Ein Kampf um London - Trump-Skandal stürzt BBC in schwere Krise und stellt die Machtfrage

Von Steffen Grimberg (KNA)

MEDIENPOLITIK - Ein manipuliert wirkender Trump-O-Ton bringt die BBC ins Wanken, die Chefetage tritt zurück – und konservative Hardliner nutzen den Skandal für ihren Kulturkampf. Die Krise um die BBC wird zum transatlantischen Machtspiel.

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Tim Davie

Foto: Tayfun Salci/Imago/KNA

London (KNA) "This is London" war über hundert Jahre lang der klassische erste Satz der BBC-Nachrichten. Nun tobt in der britischen Metropole der Machtkampf um die älteste öffentlich-rechtliche Medieninstitution der Welt. Immerhin: Die BBC wird US-Präsident Donald Trump keinen Schadensersatz für eine unsauber zusammengeschnittene Rede in einem Beitrag ihres Investigativ-Magazins "Panorama" zahlen. Wie die öffentlich-rechtliche Anstalt in einer dürren Mitteilung schreibt, bedauere man, wie der fragliche Beitrag bearbeitet worden sei, sehe darin aber "keinesfalls eine Grundlage für eine Verleumdungsklage". Schwer beschädigt ist der Sender trotzdem. BBC-Director-General Tim Davie und Nachrichtenchefin Deborah Turness sind zurückgetreten. Sie übernehmen damit die Verantwortung für den Zusammenschnitt von Trumps Rede vom 6. Januar 2021, als seine Anhänger das Kapitol in Washington stürmten. Im Beitrag "Trump: A Second Chance?", der eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen im November 2024 in der BBC lief, waren Passagen aneinander montiert worden, die tatsächlich in der stundenlangen Rede rund 60 Minuten auseinander lagen. So entstand der Eindruck, Trump habe direkt und unmissverständlich zum Umsturz aufgerufen. Wie ein solcher Schnitzer in einem so brisanten Stück passieren konnte - noch dazu in "Panorama", einem journalistischen Aushängeschild des Senders -, wird wohl nie ganz zu klären sein. Doch an diesem massiven Fehler hängen sich nun all die Vorwürfe auf, deren Stichhaltigkeit deutlich schwieriger zu belegen ist. Michael Prescott, ein ehemaliger externer Berater des Senders, hatte vor gut vier Wochen in einem Schreiben an das BBC-Board, das oberste Aufsichtsgremium der öffentlich-rechtlichen Anstalt, dem Sender vorgeworfen, systematisch gegen die gesetzlich vorgeschriebene Ausgewogenheit und Überparteilichkeit zu verstoßen. Es geht um die Berichterstattung zum Krieg in Gaza und Israel, zur Haltung der BBC zu LGTBQ-Themen und natürlich um Trump. Davie wie Turness haben Prescotts weitere Vorwürfe kategorisch zurückgewiesen. Der frühere Journalist und heutige PR-Berater war drei Jahre lang als externer Berater für ein BBC-Kontrollgremium für redaktionelle Standards tätig. Seine Amtszeit endete diesen Sommer. Diese Beauftragung soll auf Veranlassung von Robbie Gibb erfolgt sein. Und Gibb, der frühere Regierungssprecher der konservativen Premierministerin Theresa May, sei der eigentliche Dreh- und Angelpunkt, sagt die ARD-London-Korrespondentin Annette Dittert im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst: "Bestimmte Kreise, vor allem aus der konservativen Ecke, haben seit längerem eine Kampagne gegen die BBC gefahren - im Grunde fing das schon mit dem Brexit an", so Dittert. Dabei sei auch der ehemalige Premierminister Boris Johnson bis heute eine zentrale Figur. "Er hat zum Beispiel einen wichtigen Posten im Board, dem obersten Aufsichtsgremium der BBC, mit dem früheren konservativen Regierungssprecher Robbie Gibb besetzt, der außerdem noch 'GB News' mitgegründet hat." GB News versteht sich als britisches Pendant zu Fox News und versuche, "die BBC genauso zu destabilisieren, wie es die überwiegend rechte Presse im Land gern tut", so Dittert. Gibb könne "deshalb kaum als neutral oder überparteilich bezeichnet werden, wie es eigentlich sein sollte und ich denke, dass er deshalb auch nicht in dieses Gremium gehört". Mittlerweile haben auch zahlreiche BBC-Mitarbeitende den Rücktritt von Gibb gefordert, der sich wie Prescott demnächst vor dem Kultur- und Medienausschuss des Unterhauses erklären muss. Eine umgehende Abberufung Gibbs, die auch zahlreiche Abgeordnete der regierenden Labour-Partei und der Liberalen fordern, lehnt die britische Medienministerin Lisa Nandy bisher allerdings ab. In einem Statement im Unterhaus erklärte Nandy diese Woche, sie verurteile die "fortgesetzte Kampagne gegen die BBC", könne Gibb aber nicht einfach absetzen. Dazu müssten "klare gesetzliche Regularien eingehalten werden". Dass hier eine Kampagne gegen die BBC stattfindet, ist dabei allen Beteiligten klar: Prescotts Schreiben an das BBC-Board war in der vergangenen Woche scheibchenweise über mehrere Tage im konservativen "Daily Telegraph" veröffentlicht worden und hatte umgehend Unterstützung anderer konservativer und rechter Kreise erlangt. Am vergangenen Freitag forderte dann Ex-Premier Johnson in seiner Kolumne in der "Daily Mail" ganz unverhohlen Davies Kopf. Einen Tag später schaltete sich dann Donald Trump persönlich ein: In einem Post auf seinem Dienst Truth Social erwähnte der US-Präsident die BBC zwar nicht namentlich, sondern schrieb bloß von "sehr unehrlichen Leuten", die "dazu noch aus dem Ausland kommen - einem Land, das viele für unseren Verbündeten Nummer Eins halten". Dies sei "eine schreckliche Sache für die Demokratie". Trumps Pressesprecherin Karoline Leavitt ging parallel die BBC ganz direkt an, sprach von "100 Prozent Fake News" und nannte den Sender "eine Propaganda-Maschine der Linken". Das, sagt Annette Dittert, war für den BBC-Chef das entscheidende Signal: "Dass Trump sich persönlich einmischt, war für Davie zu viel. So liest sich auch sein Abschiedsbrief. Er hat Ende einfach keine Lust mehr gehabt und sich gedacht, es reicht mir." Denn das BBC-Board soll offenbar auf Druck von Gibb eine frühere Stellungnahme und Entschuldigung in Sachen "Panorama" verhindert haben, die den Druck aus der Situation genommen hätte. "Und das absichtsvoll, wie viele in der BBC glauben, um die Situation eskalieren zu lassen", so Dittert. Zudem stehe der Sender seit Jahren unter massivem Spardruck, "viele gute Leute sind gegangen. Diese Mischung aus permanentem Druck und Mangel an Ressourcen ist auf Dauer toxisch, eine mürbe geschossene Institution macht irgendwann auch Fehler". Auch wenn Trump die BBC nun wohl nicht wie ABC und CBS in den USA noch um ein paar Millionen erleichtern kann: Der Kulturkampf des US-Präsidenten gegen demokratische Institutionen und unabhängige Medien ist endgültig in Europa angekommen. Dass dabei der "Daily Telegraph" eine wesentliche Rolle spielte, passt ins Bild. Das Blatt steht kurz vor der Übernahme durch das US-Konsortium RedBirdCapital, an dem Trumps Großunterstützer Larry Ellison beteiligt ist. Ellison, der Gründer der Software-Firma Oracle und einer der reichsten Menschen der Welt, hat in den USA schon den Medienkonzern Paramount gekauft und lässt dessen TV-Network CBS gerade ganz in Trumps Sinne auf Linie bringen. Für London hat sein RedBirdCapital-Partner Gerry Cardinale das Ziel ausgegeben, aus dem "Telegraph" eine rechte "New York Times" zu machen. Dass es hier keine robustere Gegenwehr gegen die BBC-Kampagne gab, liegt an der schwachen Labour-Regierung, die in Sachen BBC keine klare Linie hat - und dem Sender selbst. Genauer gesagt, an BBC-Chef Tim Davie höchstpersönlich. Dabei wollte der frühere Chef der BBC-Produktionssparte alles richtig machen und gegenüber den konservativen Vorwürfen, die BBC sei zu einseitig, ausgleichend wirken. Was auch daran liegen dürfte, dass er selbst schon einmal den Rücktritt eines BBC-Director General hautnah miterlebt hatte. Davies Vorvorgängers George Entwistle musste 2012 den Hut nehmen, weil er die Ausstrahlung einer BBC-Recherche über den früheren Starmoderator und pädophilen Serientäter Jimmy Saville blockiert hatte. Die BBC-Recherche fand damals den Weg zur privaten Konkurrenz und lief bei ITV. Als Entwistle sich dann im eigenen Programm um Kopf und Kragen redete und abtreten musste, wurde Davie für rund vier Monate kommissarischer BBC-Chef. Nach einem Intermezzo unter Tony Hall als Director General wurde Davie dann ab 1. September 2020 endgültig an die Spitze der BBC berufen. Die Personalie war damals umstritten, der Premierminister hieß Boris Johnson und Davie galt als latent parteiliche Berufung. Schließlich hatte der Cambridge-Absolvent vor seiner BBC-Karriere für die Konservativen in der Londoner Lokalpolitik kandidiert. Davie erklärte ganz wie gewünscht von Anfang an die "Ausgewogenheit" zum Maß aller Dinge. Damit saß er in der Falle. Denn natürlich konnte es die BBC weder Johnson noch seinen zahlreichen Nachfolgern im Amt des Premiers recht machen. Und dann stand auch noch die damalige Labour-Opposition unter Jeremy Corbyn der BBC eher skeptisch-feindlich gegenüber, weil der Sender unerschrocken über Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Labour-Spitze recherchierte und berichtete. Die Stimmung spitzte sich mit dem Gaza-Krieg weiter zu. In einem Film über das Leiden der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen setzte die BBC auf einen jungen Protagonisten, der sich später als Sohn eines Hamas-Funktionärs entpuppte. Eine weitere Doku "Gaza: Doctors under Attack" wurde dann aus Ausgewogenheitsgründen schon nicht mehr gesendet. Sie lief später unbeanstandet beim ebenfalls öffentlich-rechtlichen Sender Channel 4. Zu Davies umstrittensten Entscheidungen gehört das Verbot, demzufolge BBC-Journalisten auch in ihrer Freizeit nicht politischen Demonstrationen teilnehmen sollten. Und spätestens seit dem 7. Oktober sieht sich die BBC wie viele Medien weltweit der Debatte ausgesetzt, ob ihre Berichterstattung zu Israel-freundlich oder doch zu pro-palästinensisch und damit antisemitisch sei. Im Normalfall würde eine solche Äquidistanz ein Hinweis darauf sein, dass ein Medium hier vieles richtig macht und - wie von Davie bei der BBC versucht - die Waage hält. Doch jetzt wurde die BBC zwischen beiden Lagern zerrieben. Was wiederum Trump und seinen MAGA-Apologeten auch diesseits des Atlantiks in die Hände spielt. "Die Verbindungen zwischen der MAGA-Bewegung und großen Teilen der rechten Medien in Großbritannien sind seit einiger Zeit immer enger geworden", sagt auch ARD-Frau Annette Dittert. Medienministerin Nandy, die nun eine Nachfolgelösung für den aktuell wohl wichtigsten Job im britischen Mediensystem präsentieren muss, steht keine leichte Aufgabe bevor.

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