Hamburg (KNA) Junge Leute haben in vielen Medienhäusern nicht gerade viel zu melden. Das hat meistens ganz praktische Gründe: Das Sagen haben die Chefetagen und nur sehr wenige nehmen eine Abkürzung und umrunden den mühsamen, jahrelangen Aufstieg durch die Hierarchien. Wenn es ans Eingemachte geht und die großen Fragen beantwortet, die wichtigen Weichen gestellt werden, sitzen selten Menschen unter 35 Jahren mit am Tisch. Dass diese Strategie irgendwie nicht so richtig optimal funktioniert, wenn aktuell eines der größten Probleme der Branche ist, junge Zielgruppen zu erschließen, geht langsam, aber sicher auch vielen Chefredakteurinnen und Intendanten auf. Und so hat HR-Chef Florian Hager, seines Zeichens ARD-Vorsitzender und mit seinen süßen 49 Jahren das Küken unter den ARD-Chefs, nach einem Weg gesucht, den Nachwuchs mehr in die Weichenstellungen mit einzubeziehen. Und diesen Weg hat Hager gefunden: 150 junge Hüpfer aus öffentlich-rechtlichen, privaten und gemeinnützigen Medienhäusern machten sich auf Einladung der ARD, der Zeit Stiftung Bucerius, der Zeit Verlagsgruppe und von Publix am vergangenen Wochenende auf den Weg nach Hamburg. Dort diskutierten sie bei der "Beyond-News"-Konferenz an zwei Tagen die sieben drängendsten Themenfelder der Branche, die im Vorfeld ebenfalls mit jungen Journalisten umrissen worden waren. Vertrauen, Vielfalt, Social Media, junge Zielgruppen, Geschäftsmodelle, persönliche Sichtbarkeit und KI: Mit dem prall gefüllten Stundenplan hatten die Teilnehmenden sich ganz schön was vorgenommen. Ein paar warme Worte wollte die ältere Garde den Jungen aber doch noch mit auf diesen Weg geben. Hager wünschte gutes Gelingen, der "Zeit"-CEO Rainer Esser mahnte "unbändige Neugier, was draußen in der Welt passiert" beim Nachwuchs an und erinnerte an die Rolle des Journalismus für die Demokratie. Manuel Hartung, Vorstandsvorsitzender der Zeit Stiftung Bucerius, wollte die Mauer zwischen Verlag und Redaktion einreißen. Nur NDR-Intendant Hendrik Lünenborg beschränkte sich auf seine Rolle als Gastgeber und lauschte dem Beginn des Programms aus dem Publikum. Auf der Bühne ging es sehr schnell ganz schön zur Sache. Ein Team des Mediums "andererseits", das sich auf Journalismus konzentriert, der für Menschen mit Behinderung zugänglich ist und in einem inklusiven Team aus Menschen mit und ohne Behinderung gestaltet wird, zeigte auf, wie die Branche bei diesem Thema versagt. Viele Medienprodukte stecken voller Barrieren, beispielsweise durch akademische Sprache, berichtete Nikolai Prodöhl. Seine Kollegin Lisa Kreutzer ergänzte niederschmetternde Fakten zu fehlender Inklusion bei Arbeitsbedingungen in Redaktionen. Das Vertrauen der eigenen Leserschaft gewinne man, weil man deren Bedürfnisse sehe. Das sei möglich, weil auch Menschen mit Behinderung bei "andererseits" in Entscheidungspositionen seien und die Berichterstattung maßgeblich mitgestalten, so Kreutzer und Prodöhl. Ergebnis der zweitägigen Konferenz ist ein Forderungspapier an Führungskräfte, Medienpolitik und Verlagsmanager. Zum Thema Vertrauen wünschen sich die jungen Medienschaffenden beispielsweise Folgendes: "Wir fordern, substanziell in vertrauensbildende Inhalte zu investieren, offen unsere Fehler einzugestehen und regelmäßig in den Austausch mit Menschen zu gehen, vor allem mit jenen, die dem Journalismus nicht vertrauen." Die Berichte aus der "andererseits"-Redaktion und die Forderung nach vertrauensbildenden Maßnahmen mit dem Publikum zahlte merklich auch auf die Diskussionen rund um das Thema Vielfalt ein. Die Teilnehmer fordern hier transparente Einstellungsverfahren und faire Bezahlung. Der beruflichen Einstieg in den Journalismus müsse leichter werden, um mehr Vielfalt zu schaffen. Die Gretchenfrage nach dem Geld durchzog auch die entsprechende Diskussion auf der Bühne. So berichteten etwa Lea Thies, Leiterin der Günter Holland Journalistenschule und Schiwa Schlei, Programmchefin von 1Live und Cosmo beim WDR, wie ihre Häuser für mehr Vielfalt sorgen wollen. Der freie Journalist Hubertus Koch und zahlreiche Menschen aus dem Publikum sorgten jeweils live für einen Realitätscheck - eine erfrischend ehrliche und kontroverse Diskussion. Eine Teilnehmerin erinnerte daran, dass das junge Publikum vermutlich nicht der richtige Adressat für die Klagen sei, sondern die Chefetagen. Schade, dass der ARD-Vorsitzende ausgerechnet diese Debatte nicht mitverfolgt hatte und erst zur Diskussion über Social Media wieder zurück im Publikum war. Doch die Medienbosse waren nicht die einzigen, die vom Nachwuchs in die Pflicht genommen wurden. Ihre Forderungen zur Finanzierung von Journalismus richtete die Konferenz explizit an die Medienpolitik. Gefordert wurden die Einführung einer zweckgebundenen Steuer für Digitalkonzerne und die Anerkennung von Journalismus als gemeinnützig. Während eine solche Digitalabgabe vom parteilosen Medienstaatsminister Wolfram Weimer ja schon intensiv bearbeitet oder zumindest öffentlich besprochen wird, hapert es bei letzterem seit Jahren. Schon die Ampel hatte sich das Thema auf die Agenda geschrieben und nicht geliefert. Fortschritte sind auch unter Schwarz-Rot nicht zu erkennen, obwohl das Thema auch aktuell wieder im Koalitionsvertrag steht. Zum Thema KI hatten die jungen Journalisten eine originelle Idee: Nicht KI-generierte Beiträge sollten online als solche gekennzeichnet, sondern menschlich erstellte Inhalte explizit als solche markiert werden - "um das Alleinstellungsmerkmal journalistischer Arbeit sichtbar zu machen". Außerdem verlangte der Nachwuchs nach brancheninternen Standards. Die gibt es zwar in vielen Medienhäuser individuell, harmonisierte Regeln sind aber noch nicht in Sicht. Zum Thema Social Media fungierte die Konferenz auch ein wenig als Kummerkasten. Egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, beinahe alle Teilnehmer, die in Social-Media-Redaktionen arbeiten, beklagten die mangelnde Wertschätzung in ihren Häusern. Die Redaktionen seien unterbesetzt, würden oft übersehen und müssen jetzt auch noch Meta-Diskussionen über Plattformen, digitale Abhängigkeiten, Algorithmen und Monetarisierung führen. Als es ums Geld ging, zeigte sich zwar, dass der Dialog im dualen System erst erlernt werden muss - wer in Verlagen arbeitet, ging viel selbstverständlicher davon aus, dass mit Social Media auch Geld verdient werden muss. Am Ende einigten sich die Teilnehmer aber auf die Forderung nach Investitionen in offene, vernetzte Strukturen wie das gemeinwohlorientierte Fediverse - statt auf geschlossene eigene Plattformen zu setzen. Auch das war ein dezenter Gruß an die ARD-Intendanten. Außerdem forderten die jungen Teilnehmer - höflich ausgedrückt - Digitalnachhilfe für ihre Chefs: "Entscheider*innen in Medienhäusern müssen verstehen, dass Online-Debatten kein Abbild gesellschaftlicher Mehrheiten sind." Fast wie eine Binsenweisheit mutet dabei die Forderung nach mehr journalistischen Angeboten für Menschen unter 25 Jahren an. Wie nötig es ist, dieses Thema immer wieder aufzurufen, zeigten aber viele Erfahrungsberichte bei der Konferenz. Sie zeugten von Übersetzungsschwierigkeiten zwischen der jungen Zielgruppe und den Chefetagen, mit denen die Teilnehmer sich in ihrem Arbeitsalltag herumschlagen müssen. Ebenfalls von persönlichen Erfahrungsberichten geprägt ist die Forderung nach mehr Hilfe für jene Kollegen, die im Netz öffentlich sichtbar sind. Amelie Marie Weber, die für die "Tagesschau" bei Tiktok aktiv ist, gab etwa ihre schlimmste Hassnachricht zum besten, in der beschrieben wurde, wie ihr Kopf schon bald am Brandenburger Tor hängen könnte. Es ist diese Ehrlichkeit und diese Authentizität, die die Gespräche während der gesamten "Beyond-News"-Konferenz prägten. Hier nahm niemand ein Blatt vor dem Mund, weil viele Teilnehmer trotz unterschiedlicher Hintergründe von ähnlichen Schwierigkeiten zu berichten wussten. Der Austausch und die Vernetzung über Medienhäuser und Systeme hinweg ist das, was in jedem Fall von der Konferenz bleiben wird, sagten viele Teilnehmer vor Ort in Hamburg. Nun liegt es an den Chefetagen und der Medienpolitik, etwas daraus zu machen. Und an den Jüngeren, ihnen dabei immer wieder auf die Finger zu klopfen. Zum Wohle der Branche, des Publikums und der Demokratie.