Köln (KNA) Journalistenpreise sind normalerweise eine ziemlich medieninterne Sache. Die Branche feiert sich und ihre herausragenden Vertreter, würdigt deren Arbeit und oft auch die Bedeutung des Journalismus insgesamt. Für weitergehende Aufmerksamkeit sorgen sie selten. Das war anders an diesem winterlichen Donnerstagabend in Köln. Im WDR-Funkhaus wurde zum 30. Mal der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis verliehen. Und dessen Jury hatte in diesem Jahr für einige Aufregung gesorgt. Denn das Gremium um die Jury-Vorsitzende Sandra Maischberger zeichnete neben Katharina Willinger, ARD-Korrespondentin für die Türkei und den Iran, auch deren ARD-Kollegin Sophie von der Tann mit dem Hauptpreis aus. Von der Tann berichtet aus Israel und den Palästinensischen Gebieten. Nach dem 7. Oktober 2023 wurde sie eines der bekanntesten journalistischen Gesichter aus der Region in Deutschland. Praktisch von Anfang an, also seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, haben die Zuschauer der ARD der Jury zufolge eine krisenfeste und unerschrockene Korrespondentin erlebt, die sich nicht scheue, Dinge beim Namen zu nennen. "Wenn es um die Massaker der Hamas und ihre Terror-Herrschaft in Gaza geht, fällt das nicht schwer. Wenn eine deutsche Korrespondentin auch kritisch über Israels Politik und Kriegsführung berichtet, macht das schon eher Probleme", so die Jury weiter. Auch deutsche Journalistinnen und Journalisten stünden im Kontext der deutschen Geschichte. Doch genau an dieser Kritik an Israel stoßen sich einige. Der israelische Botschafter Ron Prosor hatte von der Tann empfohlen, den Beruf zu wechseln, wenn sie lieber Aktivismus betreiben wolle. Der bayerische Antisemitismusbeauftragte hatte die Journalistin aus einem eigentlich vertraulichen Hintergrundgespräch mit der Aussage zitiert, der 7. Oktober habe eine Vorgeschichte gehabt. Inzwischen mehren sich Stimmen, die bestreiten, dass die Aussage überhaupt so getroffen wurde. Und auch der Verband Jüdischer Journalistinnen und Journalisten bedauerte und kritisierte die Auszeichnung von der Tanns. Und so standen am Abend der Preisverleihung dann auch etwa 70 Demonstranten vor dem Funkhaus, um mit Plakaten, israelischen Flaggen und Musik ihren Unmut über von der Tann, ihre Arbeit und ihre Auszeichnung auszudrücken. "Antisemitismus benennen statt belohnen", war da zu lesen, oder "Verzerrte Berichterstattung ist kein Journalismus". Eine Teilnehmerin hatte ihre Kritik an von der Tann auf ein großes rotes Dreieck geschrieben, das seit dem 7. Oktober als Symbol der Hamas gilt. Auf einem anderen Plakat stand: "ARD: Pressestelle der Hamas". Im Saal war die Stimmung weniger angespannt. Umringt von Prominenten, Journalisten und vielen Preisträgern aus den Vorjahren, gestützt von zahlreichen Solidaritätserklärungen aus den vergangenen Tagen, konnte Sophie von der Tann gemeinsam mit Katharina Willinger ihren Preis entgegennehmen. Die Gastgeberin, WDR-Intendantin Katrin Vernau, zog in ihrer Begrüßung im Namen ihres Hauses den Hut vor den Ausgezeichneten. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hielt eine Laudatio, in der er die Bedeutung der Pressefreiheit für die Demokratie betonte - und ihre zahlreichen Bedrohungen weltweit auflistete. Die Kritik an von der Tann nannte Voßkuhle "völlig überzogen", die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und an den Medien allgemein habe sich in Deutschland zum Kulturkampf ausgewachsen. Dem Journalismus wünschte Voßkuhle mehr Mut. Doch hier durften die Lobeshymnen an einem solchen Abend natürlich noch nicht enden. Claus Kleber sagte über von der Tann in einem Einspielfilm in schönster Reminiszenz an den Namensgeber des Preises: "Sie macht sich mit keiner Sache und mit keiner Seite gemein". Den schmalen Grat zwischen Empathie und Distanz meistere sie hervorragend. Sie bleibe cool, ohne kalt zu sein, sekundierte Sandra Maischberger. Als von der Tann schließlich mit der Trophäe auf der Bühne stand und sich den Applaus des Publikums abholte, war auf vielen Gesichtern die Spannung abzulesen, wie sie wohl auf die Anfeindungen gegen ihre Person und ihre Arbeit reagieren würde. Zunächst einmal gar nicht, denn die Journalistin nutzte die Bühne vor allem, um sich zu bedanken: bei ihren Kollegen im ARD-Büro, bei ihrem Studioleiter, aber in erster Linie bei den Journalisten vor Ort in Israel, im Westjordanland und in Gaza, ohne die ihre Arbeit nicht möglich sei und die selten auf solchen Bühnen stünden, so von der Tann: "Dabei gebührt ihnen eine solche Auszeichnung ganz besonders." Der Preis stehe für unabhängigen, kritischen Journalismus, der immer mehr unter Druck gerate. "Dem müssen wir uns entgegenstellen", forderte die Korrespondentin. Dass dieser Druck gerade für Korrespondenten nur selten vor allem aus Deutschland kommt, zeigen die Erfahrungen der zweiten Preisträgerin Katharina Willinger. Als Journalistin in der Türkei und im Iran kann sie vom Arbeiten in autokratischen Systemen berichten, in denen sich die Lage der Pressefreiheit zunehmend verschlechtert. Im Iran fließe beispielsweise 50 Prozent ihrer Arbeit in die Frage, was man berichten könne, ohne sich selbst, das Team, die Informanten und Gesprächspartner in die Schusslinie der autokratischen Regierung zu bringen, berichtete Willinger bei der anschließenden Podiumsdiskussion. Von der Tann ergänzte, dass die Lage der Pressefreiheit auch im eigentlich demokratischen Israel zunehmend düster aussehe und sich etwa die Rhetorik der Regierung gegenüber Journalisten deutlich verschärft habe. Aus diesen Erfahrungen der beiden Journalistinnen speiste sich dann vermutlich auch ihre Entscheidung, das Preisgeld an Reporter ohne Grenzen (RSF) zu spenden. Die Journalistenorganisation setzt sich weltweit für Pressefreiheit ein und wurde dafür in Köln mit dem Sonderpreis ausgeziechnet. "Die konzertierten Angriffe auf die Presse- und Medienfreiheit verlangen die Stärkung von Organisationen, die sich der Verteidigung und Bewahrung dieser Freiheit verschrieben haben", so die Jury. Dieses im wahren Sinn des Wortes lebenswichtige Engagement wolle man im 30. Jahr des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises würdigen. "Wenn die Autokraten dieser Welt, und die, die es gerne werden wollen, an die Arbeit gehen, attackieren sie die Säulen der Demokratie", sagte Jurymitglied Claus Kleber - "und sie beginnen immer mit der Presse". Die langjährige Sprecherin des RSF-Vorstands, Katja Gloger, nahm den Preis im Namen des gesamten Reporter ohne Grenzen-Teams entgegen und widmete ihn jenen Journalisten, "die nicht da sein können" - etwa den mehr als hundert Medienschaffenden, die in China im Gefängnis sitzen, oder den vielen hundert Journalisten, die Russland nach dem Überfall auf die Ukraine verlassen mussten, weil sie einen Krieg einen Krieg nennen wollten. Hinter Gloger blendeten die Veranstalter die Namen all jener Journalisten ein, die 2025 wegen ihrer Arbeit getötet wurden. Doch auch die Lage in den USA, wo Präsident Donald Trump gerade hart daran arbeitet, sich den Mediensektor untertan zu machen, war an diesem Abend omnipräsent: "Würde ich gerade an einer Doku über Donald Trump arbeiten, müsste ich dann Angst haben, dass er die ARD verklagt?", fragte Moderator Louis Klamroth den Ex-Verfassungsrichter Voßkuhle. "Ich denke schon", lautete dessen Antwort. Attacken, auch aus dem Lager der AfD, solle der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit Qualitätsjournalismus beantworten, forderte der Jurist. Einer, der das nach Ansicht der Jury exzellent tut, ist der diesjährige Träger des Förderpreises, Borhan Akid vom WDR. "Der ist mein Held", laudatierte Thomas Roth, langjähriger ARD-Korrespondent, und selbst Hanns-Joachim-Friedrichs-Preisträger des allerersten Preisjahrs 1995. Akid kam 2015 als Geflüchteter aus Syrien nach Deutschland und landete über ein Praktikum beim WDR. Er arbeitet vor allem für das Online-Format "WDRforyou", das sich an Geflüchtete richtet. Akid nutzte seine Preisrede, um sich für die Unterstützung zu bedanken - und um Sophie von der Tann seiner Solidarität zu versichern: "Wenn wir anfangen, uns selbst zu zensieren - und das tun immer mehr von uns - ist unsere Arbeit in Gefahr", so Akid. Ein düsterer Schlusspunkt für diesen Abend, der bei vielen gemischte Gefühle hinterlassen dürfte. Einerseits war er eine Selbstvergewisserung einer Branche, die zu oft im Sturm der Anfeindungen und der wirtschaftlichen Krise wankt und ihre Prinzipien vergisst. Von den Angriffen auf von der Tann fühlen sich sichtlich viele mitgemeint, weil sie in ihnen die Manifestation einer zunehmend pressefeindlichen Stimmung sehen. Gleichzeitig dürften die Reden und Gespräche an diesem Abend nicht geeignet sein, jene zu beruhigen, die sich von den Medien nicht mehr gehört fühlen. Und zwar nicht, weil sie gezielte medienfeindliche Kampagnen orchestrieren. Sondern weil sie sich von den Medien auf Basis ihrer persönlichen Erfahrung nicht oder nur ungenügend vertreten fühlen. Ihnen sollte man dringend die Hand reichen. Nicht durch eine Einschränkung oder Anpassung in der Berichterstattung, sondern durch ein Ernstnehmen ihrer Anliegen und durch begleitende vertrauensbildende Maßnahmen. Sonst dürfte der Protest von Köln nicht die letzte Demonstration vor einem der Funkhäuser dieser Republik gewesen sein.