Tiflis (KNA) Worauf kann man sich als Journalist verlassen, wenn das eigene Land gerade dabei ist, eine Autokratie zu werden? Was sich hierzulande eher schräg anhört, ist in Georgien Alltag: Politische Parteien werden verboten, Oppositionelle verhaftet, Aktivisten mit drakonischen Strafen belegt. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat die Regierungspartei "Georgischer Traum" den Prozess der Entdemokratisierung des Landes enorm beschleunigt. Doch das Land demonstriert weiter. Am 28. November jährt sich der Beginn der Proteste gegen die georgische Regierung zum ersten Mal. Zu diesem Anlass werden aller Voraussicht nach viele der großen deutschen Medien Berichte bringen. Berichte, die erfahrungsgemäß bestenfalls für ein paar Stunden ganz oben bei den Onlineauftritten zu finden sein werden, im Verlaufe des Tages immer weiter nach unten wandern - bis sie am nächsten Tag fast schon in Vergessenheit geraten sind. Dabei wäre den Journalisten vor Ort schon viel geholfen, wenn deutsche Medien der Situation im Land mit etwas mehr Ausdauer begegnen würden - und sich auch über ein paar Hintergründe schlau machten. Gleich mehrere Medienschaffenden äußerten den Eindruck, zu häufig mangele es deutschen Redaktionen an Kontextwissen, um die aktuelle Lage zu verstehen. Etwa den Umstand, wie stark Russlands Angriff auf die Ukraine nicht nur die Geopolitik im Allgemeinen verändert, sondern im Speziellen auch die politische Situation in der Schwarzmeer-Region erschüttert habe. Zu schaffen machen der Opposition derzeit vor allem zwei Gesetze, die seit dem vergangenen Jahr in Kraft sind. Beide weisen auffällige Ähnlichkeiten mit entsprechenden Dekreten in Russland auf. Mit dem "Gesetz zum Schutz von Familienwerten und Minderjährigen" wird insbesondere die LGBTQI-Community kriminalisiert. Noch breitere Wirkung entfaltet das "Ausländische-Agentengesetz", demzufolge Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland bekommen, sich beim Staat als sogenannte ausländische Agenten registrieren und umfangreichen Einblick in ihre Geschäfte gewähren müssen. Für georgische Journalisten ist das vor allem das zweite Gesetz ein direkter Angriff auf die Pressefreiheit handelt. Immerhin finanzieren sich die meisten unabhängigen Onlineplattformen im Land fast vollständig aus Unterstützungsleistungen diverser ausländischer Organisationen, es fließen auch Mitteln der EU. Doch um sich nicht dem Druck der Regierung zu beugen, haben sich viele unabhängige Medien dazu entschieden auf den Großteil ihrer Finanzierung zu verzichten, um weiterhin ihrer Arbeit nachgehen zu können. Die Folge: "Es ist Monate her, dass ich ein volles Gehalt bezogen habe", sagt ein georgischer Journalist bei einem Austausch zwischen deutschen und georgischen Journalisten. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen war Georgien bereits 2024 wegen diesen Gesetzen um 26 Plätze auf Rang 103 von 180 Staaten abgestürzt. In der aktuellen Rangliste 2025 rutschte das Land weiter ab und belegt jetzt Rang 114. Die Medienlandschaft sei zwar vielfältig, aber stark politisch gespalten. Vor allem im Fernsehen, der wichtigsten Informationsquelle, seien Manipulation, Hassrede und Desinformation weit verbreitet, so die Journalistenorganisation. Oft bestimmten Oligarchen die Inhalte, auch öffentlich-rechtliche Sender seien klar staatlichem Einfluss ausgesetzt, so Reporter ohne Grenzen. "Die Stabilität Georgiens spielt auch für Europas Sicherheit eine wichtige Rolle", sagt eine georgische Journalistin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. Als ärgerlich empfindet sie es, wenn in deutschen Medien Fachleute aus Georgien zitiert werden, die im Land selbst umstritten sind. Dies berge ihr zufolge die Gefahr, sich ungewollt an der Verbreitung von Falschinformationen zu beteiligen. Dass nicht immer jede Expertenstimme doppelt auf Profession und Intention überprüft werde, erklären sich die deutschen Journalisten, die am Gespräch teilnahmen, mit zunehmend prekären Arbeitsbedingungen, so dass oft Schnelligkeit vor Gründlichkeit gehe. Ein strukturelles Problem der deutschen Auslandsberichterstattung sehen sie auch darin begründet, dass ein Großteil der Korrespondenten deutscher Medienhäuser für Jahrzehnte ihren Sitz ausschließlich in Moskau hatten und haben. Dies habe dazu geführt, dass regionale Konflikte häufig einseitig "durch die Brille Russlands" betrachtet worden seien. Die Folge: eine in der Tendenz über viele Jahre hinweg eher russlandlastige Berichterstattung. Was bleibt von diesem Austausch, dessen Rahmenbedingungen aus Rücksicht auf die Sicherheit der georgischen Kollegen an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden können? Die Sachzwänge der Aufmerksamkeitsökonomie, denen die Branche unterliegt, werden sich in absehbarer Zeit wohl kaum ändern. Um ein deutsches Publikum perspektivisch wieder mehr für das Geschehen in Georgien zu interessieren, schlägt ein georgischer Kollege die "Wiederaufnahme emotionaler Verbindungen" vor. Womit keinesfalls nur der zehnte Artikel über georgisches Essen oder Wein gemeint sein soll. Vielmehr gehe es um ein Erinnern daran, dass zwischen beiden Ländern historisch gewachsene Beziehungen bestehen, die bereits auf das frühe 19. Jahrhundert zurückgehen, als die sogenannten Kaukasusdeutschen einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region leisteten. Es gäbe außerdem genügend aktuelle Bezüge, über die sich berichten ließe - auch unabhängig von Jahrestagen. Etwa über die Verbindungen führender Politiker des "Georgischen Traums" zu deutschen Universitäten. So haben der Premierminister, der Parlamentsvorsitzende, der Chef der Staatssicherheit sowie weitere wichtige Personen des georgischen Justizsystems an deutschen Universitäten promoviert. In unabhängigen georgischen Medien sorgte diesen Sommer auch der Fall von Goga Kikilashvili für Aufsehen. Kikilashvili ist Teil des Hohen Justizrats in Georgien und hat derzeit ein Stipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) an der Universität Regensburg. Dass er seine Tätigkeit im georgischen Justizapparat bei der Stipendiumsbewerbung unterschlug, war für Oppositionelle in Georgien ein Skandal, wurde hierzulande jedoch nur von Lokalmedien thematisiert. Wenig Beachtung fand auch eine Kleine Anfrage, die vor einem Monat von der AfD-Fraktion im Bundestag gestellt worden ist. Titel: "Unterstützung von NGOs in Georgien durch die Bundesregierung". Aktionen wie diese haben bei Menschen in Georgien den unguten Eindruck hinterlassen, dass die russlandfreundliche deutsche Partei gezielt Informationen über die georgische Opposition erhalten wolle. Kleinteilige Fragen wie diese mögen für einzelne Korrespondenten zu nischig sein - erst recht, wenn ihr Berichterstattungsgebiet riesige Regionen Osteuropas umfasst. Doch sollten sie deshalb wirklich unbeantwortet bleiben?