nicht auch eine gewisse Mitschuld? Viele wenden die gleichen Mechanismen auch bei sich an und betreiben online Clickbaiting. Welte: Ich erlebe jeden Tag, mit welcher Energie die Verlage mit ihren journalistischen Inhalten, egal ob analog oder digital verbreitet, ihrem Auftrag gerecht werden, Menschen zuverlässig und verantwortungsbewusst zu informieren. Von den 36.000 festangestellten Redakteurinnen und Redakteuren in Deutschland arbeiten zwei Drittel für die Presseverlage, nicht für den öffentlich-rechtlichen Medienkomplex und nicht für Google, Mark Zuckerberg oder Elon Musk. Wir nehmen die Verantwortung, die uns der Artikel 5 des Grundgesetzes gegeben hat, sehr ernst und sehen unsere Aufgabe darin, die verlässliche Grundlage für gesellschaftlichen Diskurs und die freie Meinungsbildung zu schaffen. Wir sind Teil der informierenden Infrastruktur unserer Demokratie, und das ist das Gegenteil von dem, was wir in den sozialen Massenmedien erleben. MD: Was erwarten Sie hier von der deutschen Politik? Schon die frühere Regierung hatte sich bestimmte Themen wie Zustell- und Presseförderung vorgenommen, davon aber nichts umgesetzt. Haben Sie Hoffnung, dass es dieses Mal besser wird? Welte: Wer keine Hoffnung hat, sollte sich von der Politik fernhalten. Ich setze darauf, dass die Regierenden endlich verstehen, dass unsere Verfassung nicht nur uns den Auftrag gibt, Menschen zu informieren, sondern dass sie auch die Politik in die Pflicht nimmt, dafür Sorge zu tragen, dass die in der Verfassung festgeschriebene Institution der freien Presse erhalten bleibt. Wer diesen Kontext nicht begreift, muss sich die provokante Frage stellen lassen: Braucht es diesen Artikel 5 des Grundgesetzes eigentlich noch - oder kann der weg? Braucht es die freie Presse noch - oder kann die weg? Genau diese Diskussion müssen wir doch jetzt führen angesichts der zunehmenden Entgrenzung unserer politischen Landschaft an den extremen Rändern. Und die Zeit dafür ist reif, denn die wirtschaftliche Situation der freien Presse ist extrem angespannt. MD: Wobei die Entwicklung in Deutschland längst nicht so drastisch wie anderswo ist. Welte: Ganze Verlage verschwinden von der Landkarte. Der jahrzehntelang größte und stolzeste Zeitschriftenverlag der Welt, Time Inc., hat 2018 einfach aufgehört zu existieren. Das war eine Ikone des Magazinjournalismus. Aber auch dieses Unternehmen hat den brutalen Kampf um Reichweiten und Werbeerlöse in der digitalen Welt nicht überstanden. MD: Sie arbeiten für den Burda-Verlag, der sich selbst immer als Vorreiter in Sachen Digitalisierung gesehen hat. Ist der auch vom Verschwinden bedroht? Welte: Ganz und gar nicht, wir reden über einen kerngesunden Verlag. Ich habe das große Glück, seit 1994 für Hubert Burda zu arbeiten, einem der Pioniere des Aufbruchs unserer Branche in die digitale Welt. Am 1. Juni 1994 hat er Europe Online gegründet - das erste journalistische Angebot im Internet in Deutschland, das war der Beginn der Digitalisierung unserer Branche. Seit über 30 Jahren verfolgen wir alle in der Welt der Verlage das Ziel, mit unseren Marken und unseren Inhalten auch in der digitalen Welt ein nachhaltig solides wirtschaftliches Fundament zu finden. MD: Und ist es gelungen? Welte: In den letzten zwei Dekaden ist sehr klar geworden, dass Google nicht einfach nur eine Plattform ist, sondern im Grunde die Infrastruktur des Internets und als solche weitgehend die Wertschöpfung im Internet kontrolliert. Wer also für seine digitalen Angebote Reichweite braucht, muss sich dem Regime von Google unterwerfen, und damit wurde "Search Engine Optimization" zur Überlebensformel. Aber diesen epischen Deal - Inhalte schaffen Reichweite, Reichweite schafft Erlöse - hat Google jetzt aufgekündigt. Google ist keine Suchmaschine mehr, sie wird durch Künstliche Intelligenz zur Antwortmaschine. MD: Sie meinen die KI-Antworten bei der Google-Suche. Welte: Ja, und das gilt ja nicht nur für Google, sondern genauso für Perplexity oder ChatGPT. Die KI liefert den Menschen Antworten, die zu einem erheblichen Teil auf den journalistischen Inhalten der Verlage und anderer Medien basieren, und dadurch wird unsere Herausforderung, den freien Journalismus auch in der digitalen Welt marktwirtschaftlich zu finanzieren, immer größer. Die Verlage haben über Jahrzehnte hinweg Milliarden investiert in die digitale Dimension ihrer Marken und ihrer journalistischen Angebote. Aber bis jetzt haben wir nicht mal eine robuste rechtliche Handhabe, um unsere Inhalte urheberrechtlich zu schützen. MD: Was meinen Sie genau? Welte: Wir werden 24 Stunden am Tag von Crawlern bestohlen, und unsere Inhalte werden dann von den KI-Plattformen durch den Windkanal geschoben und wieder auf den Markt gebracht werden - und das meist ohne klare Kennzeichnung der eigentlichen Quelle. MD: Was erwarten Sie hier von der deutschen und der europäischen Politik konkret? Welte: Ich erwarte, dass die politischen Akteure endlich verstehen, dass KI-Unternehmen die Geschäftsmodelle des marktwirtschaftlich finanzierten Journalismus substanziell bedrohen. Konkret brauchen wir harte Regeln im Urheberrecht, im Verfügungsrecht, im Vergütungsrecht, die uns gegenüber den Large-Language-Modellen wieder handlungsfähig machen. Und die Politik muss sich gleichzeitig dringend damit befassen, dass die sozialen Massenmedien manipulative Maschinen sind, die nicht nach journalistischen Prinzipien informieren, sondern ausschließlich nach dem Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie optimiert sind. MD: Sie appellieren hier an Parteien, die mit der digitalen Kommunikation und den Funktionsweisen von Social Media oft selbst noch fremdeln. Ganz im Gegensatz zur AfD... Welte: Ja, es gibt da das eine oder andere Defizit. Die AfD bespielt die sozialen Massenmedien mit einer unglaublichen Effizienz und Eloquenz, und die extremen politischen Kräfte haben viel früher begriffen, wie digitale Manipulation funktioniert. Eine ganz aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Algorithmen Videos von Parteien an den politischen Rändern häufiger ausspielen, während Beiträge der politischen Mitte seltener in den Social-Media-Feeds erscheinen. Selbst wenn Parteien der Mitte mittlerweile häufiger posten als etwa die AfD oder Die Linke, sind sie in den Feeds weniger präsent. MD: Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Welte: Das ist hochgradig alarmierend, denn Algorithmen bestimmen mittlerweile den Ausgang von Wahlen und zersetzen unser System von innen. Die demokratischen Parteien müssen begreifen, dass das Wertesystem, für das sie stehen, also unsere liberale, pluralistische Demokratie, ernsthaft in Gefahr ist. Deshalb suchen wir den Dialog. Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über diese Bedrohung, die von den nicht kontrollierbaren Massenmedien ausgeht. MD: Sehen Sie schon Licht am Horizont? Welte: Wir stoßen auf viel Verständnis dort, wo tatsächlich Medienpolitik gemacht und verstanden wird: in den Ländern, vor allem in Nordrhein-Westfalen, in Bayern, in Hamburg. MD: Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat kürzlich die EU kritisiert, dass sie eingeknickt sei und zum Beispiel der AI-Act und andere EU-Gesetze durch das Lobbying der großen Tech-Firmen verwässert wurden. Haben Sie denn die Hoffnung, dass die Politik sich hier künftig mehr traut? US-Präsident Donald Trump droht ja Staaten ganz offen, wenn diese die Macht der großen Tech-Konzerne aus den USA beschränken wollen. Welte: Die nationalen Regierungen in Europa sind im Umgang mit Big Tech nicht mutig und fürchten die Zoll-Keule von Donald Trump. Deshalb ist es wichtig, dass wir als publizistische Branchen unseren Dialog mit der Politik in Berlin und Brüssel intensiver führen. Habe ich große Hoffnung, dass hier schnell etwas Substanzielles passiert? Ich setze auf die Macht der Erkenntnis. MD: Rechnen Sie damit, dass die von Medienstaatsminister Wolfram Weimer geplante Digitalabgabe kommt? Das kleine Österreich hat es ja geschafft. Welte: Es wird nicht einfach, denn die Bundesregierung muss sich natürlich fragen, wie sich eine Digitalabgabe auf unsere wirtschaftspolitischen Beziehungen zu den USA auswirken würde. MD: Immerhin ist Herr Weimer nicht mehr ganz allein unterwegs, NRW-Medienminister Nathanael Liminski (CDU) hat sich mit Nordrhein-Westfalen auch hinter die Forderung nach der Digitalabgabe geklemmt. Welte: Wie gesagt, einige Länder unterstützen uns sehr klar und offensiv, und auch im Bund wächst die Erkenntnis, dass die Regierung handeln muss, um den freien, unabhängigen Journalismus der Verlage zu verteidigen. Die Weichen dafür werden aber letztlich im Austausch mit Brüssel und im laufenden Dialog mit Washington gestellt. MD: Halten Sie die Digitalabgabe denn überhaupt für einen guten Weg? Welte: Ja, das ist ein guter Ansatz, weil so eine Abgabe keine Steuer ist. Die mit dieser Abgabe erhobenen Mittel verschwinden so nicht in den unendlichen Tiefen des Bundeshaushalts, sondern müssten "verursachungsgerecht" eingesetzt werden - also dorthin zurückfließen, wo die eigentliche Wertschöpfung der Plattformen beginnt: zu einem überwiegenden Teil mit unseren Inhalten. MD: Sehen Sie sich hier in einem Boot mit anderen Medien? Es scheint ja im Moment so, als würde das Kriegsbeil zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Verlagen gerade mal wieder etwas tiefer verbuddelt. Wie sieht das denn der MVFP? Welte: Wir neigen nicht zum Kriegsbeil, im Gegenteil. Der öffentlich-rechtliche Medienkomplex spielt wie wir eine wichtige Rolle in der verlässlichen Information unserer Gesellschaft, also sehen wir uns dem gleichen Auftrag verpflichtet und stehen Seite an Seite im Artikel 5 des Grundgesetzes. Natürlich können wir nicht ignorieren, dass wir in der digitalen Dimension unserer Medienwelt Wettbewerber sind im Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen. Und wir kämpfen dort mit unterschiedlichen Waffen: Das Geschäftsmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht darin, neun Milliarden Euro an jährlichen Rundfunkgebühren auszugeben. Unser Geschäftsmodell besteht darin, hervorragende Inhalte zu produzieren, mit denen wir auf marktwirtschaftlichem Weg darum kämpfen, unseren Journalismus auch in der digitalen Welt zu refinanzieren. MD: Trotzdem gibt es doch klare Annäherungen! Welte: Ja, es gibt aktuell einen konstruktiven Dialog, und wir sind für jede Form des Zusammenwirkens offen. Uns beschäftigt gemeinsam die Frage, wie wir journalistisch arbeitenden Medien - also wir Verlage, öffentlich-rechtliche Medien und private Fernsehsender - einen solchen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die Relevanz des verlässlichen, unabhängigen Journalismus gemeinsam initiieren können. Das mangelnde Problembewusstsein der Politik für die Bedrohung unserer freiheitlichen Demokratie durch manipulierende und agitierende Medien auf der einen Seite und durch die ökonomische Bedrohung des unabhängigen Journalismus auf der anderen Seite betrifft ja uns alle. Gemeinsam könnten wir viel bewegen, und wenn jeder in seiner partikularen Perspektive verharrt, werden wir die Macht der Endlichkeit erfahren. MD: Gehört dazu auch ein stärkeres Zugehen der Verbände aufeinander, also von MVFP und BDZV? In den USA haben die Verlagsverbände sich schon längst zusammengeschlossen, um ihre Schlagkraft zu steigern. Steht das auch in Deutschland an? Welte: Wir, der MVFP, und der BDZV der Zeitungsverleger, haben Ende letzten Jahres das "Bündnis Zukunft Presse" ins Leben gerufen. Wir sehen uns demselben Auftrag des Grundgesetzes verpflichtet, wir bewegen uns in denselben Märkten, wir verfolgen dieselben Strategien in der digitalen Dimension unserer Arbeit. Das Einzige, was uns trennt, ist die Art des Papiers, auf dem wir drucken. Was uns für immer verbindet, ist der Beginn unserer Wertschöpfung: der journalistische Inhalt und unsere gemeinsame Mission. Und genau dort stehen wir heute den mächtigsten Unternehmen gegenüber, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat. Wenn es also jemals einen Grund gegeben hat, sich unterzuhaken, dann ist der genau jetzt gekommen.