"Ich bin ganz bestimmt nicht objektiv, aber ich versuche es" - Filmemacher Klaus Stern zur Doku über Sneaker-Millionär Timoshin

Von Senta Krasser (KNA)

FERNSEHEN - Immer wieder porträtiert Klaus Stern Geschäftsmänner, deren glänzende Fassade irgendwann zu bröckeln beginnt. Ein Gespräch über Objektivität, Größenwahn und den Sex-Appeal von 3sat.

| KNA Mediendienst

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"Der Präsident"

Foto: Florian Giefer/ZDF/KNA

Berlin (KNA) Der Dokumentarfilmer Klaus Stern hat ein Faible für größenwahnsinnige Träumer wie Palantir-Chef Alex Karp oder Versicherungsvertreter Mehmet Göker. In seinen Filmen blickt er stets hinter die glänzende Fassade der Self-Made-Männer. Für 3sat porträtiert er nun den als "Sneaker-Millionär" bekannten Jungunternehmer Stepan Timoshin, der im November 2024 mit nur 23 Jahren Präsident des Fußballvereins Hertha BSC werden wollte. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst erklärt Stern, wie er es immer wieder schafft, sich an die Fersen von Blendern zu heften, ohne sich selbst blenden zu lassen. KNA-Mediendienst: Herr Stern, Sie haben schon den "deutschen Bill Gates" TanSiekmann porträtiert, das angebliche Vertriebsgenie Mehmet Göker, zuletzt Alex Karp, der mit dem Softwareunternehmen Palantir die Weltherrschaft anstrebt. Jetzt kommt bei 3sat ein Film von Ihnen über StepanTimoshin, der mit nur 23 Jahren Präsident von Hertha BSC werden wollte. Was fasziniert Sie an solchen größenwahnsinnigen Träumern? Klaus Stern: Was gibt es Schöneres, als wenn Leute Großes wollen und mit Verve ihre Ziele angehen - und sich dabei manchmal auf der Autobahn des Lebens überschlagen? Das hat natürlich großen Schauwert, wobei ich nicht aufs Überschlagen warte. Ich sage immer, dass ich Filme über Gewinnertypen machen will. Alex Karp ist in den sieben Jahren, die ich ihn begleitet habe, quasi mit mir Multi-Milliardär geworden. Eine Redakteurin schrieb mir: "Da warst du einfach Visionär, als noch niemand von Alex Karp und Palantir jemals gehört hat." Das hat mich sehr gefreut. MD: Welche Vision hatten Sie bei StepanTimoshin? Stern: Vorneweg: Ich bin Hertha-Fan und leide sehr darunter, wie schlecht der Fußballverein seit Jahren geführt wird. Lars Windhorst, auch "Kohls Wunderkind" genannt, pumpte seit 2019 rund 374 Millionen Euro in Hertha BSC. Trotzdem dümpelte der Club in der Abstiegszone. Nun sogar in der Zweiten Liga. Das ganze Geld von Windhorst war innerhalb von vier Jahren weg. Es blieb ein großer Schuldenberg. Als Unternehmer hat Windhorst schon ein paar Insolvenzen hingelegt - und dennoch gelingt es ihm immer wieder, auf die Beine zu kommen. MD: Ist StepanTimoshin auch so ein "Wunderkind"? Stern: Ich glaube schon. Der Boulevard taufte den Influencer und TikToker "Sneaker-Millionär", weil er mit dem Wiederverkauf von Sneakern angeblich enorme Gewinne gemacht hat. Auf seinen Social-Media-Kanälen macht er auf dicke Hose. Auch ein Film in der ARD-Doku-Reihe "Money Maker" zeigt ihn als erfolgreichen Geschäftsmann, der Lamborghini fährt und eine Traumhochzeit an der Côte d'Azur feiert. Das sind tolle Bilder, die man da sieht. Timoshin scheint alles ganz leicht von der Hand zu gehen. Interessant, dachte ich, den will ich bei seiner "Journey" zum Hertha-Präsidenten begleiten. MD: Wann kamen Ihnen Zweifel, dass der Jungunternehmer nicht das sein könnte, was er zu sein vorgibt? Stern: Bei unserem ersten Treffen in einem türkischen Restaurant unweit seines Berliner Ladenlokals Vaditim. Er erzählte mir, dass besagtes ARD-Porträt durch die Decke gegangen sei und er ein Glückwunschschreiben bekommen habe für die vielen Zuschauer und Klicks. Also, ich arbeite seit 25 Jahren für die ARD. Ich bekam ein einziges Mal ein solches Schreiben, und zwar von Tom Buhrow für das gute Abschneiden meines Dokumentarfilms "Versicherungsvertreter" über Mehmet Göker. Aber dass der Protagonist eines Films beglückwünscht wird - das ist nicht die ARD. MD: Auf Instagram prahlte Timoshin mit der "geilen ARD-Doku" und beschwerte sich im gleichen Atemzug über die "zehn unnormalen Drehtage", die "reinste Zeitverschwendung" gewesen seien... Stern: Bei mir im Film spricht er sogar vom 15. Drehtag! Ich habe bei den Kollegen Moritz Hartnagel und Sigrid Born nachgefragt: Es waren höchstens acht oder neun. Stepan Timoshin nimmt es mit der Wahrheit nicht ganz so genau. Er leidet auch nicht an Minderwertigkeitskomplexen und hat diese Attitüde: Dieses Geschmeiß von Journalisten und Filmemachern soll endlich mal aufhören. Ich habe doch schon genug geliefert. Und das tut er, auch bei mir. MD: Wie haben Sie ihn überreden können? Stern: Das Label 3sat klingt natürlich nicht so sexy. Aber ich konnte bei Timoshin damit angeben, dass mal jeder zehnte deutsche Dokumentarfilm bei Netflix von mir war. Das hat bei ihm gezogen, glaube ich. In "Der Präsident" ist übrigens eine Szene, in der er einer Reporterin vom Sat.1-Frühstücksfernsehen weismacht, dass Amazon Prime und Netflix eine Serie über ihn planen. Und vor drei Wochen erst behauptete er in einem Podcast, ich hätte den Vertrag mit Amazon Prime gehabt. Was nicht stimmt. MD: Wie kooperativ war er beim Dreh von "Der Präsident"? Stern: Anfangs stellte er mir volle Kooperation in Aussicht. Als ich im April 2024 bei ihm war, um Termine zu besprechen, sagte er, es sei grad alles sehr schwierig, er habe Lungenkrebs. Ich dachte im ersten Moment: Oh Gott, können wir überhaupt noch den Film machen? Wie will er für das Präsidentenamt kandidieren? Doch er meinte, dass er es trotzdem macht. MD: Einer von Timoshins Gläubigern bezweifelt in Ihrem Film seine Erkrankung. Stern: Ich auch. Im Juni war schließlich dann der erste Drehtag in Hamburg. Danach musste ich ihm allerdings ganz schön hinterherlaufen, weil er immer irgendwo im Ausland unterwegs war. Das war nicht so einfach. MD: Sie haben den Ruf eines investigativen Dokumentarfilmers, der dranbleibt, auch wenn die Porträtierten das nicht wollen, so wie bei Alex Karp. Wusste Timoshin, worauf er sich einlässt? Stern: Ich glaube nicht. Es kam auch keinmal die Frage: Was machst du sonst so? Er nahm mich scheinbar nicht ernst. Ich lud ihn zur Premiere meines Palantir-Films "Watching You" auf dem Dokumentarfilmfest München ein, damit er sieht, dass ich doch nicht so eine ganz kleine Nummer bin. Ich hoffte, dann leichter Drehtermine mit ihm zu bekommen. Er kam aber nicht. MD: Hätte er zumindest gegoogelt, wüsste er, dass die Protagonisten in Ihren Filmen nicht unbedingt nur in positivem Licht erscheinen. Ist es Hybris? Denkt ein StepanTimoshin, dass ihm ein Klaus-Stern-Film nicht schadet, sondern eher nützt? Stern: Das müssen Sie ihn fragen. Ich setze ein Zitat aus einer Kritik über meinen Film "Die Autobahn" entgegen: "Er differenziert, es gibt keine einfachen Antworten in den Filmen, die Klaus Stern macht." Bei "Versicherungsvertreter" sagten mir Leute, dass Mehmet Göker zu gut weggekommen sei, wie könne ich einem Verbrecher so ein Forum bieten? Ich bin ganz bestimmt nicht objektiv, aber ich versuche es. Und ich versuche, immer beide Seiten zu zeigen. MD: "Der Präsident" ist auch ein Film darüber, wie leicht sich Medien von Blendern blenden lassen. In "FAZ", "Capital" und "Handelsblatt" erschienen Lobhudeleien über das Unternehmergenie StepanTimoshin... Stern: Sie haben die "Bild"-Zeitung in Ihrer Aufzählung vergessen! Sie war über Timoshins angebliche Krebsstadien bestens informiert. "Tumor jetzt doppelt so groß", schrieb sie Ende August 2024. Sechs Wochen drauf trat Timoshin bei der ersten Vorstellungsrunde zum Hertha-Präsidenten auf. Er sah nicht krank aus. Die "Bild" fuhr nach Timoshins Nicht-Wahl nicht wie sonst üblich mit ihm den Fahrstuhl hinunter. Sie schwieg ihn einfach tot. MD: "Bild" ist "Bild", aber was ist mit der seriösen Wirtschaftspresse? Stern: Ich mache Dokumentarfilme und keine journalistische Aufarbeitung. Ich sehe aber, dass die schönen Geschichten über Timoshin bis heute online stehen. Da ist kein Disclaimer davor. Haben Wirtschaftsjournalisten zu wenig Zeit, sich Sachen genauer anzuschauen, weil sie so sehr unter Druck stehen? Ich weiß es nicht. Timoshin hatte eine PR-Beraterin, die ihn offenbar erfolgreich an diese Medien herangerudert hat. Der "Spiegel" ging ihm übrigens nicht auf den Leim. Zwei Tage vor der Hertha-Wahl im November 2024 brachte er ein kritisches Stück, das Fragen beantwortete, die sich andere nicht ausreichend gestellt hatten. MD: Was ist Ihr Trick, um sich von solchen Gestalten nicht blenden zu lassen? Stern: Hm. Wahrscheinlich triggert mich das Ziel dieser Leute, ganz viel Geld zu verdienen, nicht so, dass ich den Verstand verliere. Mich interessiert ihr Weg dorthin. Darum geht es doch im Leben: Dass man Ziele erreichen will, auch wenn sie noch so fern sind. Das ist großartig zu beobachten. MD: StepanTimoshin ist mit seinem Ziel, Hertha-Präsident zu werden, gescheitert. Stern: Vorerst. Er hat ganz klar gesagt: Bis er 30 ist, wird er auf jeden Fall Präsident von Hertha. Er lasse sich nicht unterkriegen. Er werde es seinen Kritikern noch zeigen, dass er das Zeug dazu hat.

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