"Grokipedia ist eine totale Blackbox" - Medienexperte Leonhard Dobusch zu Elon Musks Wikipedia-Alternative

Von Joachim Huber (KNA)

WISSEN - Wie passen Wissen und Weltanschauung zusammen? An dieser Frage entzündet sich immer wieder Streit, so auch im Zusammenhang mit Elon Musks Wikipedia-Alternative Grokipedia. Medien- und Digitalexperte Leonhard Dobusch ordnet die Aufregung ein.

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Grokipedia

Foto: BODE/Imago/KNA

Innsbruck (KNA) Vor wenigen Wochen ging die vermeintliche Wikipedia-Alternative Grokipedia an den Start. Ausgedacht hat sie sich der Tech-Milliardär Elon Musk, der der Online-Enzyklopädie Wikipedia vorwirft, zugunsten linker und progressiver Positionen verzerrt zu sein. Leonhard Dobusch forscht als Professor an der Universität Innsbruck zum Management digitaler Gemeinschaften und Offenheit als Organisationsprinzip. Er war lange Jahre Mitglied im ZDF-Fernsehrat, gehörte von 2019 bis Juni 2025 dem Verwaltungsrat der Mainzer Anstalt an und sitzt jetzt für den Osterreichischen Rundfunk (ORF) im Stiftungsrat. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst spricht Dobusch über die Erfolgsaussichten für Grokipedia, wie KI die Definition von Enzyklopädie herausfordert und was Wissen eigentlich zu Wissen macht. KNA-Mediendienst: Herr Dobusch, Elon Musk hat Ende Oktober Grokipedia gestartet. Ist der Begriff Enzyklopädie dafür geeignet oder muss ein anderer her? Leonhard Dobusch: Die Frage, ob Enzyklopädie der richtige Begriff ist, stellt sich ja schon bei der Wikipedia selbst. Die Wikipedia hat sicher verändert, was unter einer Enzyklopädie verstanden wird und wie enzyklopädisches Wissen genutzt wird. Gerade bei aktuellen und umstrittenen Themen ist Wikipedia die verlässlichste Quelle, um sich einen Überblick zum Stand der Debatte zu verschaffen. Das konnten klassische, gedruckte Enzyklopädien niemals leisten. Wikipedia erbringt hier schon längst auch quasi-journalistische Aufgaben. Mit anderen Worten, unser Verständnis davon, was eine Enzyklopädie ist und leisten soll, hat sich im Zuge der Digitalisierung grundlegend gewandelt und es wäre erstaunlich, wenn KI diesen Wandel nicht weiter vorantreiben würde. MD: Erklärtermaßen soll Grokipedia eine Konkurrenz zu Wikipedia werden. Ist das möglich, und wenn ja, warum wäre es möglich? Dobusch: Seit es Wikipedia gibt, gibt es weltanschaulich motivierte Versuche, Alternativ-Wikipedias hochzuziehen. Und die freie Lizenz der Wikipedia lädt zu solchen "Forks" genannten Abspaltungen ja auch geradezu ein: es steht jedem frei, morgen alle Inhalte der Wikipedia zu nehmen und darauf aufbauend eine bessere Alternative zu starten. Musk hat mit Grok ja nichts anderes getan, er musst ja nicht bei Null anfangen, sondern hat über weite Strecken erstmal Wikipedia-Wissen übernommen. Gleichzeitig ist die prinzipielle Möglichkeit eines Forks wichtig, weil sie der Macht sowohl der Wikimedia Foundation als auch von Admins in der Wikipedia Grenzen setzt. Bis zu einem gewissen Grad wirkt die Möglichkeit eines Forks disziplinierend. Auch deshalb haben die Abspaltungen in der Vergangenheit nie so wirklich funktioniert. Die meisten dieser Projekte wirken kaum über einen engen Kreis von ohnehin bereits Überzeugten hinaus. Ob das bei der Grokipedia anders sein wird, lässt sich noch nicht mit Sicherheit beantworten. Zu neu ist der radikal KI-basierte Ansatz. Sehr wahrscheinlich aber sind Relevanz und damit Erfolg von Grokipedia eng mit dem Schicksal von Musks Social Network X, ehemals Twitter, verknüpft. Das ist das eigentlich Spannende: Was passiert, wenn ich eine KI-basierte Enzyklopädie mit einem sozialen Netzwerk integriere? MD: Beim Framing wird wieder und wieder betont, dass Grokipedia Daten und Fakten "richtig", also nicht aus der sogenannten linksalternativen Perspektive benennen will. Haben Wikipedia-Artikel diese Schlagseite oder sehen wir hier nur die übliche Propaganda der "Muskianer"? Dobusch: Natürlich hat Wikipedia auch eine Schlagseite, einen Bias: einen Wissenschaftsbias. Wikipedia-Beiträge verlangen nach Belegen, die im Einklang mit dem Stand der Forschung im jeweiligen Gebiet stehen. Jetzt ist natürlich auch wissenschaftliches Wissen immer vorläufig und in manchen Bereichen umstritten, aber auch das ist in der Wikipedia in der Regel transparent abgebildet. Wenn jetzt Musk oder andere neofaschistische Agitatoren der Wikipedia vorwerfen, "links" zu sein, dann dürfte das am ehesten, mit dem US-Komiker Stephen Colbert gesprochen, am "well known liberal bias of reality", also der linken Schlagseite der Realität liegen. Hinzu kommt: In der Wikipedia ist jede Änderung dauerhaft transparent nachvollziehbar, Manipulationsversuche lassen sich also aufdecken und nachvollziehen. Diese Nachvollziehbarkeit schafft letztlich Vertrauen. Grokipedia ist hingegen eine totale Black-Box. Von außen lässt sich nicht nachvollziehen, wie die KI zu ihren Inhalten kommt und welche Rolle zum Beispiel politisch motivierte Eingriffe von Elon Musk dabei spielen. MD: Welche generellen Stärken haben Anspruch und Methode von Grokipedia, welche signifikanten Schwächen? Dobusch: Eine Stärke von Grokipedia ist zumindest die potenzielle Möglichkeit, Daten des hauseigenen Social Networks zur Verbesserung enzyklopädischer Inhalte zu nutzen. Gleichzeitig wird dadurch der Bias von Grok auch zum Bias von Grokipedia. In dem Maße, in dem Grok weltanschaulich nur eine Gruppe von User:innen aufweist und direkt von Musk politisch interveniert wird, wird sich das auch in Grokipedia widerspiegeln. Schon jetzt lässt sich das sehr gut in Grokipedia beobachten: Die größten Unterschiede zur Wikipedia gibt es vor allem in Themenfeldern, die von rechten Kulturkämpfern in den USA besonders intensiv bespielt werden. Deshalb finden sich dort zum Beispiel auch längst wissenschaftlich widerlegte Theorien über den vermeintlichen Zusammenhang von Intelligenz und Hautfarbe. MD: Geben Sie der Enzyklopädie Chancen auf Erfolg? Dobusch: Die Frage ist, woran man den Erfolg von Wikipedia-Alternativen messen möchte. Wenn Erfolg bedeutet, der Wikipedia den Rang abzulaufen und sie als wichtigste Wissensressource unserer Zeit abzulösen, dann gebe ich Grokipedia keine Chance. Wenn Erfolg aber bedeutet, als Stichwortgeber und Verstärker rechter Narrative in Online-Netzwerken zu dienen und in manchen Bereichen Wissenschaftsskepsis und Desinformation zu befördern, dann ist das durchaus im Bereich des Möglichen. MD: Eine vielleicht merkwürdige Abschlussfrage: Wann ist (ein) Wissen unschlagbar, unwiderlegbar, unanfechtbar? Dobusch: Der österreichische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper hat immer betont, dass wir nichts mit Sicherheit wissen können. Genau deshalb braucht es immer Theorien- und Methodenvielfalt. Genau deshalb ist Wissensproduktion ein unendlicher, kollektiver Prozess, der in offenen Gesellschaften am besten funktioniert. Oder in den Worten von Popper: "Wenn Du glaubst, dass eine Theorie die einzig mögliche ist, um ein Problem zu lösen, dann nimm das als Zeichen dafür, dass Du weder die Theorie noch das zu lösende Problem verstanden hast."

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